© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/07-01/08 21./28. Dezember 2007

"Schnee, der niemals fällt"
Weltweit feiern Christen Weihnachten - doch in Ländern wie zum Beispiel Indien nur unter Lebensgefahr
Moritz Schwarz

Herr Pfarrer, Indien gilt in Deutschland allgemein als freundliches Land der Weisheit und der Toleranz. Tatsächlich aber sind, hierzulande ignoriert, Christen dort besonderer Verfolgung ausgesetzt. Wie feiern Sie in dieser Situation das Weihnachtsfest?

Soans: Leider verschwinden in der Tat die Christen in Ländern wie Indien leicht aus dem Blick der Europäer, weil bei Ihnen wenn überhaupt viel eher die Lage der Christen in den moslemischen Staaten wahrgenommen wird. Ich verstehe natürlich die Gründe dafür und sage das deshalb auch nicht als Vorwurf, sondern als einen Hinweis.

Im Sommer dieses Jahres wurden acht Inder im sächsischen Mügeln Opfer eines Übergriffs. Unsere Medien waren wie gebannt von dem Zwischenfall. Würden Sie sie sich eine solche Aufmerksamkeit auch einmal für diejenigen Ihrer Landsleute wünschen, die in Indien Opfer von Übergriffen werden?

Soans: Natürlich, zumal wir indische Christen in ganz anderen Dimensionen der Bedrohung ausgesetzt sind. Allein bis Anfang Oktober hatten wir 2007 hierzulande 192 Fälle von tätlichen Angriffen auf Christen, 48 Angriffe auf Kirchen, 57 Christen, die auf falsche Beschuldigungen hin verhaftet wurden, und 15 Morde an Christen!

Sie meinen, in Indien ist jeden Tag Mügeln?

Soans: Wir indischen Christen sind in der Tat täglich der Bedrängung ausgesetzt. Und zwar in dreierlei Hinsicht: Erstens haben wir Nachteile, weil unser Glaube uns verbietet, an gewissen Mechanismen der indischen Gesellschaft teilzunehmen. Beispiel Korruption: Ohne zu schmieren, kommen Sie in Indien nicht an die Reihe. Wir Christen bestechen aber nicht, deshalb müssen wir auf alles unendlich lange warten. Um so schlimmer, da wir, um eine Gemeinde zu gründen oder um zu heiraten, einer staatlichen Lizenz bedürfen. Zweitens werden wir diskriminiert: Sei es von seiten des Staates, der uns wie Bürger zweiter Klasse behandelt, oder von seiten unserer Landsleute, die uns täglich ihre Abneigung spüren lassen. Drittens werden Christen in Indien vor allem von nationalistischen Hindus, die nur Hinduisten als "wahre Inder" gelten lassen und eine Arier-Ideologie pflegen, immer wieder angegriffen, gequält und getötet. Vereinzelt sind aber auch Islamisten die Täter. Es gibt immerhin über 13 Prozent Moslems in Indien.

Warum gelten Christen nicht als "wahre Inder", schließlich sind alle Angehörigen Ihrer Gemeinde rein indischer Abstammung?

Soans: Weil man Christen mit dem Westen identifiziert. Wir erklären immer, daß das Christentum nicht aus dem Westen, sondern aus dem Osten kommt, nämlich aus dem Vorderen Orient! Aber es nützt nichts, wohl weil wir zu verschieden sind von der indischen Mentalität.

Inwiefern?

Soans: Denken Sie nur an das Kastensystem, an dessen Ende die Unberührbaren stehen: Wenn dir zum Beispiel ein Unberührbarer ein Glas Wasser reicht, mußt du das Wasser in deine Hand schütten, um es zu trinken, denn keinesfalls dürfen deine Lippen das Glas berühren, das zuvor die Hände eines Unberührbaren umfaßt haben! Wir Christen versuchen diese Einstellung zu überwinden, denn alle Menschen sind Kinder Gottes, und jeder Christ ist uns ein Bruder, gleichgültig zu welcher Kaste er gehört.

Auch der Staat versucht die Kastenunterschiede abzubauen.

Soans: Und dennoch ist diese Tradition so stark, daß die christliche Wahrheit von der Gleichheit aller Menschen hierzulande provoziert. Aber es gibt noch andere Unterschiede: So herrscht in Indien etwa eine Kultur der Gier. Die Maxime lautet: Nimm, was du kriegen kannst! Man muß wissen, daß in der indischen Vorstellung Heiligkeit und Armut miteinander verbunden sind. Das bedeutet, daß viele nicht versuchen, sich daraus zu befreien, sondern darin verharren und erwarten, von anderen durchgefüttert zu werden: Als Konsequenz entwickelt man eine Haltung des Nehmens. Das Christentum dagegen pflegt eine Kultur des Gebens. Geben zu können, setzt aber voraus, etwas zu leisten, um es dann mit den Armen und Kranken teilen zu können. Obwohl also unsere Gemeinde keinerlei Einkommen von außerhalb hat, wir alle unsere Mittel selbst aufbringen müssen, verwenden wir dennoch einen Teil darauf, Armen zu helfen und Kranke zu pflegen.

Dabei haben Sie nicht einmal eine Kirche.

Soans: Nein, wir haben überhaupt keinen Besitz. Wir haben nicht einmal eine Lautsprecheranlage für den Gottesdienst. Dafür haben wir kein Geld. Wir müssen Räume und Gerät anmieten, um uns versammeln und gemeinsam beten zu können. Das Ärgerliche ist, daß das auf die Dauer viel teurer ist! Aber jede feste Anschaffung würde zu viel Geld auf einmal kosten. Die meisten Mitglieder spenden jeden Monat dreißig bis vierzig Prozent ihres Einkommens für die Gemeinde. Ich selbst achtzig - und lebe von den restlichen zwanzig.

Wie feiern Sie Weihnachten?

Soans: Weihnachten beginnt bei uns in Indien mit einem mehrstündigen hohen Gottesdienst am Heiligen Abend: Wir eröffnen ihn mit einer innigen und ausgiebigen Anbetung Gottes. Danach kommen all die schönen, festlichen Lieder mit all den Instrumenten und gesungen in vielen Sprachen. Dann folgt eine inbrünstige Predigt über Gottes wunderbares Wirken in der Welt. Wir schließen ab mit den Fürbitten. Danach sitzen wir noch alle zusammen und stärken uns mit Kaffee und Kuchen. Der eigentliche Weihnachtsfeiertag ist dann ein Familientag mit einem ausgiebigen Festmahl am Nachmittag. Wir besuchen uns alle gegenseitig. Es ist ein freudenvoller Tag der Herzlichkeit: Alle sind wie eine Familie.

Übernehmen Sie auch Weihnachtsbräuche aus Europa und den USA?

Soans: Manche von uns stellen sich Weihnachtsbäume auf und schmücken sie mit Kerzen und Baumwollfetzen, die den Schnee darstellen, der ja in Indien niemals fällt, denn wir haben hier nur drei Jahreszeiten: heiß, heißer und noch heißer. Oder der heilige Nikolaus reitet auf einem Elefanten. Das Weihnachtsessen ist traditionell indisch, aber wer Geld hat, importiert Weihnachtspudding direkt aus London. Anders übrigens als bei Ihnen in Deutschland endet Weihnachten schon einen Tag früher: Am 26. Dezember arbeiten wir schon wieder.

Provoziert das Weihnachtsfest die Gewalt gegen Christen in besonderem Maße?

Soans: Wir werden immer wieder bedroht, ich persönlich schon unzählige Male. Dabei haben wir noch Glück, eine Stadtgemeinde zu sein, denn auf dem Land ist es viel schlimmer. Manchmal beschimpfen sie uns nur per Telefon, manchmal aber stürmen sie in den Gottesdienst, mitunter mit Eisenstangen, um zuzuschlagen. Aber wer sich für Christus als seinen Erlöser entscheidet, der weiß, daß er Verfolgung gewärtigen muß, und fürchtet sich nicht. Denn, so sagt uns Jesus schon in der Bibel, daß die Seinen um seinetwillen verfolgt werden.

Sie sind selbst einem solchen Mob nur mit Glück entkommen.

Soans: Nicht mit Glück, ich bin schnell gerannt und der Herr ist auf meiner Seite. Einen meiner Kollegen haben fanatische Hindus versucht zu erhängen: Er wurde überfallen und an einem Elektrokabel stranguliert. Dank der Gnade Gottes wurde er gerettet, bevor der Tod eintrat, weil die Polizei in letzter Sekunde einschritt. Schockierend waren auch die Bilder eines TV-Teams, das filmte, wie Moslemextremisten einen Pastor überfielen und mit Stöcken zusammenschlugen. Wenn man dann im Fernsehen sieht, wie der Mann unter den Hieben Jesus anfleht, dann geht das unter die Haut. Einen weiteren christlichen Geistlichen hat man gezwungen, Säure zu trinken, das hat er nicht überlebt. Als ich 1973 zum Christentum fand, konnte ich mit der Gitarre auf der Straße, zum Beispiel an Bombays berühmtem Wahrzeichen, dem "Gateway to India", das Evangelium verkünden, und es gab keinerlei Probleme. Heute wäre das unmöglich, noch bevor die Fanatiker auf einen losgehen könnten, wäre man schon verhaftet und abtransportiert, weil es inzwischen in manchen Bundesstaaten Gesetze gegen christliche Mission gibt. Und wenn Sie als Ausländer bei Ihrer Einreise nach Indien als Aufenthaltsgrund "christliche Missionstätigkeit" angeben, erhalten Sie erst gar kein Visum.

Fühlen Sie sich als Christen vom Westen im Stich gelassen?

Soans: Wir beneiden unsere christlichen Brüder im Westen, ich sage es offen. Aber nicht etwa deshalb, weil sie keiner Bedrückung und Verfolgung ausgesetzt sind, sondern weil sie so viele Privilegien, so viele Geld und Mittel und damit so viele Möglichkeiten haben, Gott zu ehren. Das Schönste ist doch, das Geld für eine Kirche zu haben, dem Herrn ein Haus zu bauen. Aber ich will nicht klagen, wir Christen in Indien freuen uns darüber, daß Europäer und Amerikaner den Herrn mit soviel Herrlichkeit preisen können. Wir wollen uns dieser Verehrung anschließen, und weder Verfolgung noch Armut werden uns daran hindern. Am Ende spielen auch weder Geld noch Besitz eine Rolle, sondern nur, das Evangelium weiterzugeben und zu erleben, wie Menschen von der Berührung Gottes verwandelt werden.

Sie haben Europa mehrfach besucht, haben die Europäer noch einen festen Glauben?

Soans: Es ist schon erstaunlich, daß im armen Indien der Glaube wächst und im reichen Europa oft so schwach ist. Das macht mich traurig. Aber ich habe auch bei Ihnen Menschen mit großem Hunger nach Gott und brennendem Glauben kennengelernt.

In Deutschland gilt selbst unter vielen Christen Mission heute als etwas Anstößiges.

Soans: Bei uns wird gern versucht, die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien herabzuwürdigen und die indische Geschichte auf fundamentalistisch-nationalistische Weise zu interpretieren. Natürlich ist es richtig, daß der Kolonialismus auch viel Harm über Indien gebracht hat, aber eben auch viel Gutes, wie Bildung und Wissen, Technologie, Wohlfahrt, Wohlstand und das Wort Gottes. Indien hat profitiert, so daß wir zum Beispiel heute hervorragende Wissenschaftler haben, die Weltruf genießen.

Offiziell hat Indien zwar nur 2,3 Prozent Christen - tatsächlich sind es vermutlich über sechs Prozent -, aber es gehört zu den Ländern, in denen das Christentum schnell wächst. Was ist der Grund dafür?

Soans: Jeden Tag finden etwa 22.000 unserer Landsleute den Weg zu Jesus, das macht uns stolz. Der Grund dafür ist ihr Hunger nach Wahrheit, nach festem Grund, nach Realität. Im Christentum finden sie Substanz und Charakter. Die Welt der Menschen ist doch eine Welt des Ansehens, der Reputation: Welche Stellung habe ich inne? Welche Macht? Welchen Einfluß? Aber Reputation ist immer eine Sache der Zuordnung, des Scheins, nicht der Wahrheit, des Seins. Reputation ist, was andere in dir sehen, Charakter ist, was du tatsächlich bist. Das Christentum fragt nach deinem Charakter, nach deinem wahren Selbst. Es zwingt dich, Dein Blatt auf den Tisch zu legen. Und es ist die Liebe Gottes, die die Menschen spüren und die es in den übrigen Religionen nicht gibt. Denn die Hindus etwa haben keine persönliche Beziehung zu Gott. Für sie ist ihr Gottesdienst lediglich eine Pflicht, die die Religion verlangt. Für uns dagegen ist er ein inneres Bedürfnis, denn wir Christen erlangen ein inniges Verhältnis zu Gott.

Was würden Sie sich zu Weihnachten für die Zukunft vom christlichen Europa wünschen?

Soans: Daß uns die Europäer nicht vergessen oder übersehen und daß sie uns helfen, wenn ihnen dies möglich ist. Zum Glück gibt es Hilfsorganisationen wie das überkonfessionelle Open Doors International, die nicht nur unermüdlich versuchen, über das Schicksal ihrer verfolgten Glaubensbrüder in aller Welt aufzuklären, sondern auch uns Christen in Bedrückung und Verfolgung auf unserem Weg begleiten. Organisationen wie Open Doors machen christliche Solidarität lebendig.

 

Dr. Willie Soans ist Gründer und Pfarrer der freikirchlichen "Gemeinde der Hoffnung" ( www.cohindia.com ) in Mumbai (ehemals Bombay), betreut von der internationalen christlichen Hilfsorganisation Open Doors. Der ehemalige Ingenieur, Jahrgang 1952, machte eine Ausbildung zum Theologen, war als Missionar tätig, bereiste Asien, Europa und die USA und leitete schließlich das indische Discipleship Training Centre, wo er Hunderte Missionare ausbildete.

 

Kontakt: Open Doors Deutschland, Postfach 11 42, 65761 Kelkheim, Telefon: 0 61 95 / 67 67 0, Im Internet: www.opendoors-de.org

Verfolgte Christen in Indien: Vom Westen fast unbeachtet spitzte sich die Lage für die Christen in Indien immer weiter zu. Offiziell 2,3 Prozent, tatsächlich aber vermutlich über sechs Prozent der 1,3 Milliarden Inder sind christlichen Glaubens (80 Prozent Hindus, 13 Prozent Moslems, 1,9 Prozent Sikhs, 0,8 Prozent Buddhisten). Regierungsgesetze und Hindu-Fanatiker machen ihnen schwer zu schaffen. So belegen Anti-Konversions-Gesetze mittlerweile die Bekehrung zum Christentum mit Gefängnis- und Geldstrafen, und radikale Hindus sind bestrebt, das Land in "Hindustan" umzubenennen. Bereits 53 n Chr. soll der Apostel Thomas in Indien missioniert haben, die sogenannten "Thomaschristen" sind somit älter als die Christen in Europa. Im 15. Jahrhundert folgten portugiesische Missionare. Heute sind über die Hälfte der indischen Christen Katholiken. Obwohl die ab dem 18. Jahrhundert folgenden Briten nicht viel Wert auf Mission legten, traten schließlich ganze Stämme zur anglikanischen bzw. evangelischen Konfession über.

 

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