© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/09 06. November 2009

Sie hatten recht
Streiter für die Wiedervereinigung
Detlef Kühn

In seinem monumentalen Werk „Deutsche Irrtümer. Schönfärber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen“ hat Jens Hacker die Politiker, Wissenschaftler und Journalisten namhaft gemacht, die in den achtziger Jahren nicht mehr bereit waren, den Verfassungsauftrag Wiedervereinigung zu akzeptieren. War damals in Westdeutschland, wie es häufig in zeitgeschichtlichen Darstellungen heißt, „niemand“ mehr für die Einheit? Dieser Vorwurf wäre falsch und soll wohl vor allem der moralischen Entlastung all derer dienen, die zu dieser Zeit die nationale Einheit der Deutschen weder für möglich noch für wünschenswert hielten. Dieser Personenkreis umfaßte vor der friedlichen Revolution in der DDR zwar die Mehrheit der politischen Klasse in der alten Bundesrepublik. Es gab aber immer in Parteien und Medien, natürlich auch im öffentlichen Dienst, Menschen, für die die Teilung nicht akzeptabel war. Sie suchten nach Mitteln und Wegen, die Wiedervereinigung herbeizuführen.

Linke Verfechter einer aktiven Einigungspolitik

Vorausgeschickt sei, daß über die Jahrzehnte der Teilung hin immer eine deutliche Mehrheit der Deutschen in der Bundesrepublik, etwa 70 bis 75 Prozent, die Frage „Würden Sie die Wiedervereinigung grundsätzlich begrüßen?“ bejaht hat. In der DDR, wo man Umfragen dieser Art nicht so einfach vornehmen konnte, waren es wohl noch mehr. Fragte man allerdings, ob sie glaubten, das noch zu erleben, waren die bejahenden Stimmen deutlich geringer – jeweils abhängig vom Stand der innerdeutschen Beziehungen.

In bestimmten Organisationen konzentrierten sich die Befürworter der Einheit. In der CDU gab es unter der Leitung von Johann Baptist Gradl die Exil-CDU, ehemalige Mitglieder der Ost-CDU in der SBZ/DDR, die für eine operative Wiedervereinigungspolitik eintraten und sich für den Zusammenhalt der Deutschen in Ost und West einsetzten. Entsprechend interessierte Mitglieder aller Parteien und des DGB trafen sich im Kuratorium Unteilbares Deutschland (KUD), das große Tagungen im Reichstag an der Mauer abhielt. In Berlin tagten jedes Jahr auch die Deutschen Burschenschaften, die stets zu Vorkämpfern der Einheit gehörten und entsprechende Beiträge regelmäßig in den Burschenschaftlichen Blättern veröffentlichten. Auf der staatlichen Seite war das Gesamtdeutsche Institut – Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (BfgA), zuständig für deutschlandpolitische Bildung, eine wichtige Anlaufstelle für alle Befürworter der deutschen Einheit. Die Behörde verfügte über Rednerdienste in West-Berlin und Westdeutschland mit rund fünfhundert freien Mitarbeitern, darunter auch Politiker, Wissenschaftler und Journalisten. Nachdem der 68er-Zeitgeist vor allem in Berlin eine negative Rolle gespielt hatte, wurde von der Behörde streng darauf geachtet, daß nur noch Redner zum Einsatz kamen, die Deutschlandpolitik oder DDR-Kunde unter Beachtung der Verfassung behandelten. Prominente Vertreter unter den Referenten waren der Völkerrechtler Wolfgang Seiffert und der General a.D. Günter Kießling.

Manche Anhänger der deutschen Einheit standen im Verdacht, „Neutralisten“, Befürworter der Blockfreiheit des wiedervereinigten Deutschlands, zu sein – nicht immer zu Recht; denn oft war ihnen die Einheit nur wichtiger als der militärische Status des wiedervereinigten Landes. Alexander Gallus hat sie alle in einem materialreichen Buch behandelt („Die Neutralisten. Verfechter eines vereinten Deutschland zwischen Ost und West 1945–1990“), unter ihnen hohe Militärs, die die Freiheit des Ruhestandes nutzten (genannt seien Generalmajor Jochen Löser, Oberst Bogislaw von Bonin und Oberstleutnant Alfred Mechtersheimer). In dieselbe Richtung dachten auch aktive Politiker: Bernhard Friedmann (CDU-MdB), der 1987 ein vielbeachtetes Buch „Einheit statt Raketen. Thesen zur Wiedervereinigung als Sicherheitskonzept“ veröffentlichte. Die FDP-Abgeordneten Uwe Ronneburger und Otto Graf Lambsdorff äußerten sich öffentlich im gleichen Jahr, ohne allerdings die Sache weiter zu verfolgen. Solche Versuchsballons gab es öfter. Sie wurden immer bald von den Verfechtern des Status quo zerschossen.

Auch bei der politischen Linken fehlte es nicht an positiven Äußerungen zur Einheit Deutschlands. In gewisser Beziehung bahnbrechend war 1981 das Werk von Peter Brandt und Herbert Ammon „Die Linke und die nationale Frage“. Jetzt konnte niemand mehr behaupten, die Wiedervereinigung sei eine (friedensgefährdende) Marotte von Rechtsradikalen. Später gab es auch bei den Grünen einen Flügel, der für die Einheit eintrat (Rolf Stolz u.a.). Sie beriefen sich auf Rudi Dutschke, dessen deutschlandpolitisches Engagement auch von linken Medien nur ungern anerkannt wurde. Linke Verfechter einer aktiven Einigungspolitik wurden juristisch gestützt von dem Völkerrechtler Theodor Schweisfurth.

Die Befürworter einer operativen Wiedervereinigungspolitik waren abhängig von den Medien. Sie standen ihnen in den achtziger Jahren nur noch selten zur Verfügung – Blätter wie Die Zeit, die Süddeutsche oder auch das Fernsehen (nach Einstellung des „ZDF-Magazins“ von Gerhard Löwenthal und Fritz Schenk) fast gar nicht mehr. Selbst die Springer-Presse war nach dem Tode Axel Springers nur noch bedingt interessiert. Aber es gab immer Lichtblicke, wenn sich journalistische Einzelkämpfer in den Redaktionen durchsetzen konnten: Günter Zehm, Lothar Tönshoff, Diethard Goos bei Springer, Ansgar Graw im Ostpreußenblatt, K.R.Durth in der Kölnischen/Bonner Rundschau, Jörg B. Bilke in der Kulturpolitischen Korrespondenz, Hans Krump und manche andere. Im Hörfunk „stand“ der Deutschlandfunk (DLF), besonders die Ost-West-Redaktion mit Karl Wilhelm Fricke und Peter Joachim Lapp, und oft sogar der amerikanische RIAS in Berlin (Bonner Korrespondent Jürgen Rusche), die auch in die DDR hineinwirkten. Ganz wichtig war die Frankfurter Allgemeine (FAZ) mit ihrem Herausgeber Johann Georg Reissmüller und Friedrich Karl Fromme, Ernst-Otto Maetzke, Karl Feldmeyer. Ihrer aller Unterstützung hat viele Mitstreiter vor den Folgen eines deutschlandfeindlichen Zeitgeists bewahrt.

 

Detlef Kühn, war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts

Fotos: Demonstration für ein ungeteiltes Deutschland auf dem Kurfürstendamm in West-Berlin 1986, Hielt an der deutschen Einheit fest: ZDF-Journalist Fritz Schenk (1930 bis 2006)

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