© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/08 19. September 2008

Lebensschutz
Mehr Mut zum Widerstand
Dieter Stein

Wie gelangt ein Anliegen an die Öffentlichkeit? Wie kann man es schaffen, lethargische Bürger wachzurütteln und zum Handeln zu bewegen? Wie durchbricht man die Schweigespirale, die ein Thema aus dem Bereich der öffentlichen Meinung ausblendet? Die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann definierte "Öffentliche Meinung" einmal folgendermaßen: "Meinungen im kontroversen Bereich, die man öffentlich äußern kann, ohne sich zu isolieren."

Isoliert man sich, wenn man gegen das Abschlachten von Robbenbabys demonstriert? Nein. Isoliert man sich, wenn man die Rettung tropischer Regenwälder fordert? Nein. In  solchen Fällen ist der Raum der öffentlichen Meinung weit geöffnet. Wer sich dort äußert und engagiert, rennt sperrangelweit offene Türen ein. Wie ist es nun, wenn man sich öffentlich gegen das alltägliche Töten ungeborener Kinder im Mutterleib wendet, wenn man sich nicht für den Schutz von Robben-, sondern von Menschenbabys einsetzt?

Hier bekommt man eine Ahnung von der "Isolationsfurcht", von der Noelle-Neumann in ihrer Untersuchung der Schweigespirale spricht. Selbstverständlich kostet es eine ungeheure Überwindung, für ein Thema auf die Straße zu gehen, bei dem die Menschen Angst vor Ausgrenzung haben.

Diese Angst überwinden und Mut zum Bekenntnis machen will der seit 2002 alle zwei Jahre in Berlin veranstaltete Marsch "1000 Kreuze für das Leben". Die Idee hierzu hatte der Lebensschutzaktivist Thomas Schührer, dem bewußt geworden war, wie schwer es ist, die unglaubliche Zahl von - einschließlich Dunkelziffer - jährlich rund 300.000 getöteten ungeborenen Kindern in Deutschland anschaulich zu machen. Mit 1.000 weißen Holzkreuzen an die gleiche Zahl von Kindern zu erinnern, die aufgrund eines gewaltsamen ärztlichen Eingriffs täglich in Deutschland nicht zur Welt kommen, ist ein Mittel, die schreckliche Dimension greifbar zu machen.

Seit der Liberalisierung des Abtreibungsparagraphen 218 im Jahr 1974 sind geschätzt neun Millionen ungeborene Kinder ums Leben gebracht worden. Stumm zieht diese endlose Kolonne an uns vorbei. Unsichtbar. Schweigend. Nie erreichte ihr Schrei unser Ohr.

Wenn der inflationär verwendete Begriff der Zivilcourage (zumeist für Leute, die Auffassungen vertreten, bei denen keine Isolation droht) auf Menschen zutrifft, dann auf jene Aufrechten, die am kommenden Samstag wieder die "1000 Kreuze für das Leben" durch Berlin-Mitte tragen. Sie demonstrieren, daß die Kinder Anwälte unter den Lebenden haben, die sie nicht vergessen.

Manchmal ähnelt der Einsatz für Grundwerte einem Kampf gegen Windmühlen. Doch Noelle-Neumann macht den Avantgardisten einer scheinbaren Minderheitenposition Mut: "Das Konzept der Schweigespirale reserviert die Möglichkeit, die Gesellschaft zu verändern, demjenigen, der Isolationsfurcht nicht kennt oder sie überwindet." Also, auf zur Demo!

Informationen: Bundesverband Lebensrecht, Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin, www.1000kreuze.de 

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