© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/10 27. August 2010

Die überflüssige Generation
CDU: Norbert Röttgen und Armin Laschet stehen mustergültig für die inhaltliche und personelle Auszehrung der Union
Thorsten Hinz

Dieser Tage verlassen mit Roland Koch und Ole von Beust zwei weitere CDU-Politiker im Alter von Mitte Fünfzig die Arena. Christian Wulff hat kürzlich seinen Altersruhesitz im Schloß Bellevue genommen. Von den CDU-Ministerpräsidenten dieser Generation bleibt nur der Saarländer Peter Müller übrig, der keine politische Zukunft mehr hat.

Vor 15 Jahren war diese Generation, zu der Friedbert Pflüger und andere, im weitesten Sinne auch Jürgen Rüttgers zählen, als „Junge Wilde“ und „Querdenker“ von den Medien hofiert worden. Ihre  Modernität, Wildheit und Originalität erschöpfte sich darin, in einer vorgeblich bürgerlichen Partei linke und linksliberale Positionen zu vertreten und sich mit Grünen zum Pizzaessen zu verabreden (JF 15/10). Diese „Wilden“ litten in Wahrheit an einem Minderwertigkeitskomplex. Wer unter den Politikern nicht links, postnational und multikulturell gestimmt war, wurde als unmodern, reaktionär, unsexy verschrien. Dieser medial erzeugten Stimmung konnte der Unionsnachwuchs keine Überzeugungen und Erfahrungen entgegensetzen. Deshalb war er so empfänglich für die Streicheleinheiten von unerwarteter Seite, was  seine charakterliche und politische Substanz – falls überhaupt vorhanden – völlig korrumpierte.

Eine gewisse Ausnahme bildete Roland Koch, der mit einer Unterschriftenaktion die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft verhinderte und zur Haßfigur der linksliberalen Medien   avancierte. Kochs Kampagnenerfolg verweist auf die politischen Möglichkeiten, die dieser Generation im Bündnis mit den Bürgern offengestanden hätten.

So aber ist es das Schicksal des ergrauten und abgehalfterten Nachwuchses, keinerlei Spuren zu hinterlassen. Es handelt sich um eine überflüssige Generation. In Iwan Turgenjews „Tagebuch eines überflüssigen Menschen“ wird dieser Archetypus mit einem Beipferd verglichen, welches an das Pferdegespann einer Postkutsche gebunden ist und nutzlos und unter komischen Verrenkungen nebenhertrottet. Die einzige Fernwirkung, die diese Politikergeneration erzielt hat, liegt darin, daß es heute in der Union keine Vorstellungs- und Begriffswelt jenseits des postmarxistischen Politologen- und Soziologengeschwurbels mehr gibt. Wulffs Gerede von der „bunten Republik“ hat letzte Illusionen über die geistigen und politischen Reserven der Union ab absurdum geführt.

Daniel Cohn-Bendit als politischer Mentor

Das allmähliche Verschwinden dieser Generation aus der Politik macht die Sache nicht besser, weil der angerichtete Schaden sich fortzeugt. Zum Beispiel in Armin Laschet und Norbert Röttgen, die um den Vorsitz der CDU in Nord­rhein-Westfalen konkurrieren. In ihrer äußerlichen Verschiedenheit scheint sich der qualitative Unterschied auszudrücken, den flüchtige Beobachter zwischen der Bonner und der Berliner Republik festzustellen glauben: Hier der verwaschen-unkonturierte Laschet, dessen selbstzufriedene Beschränktheit für das Versprechen steht, die bundesdeutsche Erfolgsgeschichte setze sich fort, und zwar deshalb, weil es schon immer so gewesen ist. In der Person Laschets wiederholt sich die lähmende Tautologie der Kohl-Jahre, doch jetzt unter rot-grünen Vorzeichen. Dagegen der smarte, eloquente Röttgen, der scheinbare Weltläufigkeit und technokratische Kompetenz ausstrahlt.

Zumindest bei dem 1961 geborenen Laschet stimmen äußerer Eindruck und politischer Gehalt überein. Frühe Prägungen empfing er in der katholischen Jugendbewegung und in Dritte-Welt-Gruppen. Dem ersten juristischen Staatsexamen folgte – im Unterschied zu Röttgen – kein zweites. Von 1987 bis 1994  war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, der neben Generalsekretär Heiner Geißler wichtigsten Bezugsperson der „Jungen Wilden“. Obwohl die Zuhörer, wenn Süssmuth einen mehrteiligen Satz begann, stets besorgt sein mußten, ob sie ihn unfallfrei zu Ende bringen würde, wurde Süssmuth von den Medien als Intellektuelle und Modernisiererin der Union gefeiert. Gedankliche Stringenz und zutreffende politische Lageanalysen spielten in diesem Erfolgsmodell keine Rolle. Für Süssmuth war Politik der Vorwand, um eigener Betroffenheit und der Mahnung Ausdruck zu verleihen, daß sich Auschwitz niemals wiederholen dürfe. Wie groß Laschets Anteil an ihren Wortfindungen war, ist schwer festzustellen, doch sein eigenes, späteres Wirken und Reden läßt auf eine politische Mutter-Sohn-Symbiose schließen.

Als nordrhein-westfälischer Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration trat er von 2005 bis 2010 direkt in die Fußstapfen der ehemaligen Bundesfamilienministerin. Im vergangenen Jahr hat er das Buch „Die Aufsteiger-Republik. Zuwanderung als Chance“ veröffentlicht, das bei der Sozial- und Ausländerlobby die erwartbare Begeisterung auslöste, im übrigen aber wegen der versammelten politischen, historischen und kulturellen Inkompetenz reine Makulatur darstellt. Laschet sieht im Bekenntnis zu Auschwitz das emphatische Initiationsritual für eine gelungene Integration und ist blind dafür, daß dieser Begriff zum Symbol nationaler und staatlicher Selbstnegation geworden und damit jeden Integrationsgedanken ad absurdum führt.

Im Grunde wird Laschet vom Bedürfnis getrieben, stets auf der Seite des Stärkeren zu stehen. So reihte er sich in die Menschenkette um eine angeblich bedrohte Kölner Moschee ein, doch nie fand er Worte des Mitgefühls für deutsche Schüler, die von muslimischen Mitschülern traktiert werden. Als Europa-Abgeordneter schloß er Freundschaft mit dem Grünen Daniel Cohn-Bendit, mit dem er auch mehrere Doppelinterviews gab. Beinahe körperlich spürt man darin Laschets Eleven- beziehungsweise  Dackelperspektive und die Gier, mit der er Cohn-Bendits Lob einsaugt, der als sein politischer Mentor auftritt. Paradoxerweise liegt in der Untertanen-Mentalität Laschets größte, vielleicht einzige Chance zur späten Reife. Denn wie alle subalternen Naturen hält er seine Nase in den Wind und paßt sich jeder Veränderung an. Das Buch „Das Ende der Geduld“ der verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig, die jene Zustände anprangert, für die Süssmuth, Cohn-Bendit und Laschet mitverantwortlich sind, rezensierte er im Rheinischen Merkur geradezu hymnisch. Für echte politische Führungsaufgaben ist Armin Laschet jedoch definitiv unbegabt.

Kreuzbrav, harmlos und mittig

Sein vier Jahre jüngerer Konkurrent Norbert Röttgen ist weniger der politische Widersacher als vielmehr die Komplementärgestalt. Während Laschets Wirken wenigstens Stoff für eine politische Negativ-Biographie hergibt, fällt bei Röttgen die Inhaltsleere auf. Er hat früh eine typische Politikerkarriere begonnen, saß zeitig im Bundestag und trat Mitte der neunziger Jahre – als einer der Jüngsten unter den „Jungen Wilden“ – für eine Neuregelung des Staatsbürgerschaftsrechts ein, was ihm bis heute den Titel des Modernisierers sichert. Danach fiel er nur noch ein einziges Mal auf, als er 2006 Hauptgeschäftsführer im Bundesverband der Deutschen Industrie werden und trotzdem sein Bundestagsmandat behalten wollte. Vor die Wahl gestellt, entschied er sich für die Fortsetzung der politischen Karriere. Im übrigen ist er kreuzbrav, harmlos, mittig. Im vergangenen Jahr, da war er noch Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion, veröffentlichte er das Buch „Deutschlands beste Jahre kommen noch“, aus dem Sätze hervorstechen wie: „Beteiligungsgerechtigkeit ist ein sozialethisches Prinzip, aus dem sich ganz konkrete positive Ableitungen für die politische Gestaltung ergeben.“ In der Welt höhnte der Kritiker: „Wer alkoholfreies Bier trinkt, kalorienreduzierte Schokolade ißt, Fahrrad mit Helm fährt und die Christlich-Demokratische Union Angela Merkels für eine konservative Partei hält, dem wird auch dieses Buch ihres einflußreichen Parlamentarischen Geschäftsführers gefallen.“

Als Umweltminister macht Röttgen nun Front gegen die Atomkraft und tritt für erneuerbare Energien ein, ohne daß ein energiepolitisches Gesamtkonzept erkennbar würde. Ob der medienbewußte Minister eigene Karrierepläne vorantreibt oder als Minenhund Merkels fungiert, die nach einem Ersatz für die FDP Ausschau hält – wer kann es sagen? Wen interessiert’s? Röttgen ist ein Beispiel dafür, daß die Berliner Bühne wohl Äußerlichkeiten verändert, aber keine stärkeren politischen Charaktere formt.

Es geht also noch schlimmer in der CDU als mit den Wulffs, den Beusts und Müllers. Die Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen stehen mit den Kandidaten Armin Laschet und Norbert Röttgen jetzt vor der Wahl, ob sie lieber neben einer Moschee oder neben einem Windrad leben möchten. Was für Persönlichkeiten. Was für eine Partei. Und was für eine Parteiendemokratie, die Alternativen nicht duldet.

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