© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/10 19. Februar 2010

„Wir kriegen euch alle“
Dresden: Trotz eines massiven Polizeiaufgebots ist es Linksextremisten gelungen, eine rechte Demonstration zu blockieren
Hinrich Rohbohm / Felix Krautkrämer

Der Regionalexpreß von Dresden-Hauptbahnhof nach Görlitz muß seine Fahrt abrupt beenden. Etwa 500 Meter vor dem Bahnhof Dresden-Mitte kommt er unerwartet zum Stehen. Auf den Gleisen liegen Metallstangen. Schwarz gekleidete, zum Teil vermummte Demonstranten blockieren die Strecke.

Es ist kein guter Tag zum Reisen, dieser 13. Februar 2010. Vor 65 Jahren hatten alliierte Bomber Dresden in ein Trümmermeer mit Zehntausenden Toten verwandelt. Ihrer friedlich und in Würde zu gedenken, wäre angemessen. Aber Dresden ist anders an diesem kalten Samstagmorgen. Die NPD-nahe Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) will einen „Trauermarsch“ durch die Altstadt veranstalten. Die Stadt und Linke wollen ihn wie in jedem Jahr gemeinsam mit gewaltbereiten Linksextremisten unterbinden. Das Verwaltungsgericht gibt der JLO recht, sie dürfen marschieren: nicht wie geplant durch die Altstadt, sondern durch die Neustadt auf der anderen Elbseite. Ganz offen hatten Linksextremisten seit Wochen zur Blockade aufgerufen. Die Polizei sperrte daraufhin einen entsprechenden Internetauftritt und durchsuchte mehrere Wohnungen und Büros.

„Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund einer Demonstration können wir die Fahrt bis auf weiteres nicht fortsetzen“, schnarrt es durch die Lautsprecher im Regionalexpreß. Frustriertes Aufstöhnen der Fahrgäste. Manche blicken neugierig aus dem Fenster. Sie sehen, wie Vermummte über das Geländer eines Bauhofs steigen. Dort liegt ein gutes Dutzend schwarze Rohre: hübsch aufgereiht, gut sichtbar, direkt neben dem Zaun. Der Bauhof liegt direkt an den Gleisen, das Baumaterial eignet sich hervorragend für die öffentlich angekündigte Blockade. Polizei ist weit und breit nicht zu sehen. Die Vermummten greifen dankbar zu. Niemand ist da, der sie daran hindert. Vor den Augen der Zugfahrgäste können sie in aller Ruhe das Material auf die Gleise legen, auf denen bereits etwa 50 weitere Gegendemonstranten zur Sitzblockade niedergelassen haben.

Unmut kommt im Zug auf. „Die sollen doch wie alle anderen arbeiten gehen, haben die nichts Besseres zu tun?“ Eine Frau bricht in Tränen aus, verlangt nach einem Telefon. Sie muß einen wichtigen Termin absagen, sagt sie leise schluchzend. In dem Zug entwickelt sich eine Diskussion. „Das hat es zu DDR-Zeiten nicht gegeben, da haben wir auch an den Bombenkrieg gedacht, aber das lief alles friedlich ab.“  „Ja, das ist unsere Demokratie“, merkt ein anderer süffisant an.

Die Linkspartei hat an diesem Tag gleich mehrere Gegendemonstrationen angemeldet hat. Es ist Thüringens Linke-Fraktionschef Bodo Ramelow, der auf einer dieser Veranstaltungen zum Megaphon greift und die Gegendemonstranten ermuntert, in Seitenstraßen und auf Hinterhöfen nach „Nazis“ Ausschau zu halten. Ramelow ist es auch, der sich an die Spitze einer Gruppe setzt und mit ihr auf zwei angekommene Busse mit Teilnehmenr des „Trauermarsches“ zuläuft. Etwa 50 Meter vor dem Ziel baut sich Polizei auf, hält Ramelow und die Autonomen zurück. Der Linken-Politiker will sich von den Einsatzkräften nicht zurückdrängen lassen, liefert sich eine Rangelei mit den Beamten. „Wir kriegen euch alle“, drohen die „Autonomen“. Die Rechtsextremisten antworten auf ihre Weise und skandieren: „frei, sozial und national“. Schneebälle fliegen, einige beschmeißen die Ordnungshüter mit Pappbechern. Linksextremisten zünden derweil Mülltonnen an und werfen Autos um –Vorgänge, die in Presse, Funk und Fernsehen kaum Erwähnung finden. Die etwa 10.000 Gegendemonstranten seien weitestgehend friedlich gewesen, lautet die Mehrzahl der Meldungen in den Medien. 5.600 Polizisten sind im Einsatz, um Links- und Rechtsextremisten voneinander zu trennen. Gepanzerte Räumfahrzeuge sind zu sehen, mehrere Polizeihubschrauber kreisen ständig über der Stadt, um das Geschehen von der Luft aus überblicken zu können. Die Polizei ist vor allem darum bemüht, radikale Gruppen von links und rechts voneinander fernzuhalten.

In der Altstadt hat die Stadt unterdessen eine Menschenkette  gegen den JLO-Aufmarsch organisiert, in der sich unter anderem Ministerpräsident Stanislav Tillich (CDU) und Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) einreihen. Es ist jene Menschenkette, der in zahlreichen Medien fälschlicherweise die Verhinderung des Trauermarsches zugesprochen wird. „Das alles hier hat doch überhaupt nichts mehr mit Trauer und Gedenken an die Opfer zu tun“, meint eine Dresdnerin, die als Kind die Bombardierung miterlebt hatte. Lediglich außerhalb der Stadt finden Trauer und Gedenken einen Rahmen: Auf dem Heidefriedhof gedenken wie jedes Jahr mehrere hundert Menschen mit einer Kranzniederlegung der Opfer.

 Auf dem Schlesischen Platz am Bahnhof Neustadt warten die Teilnehmer des Trauermarsches, daß sie loslaufen können. Rund tausend Demonstranten haben sich bis 12 Uhr eingefunden, die meisten von ihnen sind ebenfalls schwarz gekleidet und tragen schwarze Fahnen oder Flaggen der ehemaligen deutschen Ostgebiete. Die Polizei hat den Platz umstellt. Bevor die Demonstranten auf den Platz gelangen, müssen sie sich in einem Zelt auf Waffen und verbotene Kleidungsstücke untersuchen lassen. Der Großteil der Teilnehmer steckt noch unterwegs fest. Die zahlreichen Reisebusse kommen aufgrund von Blockaden nicht durch und müssen im Stadtviertel Wilder Mann parken. Dort sammeln sich die Demonstranten, um geschlossen zum Bahnhof Neustadt zu marschieren. Als der Großteil auf dem Platz ist, riegelt die Polizei diesen ab. Unmut kommt auf. Unter den etwa 6.400 Teilnehmern befinden sich auch zahlreiche NPD-Politiker. Parteichef Udo Voigt ist gekommen. Ebenso sein Stellvertreter Frank Schwerdt, die Abgeordneten der sächsischen Landtagsfraktion und Bundesvorstandsmitglied Thomas Wulff, der als Bindeglied der Partei zu den „freien Kameradschaften“ gilt.

Gegen 15 Uhr teilt die Polizei mit, daß der Trauermarsch nicht als „Aufzug“ stattfinden könne, sondern lediglich als stationäre Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz. Man könne die Sicherheit der Demonstrationsteilnehmer nicht garantieren. Wütende Pfiffe und lautstarker Protest sind die Folge. Zahlreiche Journalisten hinter der Polizeiabsperrung können ihre Freude nur schwer verbergen. Viele grinsen, einige klatschen.

Die Versammlungsleiter versuchen die Menge zu beruhigen: „Wir sind zum Trauern hier.“ Nochmals kommt Hoffnung auf. Die Teilnehmer formieren sich, Flaggen und Transparente werden an die Spitze gebracht. Offenbar soll der Trauermarsch nun doch noch loslaufen können. Um so größer ist die Wut, als die Polizei erneut mitteilt, daß der „Aufmarsch“ aus Sicherheitsgründen nicht genehmigt werden könne. Eine größere Gruppe versucht die Polizeiabsperrung zu durchbrechen. Schneebälle und Plastikflaschen fliegen. In der vorderen Reihe werden, die Teilnehmer gegen die Absperrgitter gequetscht, bei einigen macht sich Panik breit. Die Versammlungsleiter rufen über Lautsprecher dazu auf, Durchbruchversuche zu unterlassen. „Laßt euch nicht provozieren. Es sind Frauen und Kinder unter uns.“ Doch die Demonstranten sind in Rage. Immer wieder drücken einzelne Gruppen gegen die Absperrungen, liefern sich Rangeleien mit den Polizisten und rufen: „Die Straße frei der deutschen Jugend“ und  „Wir wollen marschieren“.

Doch alle Proteste helfen nichts. Um 17 Uhr löst die JLO die Versammlung auf. Bis die Demonstranten die Heimreise antreten können, vergehen noch Stunden. Mehrere Busse wurden von Linksextremisten beschädigt, und auch der Zugverkehr läuft noch nicht regelmäßig.

Landespolizeipräsident Bernd Merbitz wird später gegenüber dem MDR sagen, die Entscheidung der Einsatzleitung, den Trauermarsch nicht gegen die Blockierer durchzusetzen, sei die einzig richtige gewesen. „Wo wären wir heute, wenn die Polizei die Strecke am Samstag freigemacht hätte? Es hätte sich verboten, mit Gewalt gegen Kinder und ältere Frauen vorzugehen.“ Von den Blockierern selbst, so Merbitz, sei jedenfalls keine Gewalt ausgegangen.

Weitere Informationen und eine Bildstrecke im Internet unter www.jungefreiheit.de

Fotos: Teilnehmer des geplanten „Trauermarsches“ sammeln sich am Neustädter Bahnhof: Durch die Blockaden der Linksextremisten verzögert sich die Ankunft vieler Teilnehmern, Deutschfeindliche Transparente (o.), Linkspartei-Politiker Bodo Ramelow, ein von „Autonomen“ umgestürztes Auto: Die Gewalt von links findet in den Medien kaum Erwähnung

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