© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

Steuerzahlerwut gegen Obama
USA: Der neuen „Tea Party“-Bewegung geht es vor allem um ökonomische Fragen / Unterstützung bei Republikanern und neokonservativen Medien
Derek Turner

Boston, 16. Dezember 1773: Eine Gruppe als Indianer verkleideter Einwohner stürmt ein Schiff und schmeißt teuren Import-Tee kistenweise ins Hafenbecken, um gegen die Steuern der britischen Kolonialregierung unter König George III. zu protestieren. Die „Boston Tea Party“ wirkte als Mitauslöser der Revolution von 1775, in der die USA sich schließlich aus der Herrschaft des Mutterlands befreiten. Bis heute spielt das Motto No taxation without representation (keine Besteuerung ohne parlamentarische Repräsentation) eine starke Rolle in der nationalen Symbolik.

Inzwischen bezeichnet der Begriff ein ernstzunehmendes Phänomen in der politischen Landschaft der USA – eine wachsende und lautstarke Gruppe von Steuerzahlern, die ihrem Ärger über den Zustand der Wirtschaft, die Höhe der öffentlichen Ausgaben und die Pläne der Obama-Regierung für eine allgemeine Krankenversicherung (JF 39/09) Luft machen. Skepsis gegenüber der These vom anthropogenen Klimawandel, Forderungen nach einer stärkeren Zuwanderungskontrolle oder christlich-konservative Werte mögen eine Rolle spielen, doch hauptsächlich geht es der neuen „Tea Party“ um wirtschaftliche Fragen.

Ins Leben gerufen wurde die Bewegung im Januar 2009 durch den beliebten konservativen Radiomoderator Rush Limbaugh (JF 46/04, www.rushlimbaugh.com ), der das milliardenschwere „Konjunkturpaket“, mit dem Barack Obama die US-Wirtschaft aus der Rezession katapultieren wollte, in seiner Sendung unverblümt als Klientelpolitik bezeichnete. Daraufhin gab es in Florida, Washington, Colorado und Arizona Proteste gegen die Steuerpolitik der neuen Regierung, die wiederum von Obama-kritischen Medien wie Fox News (JF 47/09) und verschiedenen Radio-Talkshows wohlwollend begleitet wurden. Bestehende Organisationen wie Freedomworks, dontGo und Americans for Prosperity übernahmen die Koordinierung und Finanzierung der Veranstaltungen, die häufig über soziale Netzwerke im Internet organisiert wurden. Demonstranten trugen historische Verkleidungen aus dem 18. Jahrhundert und hielten Plakate mit Aufschriften wie „We Miss Reagan“ oder Bildern, die Obama als Hitler zeigten, in die Höhe. Sogar Fahnen mit geballten Fäusten, wie man sie von den linken Kundgebungen der 1960er Jahre kennt, kamen wieder in Mode.

Am 15. April, dem Abgabetermin für die Steuererklärung, wollen dann auch in diesem Jahr wieder Tausende demonstrierten. Auch am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag, und am 11. September zum Jahrestag der WTC-Angriffe gab es schon landesweite Proteste. Diese wiederum haben den Zorn der Linken auf sich gezogen. Bei Gegendemonstrationen kam es zu gewalttätigen Übergriffen. Bei den Tea-Party-Veranstaltungen sei eine „bösartige Narrensaum-Rhetorik“ zu vernehmen, ihre Atmosphäre sei eher von „Verrat als Vernunft“ bestimmt, ihre Taktiken schienen unmittelbar „aus den republikanischen Wahlkämpfen der vergangenen drei Jahrzehnte, wenn nicht gar aus dem Handbuch der ultrakonservativen John-Birch-Gesellschaft übernommen“, schrieb Dan Gerstein im Wirtschaftsmagazin Forbes.

Nancy Pelosi, die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, bezeichnete die Proteste sogar als „unamerikanisch“, während der Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, den Organisatoren „Brandstiftung“ vorwarf. Auch die Rassismuskeule wurde geschwungen, weil es sich bei den Demonstranten zumeist um männliche Weiße handelt.

Offiziell sind die Tea-Party-Veranstaltungen parteiunabhängig. Der konservative Politstratege Tim Phillips hält die Republikanische Partei für „allzu unorganisiert und nicht selbstsicher genug“, um derartige Proteste zu organisieren.

Umfragen unter den Teilnehmern zeigen jedoch, daß sie mehrheitlich Wähler der Republikaner sowie konservativer Kleinparteien sind. Kein Wunder also, daß republikanische Politiker wie Newt Gingrich, der texanische Gouverneur Rick Perry, der ehemalige Präsidentschaftsbewerber Mike Huckabee oder der frühere Mehrheitssprecher im Repräsentantenhaus, Dick Armey, sich immer wieder um medienwirksame Auftritte bei den Kundgebungen bemühen.

Mancher aufsteigende Stern am Republikaner-Himmel hat schon von der Bewegung profitieren können – etwa Scott Brown, dessen Sieg in Massachusetts im Kampf um Edward Kennedys Senatssitz mit auf die Unterstützung von Tea-Party-Aktivisten zurückgeführt wird. Am 6. Februar hielt auch die ehemalige republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin einen vielbeachteten Auftritt auf dem ersten nationalen Kongreß in Nashville (JF 7/10). Daß sie für vierzig Redeminuten 100.000 Dollar erhalten haben soll, sagt viel über die Finanzkraft der Bewegung aus. Anderen republikanischen Galionsfiguren wurde bei Tea-Party-Veranstaltungen ein weniger freundlicher Empfang bereitet – Michael Steele, der wichtigste schwarze Politiker in der Parteihierarchie, durfte gar nicht erst auftreten.

Angesichts sinkender Zustimmungswerte für die Obama-Regierung einerseits und des chaotischen Zustands der republikanischen Partei andererseits hat die Tea-Party-Bewegung eine historische Gelegenheit, die politische Zukunft der USA zu beeinflussen – sofern sie ihre Aktivitäten unter einer zuverlässigen Führung koordiniert. Doch selbst wenn dies gelingt, besteht die Gefahr, daß sie am Ende doch von den „Beltway-Konservativen“ vereinnahmt wird – Berufspolitikern, die es für unnötig erachten, über den Washingtoner Tellerrand hinauszuschauen.

 

Derek Turner ist Publizist und seit 2007 Herausgeber der britischen Zeitschrift „Quarterly Review“ (www.quarterly-review.org).

Foto: Boston Tea Party-Bild von Nathaniel Currier: Traditionsreich, Werbung für den Tea Party-Kongreß: Reiche Sponsoren

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