© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/10 12. März 2010

Letztes Aufbäumen der Geächteten
Der rechte Kapp-Putsch im März 1920 forderte die Weimarer Republik heraus / Selbst von der Reichswehr blieb Unterstützung aus
Felix Krautkrämer

Im Reiche braute sich etwas zusammen. Da war ein Heer, das entlassen werden mußte, den Artikeln des Friedensvertrages gemäß, da war ein anderes, heimliches Heer, das sich zu bilden begann (...) Sie heischten Klarheit von Berlin – Berlin aber konnte keine Klarheit geben –, und sie standen finster entschlossen, das Gewehr in der Hand.“ Die Stimmung, die Ernst von Salomon in seinem weitgehend autobiographischen Roman „Die Geächteten“ vermittelt, gibt einen Eindruck davon, wie angespannt die Situation in Deutschland Anfang 1920 war. Die noch junge Republik sah sich von rechts und links bedroht, und ihre Zukunft war ungewiß. Die Auswirkungen des Versailler Vertrags bargen ein immenses politisches und soziales Unruhepotential. Ein kleiner Funke konnte genügen, das Pulverfaß Deutschland zur Explosion zu bringen.

Auf dem Truppenübungsplatz Döberitz westlich von Berlin lagerte seit Januar die 5.000 Mann starke Marinebrigade II.: jenes Freikorps, das sich unter der Führung von Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt bei den Nachkriegskämpfen in Berlin, München und anderswo im Reich durch sein „schneidiges Vorgehen“ einen Namen gemacht hatte.

Demobilisierung der Armee reizte zum Vabanquespiel

Andere Freikorps, die vor kurzem noch im Baltikum gegen die Bolschewisten gekämpft hatten (JF 22 /09), waren als Arbeitsgemeinschaften auf Gütern in Ostpreußen untergekommen oder standen zum Schutz an den Ostgrenzen der Republik. Sie alle warteten auf neue Einsätze oder darauf, in die Reichswehr eingegliedert zu werden. Doch die Chancen dafür standen schlecht: Die noch 250.000 Mann starke Reichswehr mußte aufgrund des Versailler Vertrags bis Juli auf 100.000 Mann reduziert werden. Dies bedeutete für die meisten Freikorps die zwangsweise Auflösung. Für die ehemaligen Baltikumkämpfer galt ohnehin ein generelles Übernahmeverbot in die neue Armee.

Am 29. Februar befahl Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) dem Führer des Reichswehr-Gruppenkommandos I, General Walther von Lüttwitz, gemäß einer Forderung der Interalliierten Militär-Kontroll-Kommission, die ihm unterstehenden Marinebrigaden bis zum 10. März aufzulösen. Von Lüttwitz protestierte energisch. Die Marinebrigaden, allen voran die Brigade Ehrhardt, waren so etwas wie seine Hausmacht. Die Forderung traf von Lüttwitz jedoch nicht unvorbereitet. Seit August 1919 hatte er Kontakt zu einem Kreis von Politikern, Militärs und Adligen, der seit geraumer Zeit an den Plänen für einen Staatsstreich arbeitete. Im Zentrum stand dabei der ostpreußische Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp, der im Krieg mit Großadmiral Alfred von Tirpitz zu den GründeRn der Vaterlandspartei gehört hatte. Zum weiteren Umfeld zählten neben General Erich Ludendorff auch dessen ehemaliger Operationschef Oberst Max Bauer, der in die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verwickelte Generalstabschef der Garde-Kavallerie-Schützendivision, Waldemar Pabst, und andere Freikorpsführer. Während Kapp die zweite Hälfte des Jahres 1919 zielstrebig auf den Umsturz hinarbeitete, verhielt sich von Lüttwitz zögerlich und versuchte, über Noske eine Veränderung der Regierungspolitik zu erreichen. Erst mit dem Auflösungsbefehl der Marinebrigaden entschloß sich der General zum Putsch. Er sollte dabei die militärische, Kapp die politische Führung übernehmen.

Während einer Audienz bei Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) spitzte sich die Situation am 10. März weiter zu. Noske hatte zuvor die Marinebrigaden in Vorbereitung ihrer Demobilisierung dem Befehl von Lüttwitz’ entzogen, wogegen dieser bei Ebert heftigst protestierte. Zudem drängte er auf die Ablösung des als republikanisch geltenden Chefs der Heeresleitung, General Walter Reinhardt, allerdings vergeblich. Auch seine politischen Forderungen wie die Auflösung der Nationalversammlung, Neuwahl des Reichstags sowie die Wahl des Reichspräsidenten durch das Volk wies Ebert zurück. Reichswehrminister Nos­ke teilte von Lüttwitz im Anschluß an die Unterredung mit, er erwarte für den nächsten Tag dessen Abschiedsgesuch. Gleichzeitig warnte er den General, über dessen Umsturzpläne er teilweise informiert war, vor möglichen Putschabsichten. Tags darauf wurde von Lüttwitz beurlaubt, und Noske ordnete die Verhaftung Kapps und weiterer Verschwörer an – allerdings ohne Erfolg, da diese zuvor gewarnt worden waren.

Nun sahen sich die Verschwörer zum Handeln gezwungen. Von Lüttwitz erteilte Kapitän Ehrhardt den Befehl, mit seiner Brigade am nächsten Abend nach Berlin vorzurücken und am Morgen des 13. März mit seiner Truppe am Brandenburger Tor auf weitere Befehle zu warten. Der Putsch konnte beginnen. Ehrhardt informierte seine Offiziere über das Vorhaben und versprach, „die Ehre der Marine“ wiederherzustellen, die seiner Ansicht nach durch den Kieler Matrosenaufstand vom Oktober 1918 verlorengegangen war. Unter Gesang marschierte die Brigade gegen 22 Uhr aus Döberitz ab.

In Berlin beriet sich Noske unterdessen mit seinen führenden Militärs. Doch bis auf General Reinhardt und Noskes Adjutant Major Erich von Gilsa rieten alle Beteiligten davon ab, mit Gewalt gegen die Putschisten vorzugehen. „Truppe schießt nicht auf Truppe“, lautete die Begründung der übrigen Offiziere. Auch das Reichskabinett beschloß in den frühen Morgenstunden des 13. März, auf militärischen Widerstand zu verzichten. Um handlungsfähig zu bleiben, entschieden sich Reichspräsident Ebert, Reichskanzler Gustav Bauer (SPD), Noske und andere Minister, nach Dresden auszuweichen und von dort nach Stuttgart überzusiedeln.

Mit den Putschisten gegen kommunistische Aufstände

Für Kapp bedeutete die Flucht der Regierung, die auch dem zögerlichen Vorgehen Ehrhardts geschuldet war, einen schweren Rückschlag. Der Putschversuch war damit so gut wie gescheitert. Zwar war das Regierungsviertel schnell in der Hand der Gegenrevolutionäre und die „neue Regierung der Ordnung, der Freiheit und der Tat“ mit Kapp als Reichskanzler und von Lüttwitz als Reichswehrminister gebildet. Die Existenz zweier Regierungen gab jedoch allen noch Unentschlossenen die Möglichkeit, erst einmal abzuwarten, zu wessen Gunst sich die Waagschale senken würde. Die Entscheidung fiel rasch: Zum einen setzte der von Ebert, dem SPD-Vorsitzenden Otto Wels und den SPD-Reichsministern ausgerufene Generalstreik Kapp und seine Anhänger erheblich unter Druck, zum anderen verweigerten die leitenden Ministerialbeamten und führenden Militärs den Putschenden die Unterstützung.

Der Chef des Truppenamtes, General Hans von Seeckt, der sich zuvor geweigert hatte, die Reichswehr auf die Kapp-Truppe schießen zu lassen, meldete sich krank und blieb zu Hause. Die Offiziere des Reichswehrministeriums erschienen in Zivil und ignorierten die Befehle Lüttwitz’. Der Großteil der Kommandeure in den Wehrkreisen verhielt sich ebenfalls abwartend. Lediglich im Osten und Norden erklärten sich einzelne Befehlshaber für Kapp, darunter General Paul von Lettow-Vorbeck in Schwerin.

Auch finanziell stand es schlecht um das Unternehmen. Die Reichsbank weigerte sich, der Regierung Kapp die dringend benötigten Gelder auszuzahlen. Als von Lüttwitz daraufhin Ehrhardt befahl, sich das Geld mit Gewalt zu beschaffen, antwortete dieser empört, er sei Offizier und kein Bankräuber. Nun zeigte sich, wie unzureichend das ganze Unterfangen vorbereitet war. Die Flucht der Regierung, der Generalstreik, gegen den auch der Einsatz der Technischen Nothilfe nicht viel ausrichten konnte, und der „Streik der Generäle“ (August Winnig) hatten ein Gelingen des Putsches unmöglich gemacht. Für einen politischen Umsturz fehlten die notwendigen Führungspersönlichkeiten und der Rückhalt in der Bevölkerung. Einem militärischen Staatsstreich stand die Haltung der Reichswehr entgegen.

Politiker des Zentrums, der Deutschen Volkspartei und der Deutschnationalen drängten Kapp und von Lüttwitz zur Aufgabe – auch weil es im Zuge des Putsches und des Streikaufrufes zu zahlreichen kommunistischen Aufständen gekommen war, die es niederzuschlagen galt, bevor sie sich zu einem Flächenbrand entwickeln konnten. Am Morgen des 17. März trat Kapp zurück. Wenige Stunden später folgte ihm von Lüttwitz. Die meisten der am Kapp-Putsch Beteiligten verließen Berlin umgehend, um einer Verhaftung zu entgehen. Kapp setzte sich nach Schweden ab. Von Lüttwitz floh nach Ungarn.

Noch am selben Tag erhielt von Seeckt den Oberbefehl über sämtliche Truppen. Ohne lange zu zögern, machte er sich an die Bekämpfung der kommunistischen Unruhen, denn das Ende des Putschversuchs bedeutete noch lange nicht die Beendigung der Streiks. Vielmehr sahen die Kommunisten durch die Flucht der Regierung die Chance gekommen, in Deutschland eine Räterepublik zu errichten. Die Niederschlagung der Aufstände durch Reichswehr und Freikorps dauerte bis Mitte April. Mehrere hundert Tote waren die blutige Bilanz. Seeckt griff dabei auch auf diejenigen Freikorps zurück, die eben noch an der Seite von Kapp und Lüttwitz marschiert waren. Und die Brigade Ehrhardt verteidigte nun genau die Regierung, die sie eben noch stürzen wollte.

Fotos: Extrablatt-Schlagzeile des „Berliner Lokal-Anzeiger“ vom Mittag des 13. März, Kapp-Putschisten am Potsdamer Platz in Berlin, Extrablatt verkündet „Umsturz“: Ohne Rückhalt, Kapitän Hermann Ehrhardt (links, im Auto sitzend) beim Einmarsch am 13. März in Berlin: „Truppe schießt nicht auf Truppe“

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