© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/07-01/08 21./28. Dezember 2007

Versuch des Umsturzes
Der 13. Dezember 2007 - ein schwarzer Tag für Europa
Karl Albrecht Schachtschneider

Mit dem Vertrag von Lissabon, den sie Reformvertrag nennen, haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union den gescheiterten Vertrag über eine Verfassung für Europa noch einmal geschlossen. Sie geben den Versuch des Umsturzes nicht auf. Wenn dieser Vertrag zur Geltung kommt, ist der Weg in die Diktatur geebnet. Der neue Vertrag unterscheidet sich in der Substanz nicht von dem Verfassungsvertrag. Er ist eine Verfassung für etwa 500 Millionen Menschen, aber wird nicht so genannt, weil der Staatspräsident Frankreichs meint, diese semantische Änderung erlaube es ihm, über die ablehnende Volksabstimmung der Franzosen im Mai 2005 hinwegzugehen. Ähnlich will auch die niederländische Regierung verfahren. Die Bundesregierung hat beharrlich verdrängt, daß Deutschland dem Verfassungsvertrag nicht zugestimmt hat, weil der Bundespräsident das Zustimmungsgesetz nicht unterschreiben durfte, solange das Bundesverfassungsgericht nicht über die von mir vertretene Verfassungsklage des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler entschieden hat.

Es muß den Führern Europas um viel gehen, wenn sie so mit ihren Völkern und Verfassungsorganen umspringen. Es sind vor allem die gänzlich entdemokratisierte Kriegsverfassung, die militärischen Einsatz der Mitgliedstaaten, etwa zur Terrorbekämpfung, in der ganzen Welt zur Pflicht macht, und die diktatorischen Vollmachten, die der Vertrag dem Europäischen Rat einräumt.

Der Vertrag ermächtigt in Art. 33 Abs. 6 EUV den Europäischen Rat im "vereinfachten Änderungsverfahren" "zur Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen des Dritten Teils des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union", wie der EG-Vertrag nun heißen soll. Das betrifft die gesamte Wirtschafts- (Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln), Währungs- und Sozialpolitik, die Landwirtschafts- und Umweltpolitik, die Arbeits- und die Steuerpolitik, die Polizei- und die Justizpolitik, die Verkehrspolitik und so weiter, ja sogar die Kulturpolitik, außer der Außen- und Sicherheitspolitik, die ohnehin fest im Griff der Nato ist. Solchen Änderungen muß weder das Europäische Parlament zustimmen noch die nationalen Parlamente, wenn das nicht anders in den Verfassungsgesetzen der Mitgliedstaaten geregelt ist. Bundestag und Bundesrat jedenfalls können solche Änderungen nicht verhindern. Die Völker müssen nicht mehr gefragt werden. Den ständigen Ärger will man sich in Zukunft ersparen. Daneben kann die Ermächtigung des Rates in Art. 269 Abs. 3 des Arbeitsvertrages, "neue Kategorien von Eigenmitteln" einzuführen, also auch europäische Steuern zu schaffen, kaum noch aufregen.

Entgegen der Propaganda wird die Demokratie nicht gestärkt. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, in dem Gesetze der Zustimmung des Rates und des Europäischen Parlaments bedürfen, wird zwar zur Regel, aber erstens hat dieses Parlament keine demokratische Legitimationskraft, weil es nicht gleichheitlich gewählt ist, und zweitens bleiben alle wichtigen Politiken ausklammert, vor allem die Sicherheitspolitik, aber auch die Wirtschaftspolitik, insbesondere die in Zeiten der Globalisierung zentrale Handelspolitik.

Die Europäische Union ist eine durch und durch demokratieferne Veranstaltung. Demokratische Legitimation, die nur von einem Volk ausgehen kann, das die Unionsbürger nicht sind, wird durch fragwürdige Legitimität des Europäischen Rates und des Rates und besorgniserregende Effizienz der Kommissionsbürokratie ersetzt. Die für Rechtsstaaten essentielle horizontale Gewaltenteilung geht im exekutivistischen Unionsstaat unter. Dessen Bundesstaatlichkeit läßt sich nach dem neuen/alten Vertrag nicht mehr bestreiten, beansprucht er doch fast alle politischen Zuständigkeiten und spricht den Mitgliedstaaten die Zuständigkeiten ab, wenn seine Zuständigkeit ausschließlich ist oder er geteilte Zuständigkeiten in Anspruch genommen hat. Den freiheitswidrigen Vorrang des Unionsrechts vor allem nationalen Recht, auch den Verfassungen, beansprucht der Vertrag weiter, expliziert jetzt in der 27. Erklärung.

Die Grundrechtecharta, die verbindlich werden soll, wird den Grundrechteschutz weiter schwächen, nachdem der Gerichtshof der Union, der die wesentliche Grundrechteverantwortung usurpiert hat, in einem guten halben Jahrhundert seiner Judikatur nicht ein einziges Mal einen Rechtsetzungsakt der Union als grundrechtswidrig zu erkennen vermocht hat. Von diesem "Motor der Integration" ist kein Rechtsschutz zu erwarten.

Wenn das Bundesverfassungsgericht endlich zugibt, daß die Union sich zu einem Bundesstaat entwickelt hat, zumal mit existentieller Staatlichkeit ausgestattet, wird das Vertragswerk, das diese Entwicklung verfestigt, in Karlsruhe einen schweren Stand haben.

Ein schwacher Trost ist das Austrittsrecht. Welcher deutsche Politiker wagt, dieses ins Gespräch zu bringen? Dazu fehlt Deutschland die Souveränität. 13. Dezember 2007 - ein schwarzer Tag für Freiheit und Recht, Demokratie, Rechts-staat und Sozialstaat, für Deutschland und Europa.

 

Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider lehrt Öffentliches Recht an der Universität Erlangen-Nürnberg.


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