© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/09 26. Juni 2009

Die Schatten von Versailles
... ragen bis in unsere Tage: 2010 steht eine letzte Tilgung der Reparationsanleihen ins Haus
Werner H. Krause

Im Freudentaumel über die deutsche Wiedervereinigung blieb seinerzeit eine kleine Meldung in der Presse nahezu unbeachtet. Sie lautete: Mit der Herstellung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 sind die Voraussetzungen nach Artikel 25 Buchstabe a für die Bedienung der Zinsrückstände aus den Anleihen eingetreten, die von der Weimarer Republik zur Abgeltung der in Versailles von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges erhobenen Reparationsforderungen an Deutschland eingegangen wurden.

Im Klartext bedeutete dies: Versailles meldete sich zurück, Deutschland wurde wieder zur Kasse gebeten. Arnold Neitzel, Leser vieler Zeitungen, darunter auch der JUNGEN FREIHEIT, war indessen diese Notiz nicht entgangen. Er ersuchte das Bundesfinanzministerium um Aufklärung, ob und in welcher Weise die Bundesrepublik noch immer für Reparationszahlungen aus dem Ersten Weltkrieg aufzukommen habe. Aus der Antwort ging hervor, daß es sich um die Tilgung von Schulden handle, welche aus Staatsanleihen des Deutschen Reiches resultieren, die zwischen 1924 bis 1930 zur Begleichung von Reparations-zahlungen eingegangen wurden.

Die Schatten von Versailles fallen bis in unsere heutige Zeit. Aus einem Bericht des Bundesfinanzministeriums geht hervor, daß allein im Jahre 2002 zur Tilgung derartiger Anleihen 1,8 Millionen Euro sowie weitere 2,3 Millionen Euro an entstandenen Zinsen aufgebracht  werden mußten. Gerade dieser Tage wurde bekannt, daß die Bundesrepublik ihren „Versailler Verpflichtungen“ bis zum Jahre 2010 mit nochmaligen 95 Millionen Euro nachzukommen hat – ohne daß darin die Zinszahlungen enthalten sind, die den bisherigen Erfahrungen nach etwa das Dreifache dieser Summe ausmachen dürften.

Das Jahr 2010 ist insofern von Bedeutung, da zu diesem Zeitpunkt die von der Bundesregierung aufgelegten Fundierungsanleihen zur Tilgung fällig werden. Es klingt schon fast kurios, daß neu eingegangene Anleihen dazu herhalten müssen, jene aus der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges zu begleichen. Stellt sich die Frage, warum sich Deutschland, das heute in der Euro-päischen Union die meisten Zahlungen zum Wohle der anderen Mitgliedsstatten leistet, in punkto Versailles wie ein Schaf verhält, das sich immer wieder neu scheren läßt?

Dazu gibt es bestimmte Hintergründe, die sich aus einem Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums unschwer herauslesen lassen. Auf einer Außenministerkonferenz der drei westlichen Alliierten, die im September 1950 in New York stattfand, wurde beschlossen, die Bundesrepublik zur Anerkennung jener „Uraltschulden“ zu veranlassen. Bundeskanzler Konrad Adenauer wurde das „Angebot“ unterbreitet, man wolle das Besatzungsstatut in Deutschland wesentlich lockern, insofern er die Verbindlichkeiten von 65 Gläubigerinstitutionen aus dem Jahre 1924 anerkenne.

Adenauer tat dies, woraufhin der jungen Bundesrepublik Deutschland die Errichtung eines eigenen Außenministeriums gestattet wurde und die ersten diplomatischen Anerkennungen westlicher Staaten erfolgten. Bis heute klafft übrigens eine große Lücke zwischen der alliierten und der deutschen Berechnung über die Höhe der geleisteten Reparationszahlungen, die insgesamt einmal etwa 118 Milliarden Goldmark betragen sollten. Die Sieger des Ersten Weltkriegs gehen von erbrachten 21,8 Milliarden Goldmark aus, während die deutsche Seite von 67,7 Milliarden Goldmark spricht.

Diese unterschiedliche Bewertung hat damit zu tun, daß man sich über die Höhe der entnommenen Sachleistungen nicht zu einigen vermochte. Die Siegermächte des Ersten Weltkriegs ließen in Versailles erkennen, daß ihnen nicht nur an Geld gelegen war. Frankreich beispielsweise begehrte deutsche Industriegüter, insbesondere auch Kohlelieferungen aus dem Ruhrgebiet. Großbritannien wiederum war vor allem an der deutschen Handelsflotte interessiert, die zu einem großen Teil englischen Reedereien übergeben werden mußte. Die USA waren darauf aus, deutsches Knowhow in die Hände zu bekommen. Besonders hatte es ihnen die deutsche Zeppelin-Luftfahrt angetan. Im Jahre 1921 verlangten sie als Reparation die Auslieferung von zwei der allerneuesten Zeppelin-Modelle.

Solcherlei Forderungen trafen die deutsche Wirtschaft bis ins Mark. Durch die Wegnahme vieler Handelsschiffe geriet der deutsche Export immer mehr ins Hintertreffen. Die Auslieferung der Verkehrsluftschiffe führte zeitweilig zu einem völligen Erliegen dieses Teils der Luftfahrt. Nicht nur daß dies und eine Reihe weiterer Maßnahmen für die deutsche Wirtschaft eine schwere Einschränkung bedeuteten – besonderen Schaden stiftete die Tatsache, daß sich zwischen den Alliierten und Deutschland keine Einigung über den Wert der konfiszierten technischen Güter erzielen ließ. Die Alliierten waren darauf bedacht, alles, was sie sich an deutscher Technik aneigneten, vom Wert her möglichst niedrig anzusetzen, so daß dies bei den deutschen Reparationszahlungen kaum ins Gewicht fiel .

Auch schien sich in Versailles niemand daran zu stören, daß als Siegermacht im Kreise der Alliierten ebenfalls Polen Platz genommen hatte, dessen Wiedererstehen als Staat im Jahre 1916 mit maßgeblicher Hilfe des deutschen Generalgouverneurs Hans von Beseler zustande gekommen war. Zwei Jahre später brach Polen mit Deutschland, bezeichnete sich jetzt als jenen Staaten zugehörig, die über Deutschland den Sieg errungen hatten, und trug in Versailles seine Forderungen nach Einverleibung deutschen Staatsgebiets vor. Dies führte dann zur Lostrennung eines großen Teils von Westpreußen, Posens sowie bestimmter Gebiete in Oberschlesien. Die deutsche Bitte, daß dies wenigstens wertmäßig seinen Niederschlag innerhalb der Reparationsleistungen finden müsse, fand keinerlei Zustimmung

Am 1. September 1929 wurde gemäß dem Young-Plan eine Reparationszahlung von 59 Jahresraten zu je zwei Milliarden Reichsmark festgelegt. Die damalige Weltwirtschaftskrise führte zur deutschen Zahlungsunfähigkeit. Daß gerade jetzt, wo das Ende der deutschen Zahlungen bevorsteht, die noch aus Versailles herrühren, erneut eine weltumspannende Krise ein Beben in vielen Staaten hervorruft, erscheint als historischer Treppenwitz.

Foto: Eine von vielen auf Reparationskonto erbaute Riesen-Lokomotive wird an die Alliierten abgeliefert, Januar 1932: Allein 2010 zahlt die Bundesregierung 95 Millionen Euro aus „Versailler Verpflichtungen“

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