© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/07-01/08 21./28. Dezember 2007

Analysen ohne Altersmilde
Wieder einmal legt das Urgestein der außenpolitischen Berichterstattung einen schonungslosen Lagebericht vor
Michael Weis

Mit seinem neuesten Buch "Zwischen den Fronten - Erlebte Weltgeschichte" legt Peter Scholl-Latour ein gleichsam packendes und überaus informatives Werk vor. In diesem erörtert der am 9. März 1924 in Bochum geborene Meister der Publizistik nahezu alle akuten Krisenherde von direkter globaler Bedeutung und beweist in seiner unvergleichlichen Art ganz nebenbei, daß er noch immer der "Alterswut" den Vorzug vor der "Altersmilde" gibt und für analytische Glanzstücke auch in fortgeschrittenem Alter mehr als nur gut ist.

Die Grundlage des Buches bilden dieses Mal die von Scholl-Latour zwischen April und Juli 2007 in die USA, den Nahen- und Mittleren Osten sowie nach Asien und Rußland unternommenen Reisen, bei denen ihm seine jahrzehntelange Erfahrung und hervorragenden Kontakte hilfreich waren. Seine aktuellen Beobachtungen führten vor dem Hintergrund direkter persönlicher Erfahrungen und umfassender politischer Kenntnis zu einem nachdenklich-realistischen, oft skeptischen Werk des "letzten Welterklärers" (Der Spiegel).

Bereits im ersten, den USA gewidmeten Kapitel nimmt er kein politisch korrektes Blatt vor den Mund, ohne - bei aller individuell-subjektiven Einschätzung - den Eindruck übermäßiger Unsachlichkeit oder Unausgewogenheit aufkommen zu lassen. So äußert Scholl-Latour zwar weitreichende Kritik an der momentanen amerikanischen Außen- und Innenpolitik, spricht der Supermacht aber gleichzeitig ohne negative Betonung, ja teils hoffnungsvoll, die Rolle als wichtigster Schicksalsträger der Weltpolitik zu. Zwar verhehlt er kaum seine Abneigung gegen die Neokonservativen, die extremen Evangelikalen sowie den aktuellen US-Präsidenten, doch gibt er sich zur selben Zeit als grundsätzlicher Amerikafreund zu erkennen.

Den somit bereits ab den ersten Seiten durch vielfach analytische, kritisch-mahnende sowie persönliche Einschätzungen und historische Einordnungen geprägten Stil zeichnet Scholl-Latours gesamtes Buch aus. Mit teils amüsant-ironischem Unterton, aber unter Beibehaltung der von ihm bekannten Unbeirrbarkeit widmet er sich den Problemen im Nahen Osten genauso wie Chinas hegemonialem Streben in Asien. Er betrachtet die Rolle Europas, die Politik Frankreichs sowie Deutschlands und läßt bei seinem Rundumschlag zu guter Letzt auch Rußland nicht aus. Daß er dabei, besonders auf den ersten hundert Seiten, öfter einmal zugunsten historischer Eindrücke von der zielgenauen Gegenwartsanalyse abschweift, ist zwar stellenweise schade, wird aber durch die historische Einordnung mehr als wettgemacht. Schließlich gibt es wohl fast niemanden auf der Welt, der bei derart vielen Ereignissen von weltgeschichtlicher Tragweite hautnah dabei war.

Auch wenn regelmäßigen Scholl-Latour-Lesern einige der beschriebenen Erfahrungen und Bewertungen bereits aus zuvor erschienenen Büchern des journalistischen Urgesteins bekannt sein dürften, liefert das aktuelle Werk doch eine beeindruckend kompakte und gleichzeitig umfassende Zusammenfassung seiner Erkenntnisse. Diese ordnet die beschriebenen internationalen Themen in ein großes Ganzes ein und setzt sie in Beziehung. Dabei besteht die besondere Leistung in den eingebundenen Detailbetrachtungen. Der Reiz für den Leser liegt sicherlich nicht zuletzt in der Schilderung persönlicher Eindrücke und der angstfreien authentischen Stellungnahme. Deutliche Wiederholungen sucht man vergebens, und die in den ersten Kapiteln auftretenden kleineren Längen verblassen beinahe vollends angesichts des sich zum Ende hin stetig steigernden Gesamtwerkes.

"Zwischen den Fronten" ist somit ein lesenswertes Buch, das wie fast kein anderes die maßgeblichen Konflikte der Gegenwart vor dem Hintergrund wirklich persönlicher Erlebnisse untersucht. Die eingeflochtenen Seitenhiebe auf die vielfach ängstlich-zögerlichen westlichen (besonders deutschen) Politiker, die 68er, die EU-Erweiterungswut, auf blauäugige Gutmenschen und die krampfhafte Pseudo-Öko-Lobby dürften bei allzu großen Konformisten zwar polarisieren, wirken vielleicht gerade deshalb erfrischend - vor allem, weil sie weder wahrhaft extrem noch exzessiv wirken. Schließlich zeigt Scholl-Latour mehr als einmal alternative Handlungsmöglichkeit auf und hat in der Vergangenheit schon oft seine Prognosefähigkeit bewiesen. All jenen, die Peter Scholl-Latours offenen Stil mögen und durch eine kompakte Zusammenfassung die Hintergründe der heutigen Konflikte besser verstehen oder sich von persönlichen Schilderungen aus über fünfzig Jahren direkt erlebter Historie faszinieren lassen möchten, sei die Lektüre empfohlen. Realitätsfernen Weltverbesserern gleich welcher politischen Ausrichtung sollte diese Zusammenfassung erlebter Weltgeschichte als Pflichtlektüre verordnet werden.

Peter Scholl-Latour: Zwischen den Fronten. Erlebte Weltgeschichte. Propyläen Verlag, Berlin 2007, gebunden, 304 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro


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