© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Freiwillige als Lückenfüller
Wehrpflicht: Der Bundesfreiwilligendienst soll künftig den Zivildienst ersetzen
Hans Christians

Anfang der Woche endete in Deutschland eine Ära: Die letzten Wehrdienstleistenden traten ihren Dienst an. Es gab viele Argumente für und gegen die Abschaffung der Wehrpflicht. Die Befürworter verwiesen auf die mangelnde Wehrgerechtigkeit, die Gegner konterten dagegen mit der Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft und mit der Tatsache, daß der Zivil- oder Ersatzdienst eine wichtige Funktion erfüllen würde.

Um dieses Vakuum zu füllen, hat die Bundesregierung einen Freiwilligendienst ins Leben gerufen. „Der neue Bundesfreiwilligendienst ist eine überzeugende und praktikable Lösung, mit dem wir die Freiwilligendienste in Deutschland stärken. Er bietet vielen Menschen, nicht nur den jungen, die Möglichkeit, sich zu engagieren“, sagte der CDU-Experte Eckhard Pols über das Bundesfreiwilligengesetz, das die Situation ab dem kommenden Sommer neu regelt. Doch die große Frage bleibt, wie die Stellen der bisherigen Zivildienstleistenden besetzt werden sollen. Im Jahr 2009 gab es rund 90.000 Männer, die den Ersatzdienst leisteten. Die neue Dienststruktur wird nach Einschätzung von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) die bisherige Regelung nicht kompensieren können. Zu 100 Prozent würden die Zivildienstleistenden nicht ersetzt werden können, sagte Schröder: „Die Illusion sollte man auch gar nicht wecken“, fügte sie hinzu. Die bisherigen Zivildienstleistenden seien allerdings nur ein halbes Jahr lang Zivis, während der Bundesfreiwilligendienst eine Regeldauer von einem Jahr zugrunde lege. Überdies stünde der neue Dienst auch Frauen offen, so daß sich die Zahl der Bewerber erhöhen könnte. Optimistische Schätzungen gehen von rund 35.000 Personen aus, die sich bis zum 1. Juli 2011 melden könnten.

Skeptiker halten dies für übertrieben. Der Einsatz soll in der Regel zwölf Monate dauern, mindestens sechs und höchstens 24 Monate. Grundsätzlich ist eine Arbeit in Vollzeit vorgesehen, für Freiwillige über 27 Jahren ist aber auch Teilzeitarbeit von mindestens 20 Wochenstunden möglich. Der Bund fördert die Freiwilligendienste künftig mit 350 Millionen Euro pro Jahr, davon 50 Millionen Euro aus der bisherigen Förderung der Jugendfreiwilligendienste und 300 Millionen Euro aus den Mitteln, die bislang für den Zivildienst zur Verfügung stehen.

Die großen Sozialverbände haben unterdessen darauf hingewiesen, sie hätten sich schon seit Jahren auf die bevorstehende Abschaffung des Zivildienstes eingerichtet. „Der Deutsche Caritasverband wird sich aktiv an der Organisation und Durchführung des Bundesfreiwilligendienstes beteiligen“, sagte Caritas-Präsident Peter Neher. Mit diesem neuen Dienst könne es gelingen, den Wegfall der Zivildienstleistenden, der mit dem Aussetzen der Wehrpflicht ab dem kommenden Jahr verbunden sei, abzufedern.

Der Verband hatte sich ursprünglich für einen Ausbau des stark nachgefragten Jugendfreiwilligendienstes ausgesprochen. Dies sei jedoch aus finanz- und verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich gewesen. „Positiv ist, daß dieser Bundesfreiwilligendienst für jüngere und ältere Menschen offen ist. Dies ist ein deutliches Signal in die Zivilgesellschaft: bürgerschaftliches Engagement ist ein Thema für alle Altersgruppen“, so Neher. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) äußerte sich dagegen deutlich zurückhaltender: „Es ist völlig unklar, was die Bundesministerin meint, wenn sie sagt, um funktionierende Strukturen zu erhalten, müßten etwa 35.000 Freiwillige pro Jahr für den freiwilligen Zivildienst gewonnen werden – das ist nur ein knappes Drittel der derzeit jährlich 90.000 Zivis“, sagte AWO-Chef Wolfgang Stadler.

Direkte Auswirkungen beispielsweise in der Pflege befürchtet dagegen niemand. Übereinstimmend betonten die großen Verbände, daß die Zivildienstleistenden bisher ohnehin nur für Hilfstätigkeiten eingesetzt wurden wie Botengänge, Hausmeister-Arbeiten oder Spaziergänge mit pflegebedürftigen Personen: „Benötigte Dienste fallen keine weg. Aber dieses Plus an Service wird es in dieser Form nicht mehr geben“, teilt die Caritas mit. Die Bundesregierung hofft dagegen darauf, daß vor allem Menschen in der beruflichen Orientierungsphase auf das Angebot zurückgreifen werden. Auch für Arbeitslose sei die neue Struktur eine Möglichkeit. Wer den Freiwilligendienst ableistet, der bekommt Unterkunft und Verpflegung sowie Arbeitskleidung gestellt. Weiterhin erhalten die Freiwilligen ein Gehalt (324 Euro im Westen, 272 Euro in Mitteldeutschland). Dies sei eine Möglichkeit, um einen Beitrag für die Zivilgesellschaft zu leisten, glaubt Familienministerin Schröder.

 www.bundes-freiwilligendienst.org

Foto: Die letzten Rekruten rücken ein: Unterkunft und Verpflegung frei

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