© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Ein Land auf der Kippe
Sudan: Per Volksentscheid wollen sich die christlich geprägten Südsudanesen vom Nordteil separieren / Kampf um Gleichberechtigung und Bodenschätze
Michael Wiesberg

Viele Südsudanesen können diesen Tag kaum erwarten: Am 9. Januar soll per Volksabstimmung darüber entschieden werden, ob sich das größte Land Afrikas womöglich in zwei Staaten spaltet. Die bisherige autonome Region Südsudan könnte dann ein unabhängiger Staat werden. Daß es überhaupt zu diesem Referendum kommt, geht auf den Friedensvertrag zurück, der im Jahre 2005 geschlossen wurde.

Vorausgegangen waren zwei Bürgerkriege (1955–1972, 1983–2005), in denen die arabische Minderheit im Niltal ihren Herrschaftsanspruch über den gesamten Sudan auszudehnen versuchte. Dagegen regte sich im Südsudan bewaffneter Widerstand, dessen Ziel die Autonomie bzw. Unabhängigkeit der sudanesischen Region Südsudan war. Träger dieses Widerstands war die Sudanesische Volksbefreiungsarmee bzw. -bewegung (SPLM/A).

Bei diesen Auseinandersetzungen ging es weniger um die Frage des Zusammenlebens zwischen den Muslimen im Norden und den schwarzen Christen und Anhängern von traditionellen Religionen im Süden. Schwerwiegender dürfte einmal der historische Gegensatz zwischen dem Norden und dem Süden gewesen sein. Sklavenhändler aus dem Nordsudan machten im Südsudan Jagd auf Sklaven. Die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien verwaltete deshalb den Norden und den Süden getrennt. Zum anderen spielten handfeste wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Im Süden befindet sich in der Region um Abyei ein Großteil der reichen Erdölvorkommen des Landes.

Die Infrastruktur (Pipelines, Raffinerien) liegt allerdings im Norden des Landes. Der Status des erdölreichen Abyei-Distrikts ist noch weitgehend offen. Im Mai 2008 kam es hier zu den heftigsten Kämpfen zwischen Nord- und Südsudan seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens Anfang 2005, das durch eine UN-Mission überwacht wird.

2003 eskalierte überdies die Lage in der im Westen des Sudan gelegenen Provinz Darfur, wo ein Guerillakrieg schwarzafrikanischer Rebellen entbrannte. Auch hier war die Forderung nach Gleichberechtigung der nichtarabischen Bevölkerung die Ursache für den Ausbruch des Konflikts. Für die Unterdrückung des Aufstands bewaffnete die Führung in der Hauptstadt Khartum arabische Reitermilizen, die berüchtigten Dschandschawid. Gemeinsam mit Armee-Einheiten gingen sie gegen die schwarze Bevölkerungsmehrheit vor, wobei es zu zahllosen Greueltaten kam. Der Konflikt in Darfur ist bis heute nicht befriedet.

Die sudanesische Zentralregierung in Khartum ist im hohen Maße von den Erdöleinnahmen abhängig. Sollte der Süden, also rund 30 Prozent des Staatsgebietes, unabhängig werden, würden damit womöglich über drei Viertel der Erdölvorkommen und etwa die Hälfte der hieraus erzielten Einnahmen wegfallen. Bisher ging der Großteil dieser Einnahmen in den Norden; der Süden macht deshalb gegenüber dem sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir geltend, um seinen Anteil aus dem lukrativen Geschäft gebracht worden zu sein. Al-Bashir, der wegen der Vorgänge in Darfur mit internationalen Haftbefehl gesucht wird, ist seit 1989 an der Macht. Nach Wikileaks-Enthüllungen soll er rund neun Milliarden Dollar veruntreut haben, die auf britischen Banken deponiert seien. Der Internationale Strafgerichtshof wirft al-Bashir überdies Verbrechen gegen die Menschlichkeit  und parallel dazu auch Völkermord vor.

Auch für den Südsudan, sollte er wirklich unabhängig werden, wären Einnahmen aus dem Ölgeschäft lebensnotwendig; nicht zuletzt deshalb, weil immer mehr Südsudanesen, die wegen des Bürgerkriegs in den Norden geflohen sind, nun zurückkehren. Nach Schätzungen lebten im Nordsudan zuletzt mindestens 1,5 Millionen Südsudanesen. Kaum jemand dürfte nach der Spaltung dort bleiben, zeigen sich Mitarbeiter der Vereinten Nationen überzeugt.

Im Hinblick auf die Lage der Christen im Norden des Sudans warnte der Weltkirchenrat (ÖRK) bei einer möglichen Loslösung des Südens vor einer Zunahme der Konflikte zwischen Christen und Muslimen: Nach einer Abspaltung könnten die Christen im Norden noch mehr Repressalien ausgesetzt sein, sagte ÖRK-Generalsekretär Olav Fykse Tveit laut dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Die Menschen im Sudan haben aber schon genug gelitten“, betonte Tveit, „ein neuer Konflikt ist das letzte, was sie brauchen.“

Vor diesem Hintergrund mutmaßen nicht wenige Beobachter, daß es keineswegs sicher ist, daß der Volksentscheid am 9. Januar auch wirklich stattfindet. Druckmittel hätte die Zentralregierung in Khartum nämlich hinreichend in der Hand: Nicht nur die Schließung der Ölpipelines böte sich hier an. Auch das Aufflammen kriegerischer Konflikte steht wieder im Raum. Für die Instandhaltung und Ausrüstung des Militärs im Norden sollen inzwischen auch die Chinesen sorgen, die nach den Erdölvorräten des Sudan greifen.

US-Präsident Barack Obamas Sondergesandter, Scott Gration, der häufig im Sudan unterwegs ist, weiß also, wovon er spricht, wenn er laut Neues Deutschland mit Blick auf die Lage im Sudan konstatiert: „In den nächsten Wochen steht das Land auf der Kippe, dann heißt es ‘Alles oder nichts’.“ Gration mahnte deshalb die Lösung schwelender Fragen, wie des Grenzverlaufs zwischen Norden und Süden und der Verteilung der Erdölvorkommen respektive der Einnahmen aus dem Erdölgeschäft, noch vor dem Referendum an. Bisher konnte keiner dieser brisanten Konfliktherde entschärft werden.

Wenig glaubwürdig klingt deshalb die Ankündigung des sudanesischen Staatschefs al-Bashir, dem Südsudan im Fall einer Sezession Unterstützung zukommen zu lassen. Im Bedarfsfall wolle Khartum, so erklärte al-Bashir laut der österreichischen Presseagentur APA, den Menschen helfen, einen „sicheren und stabilen Bruderstaat“ aufzubauen. Demgegenüber steht die Meinung vieler Beobachter, die sogar ein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs nicht ausschließen wollen.

Foto: Fluchtdramen im Sudan: Bei einer Aktion der Vereinten Nationen werden Flüchtlinge in ihre Dörfer in WestDarfur gebracht, aus denen sie vor Jahren angesichts der Gewalt arabischer Reitermilizen geflohen waren

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