© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Österreich als erstes Opfer Hitlers anerkennen
Zu Ehren eines raren Zeitzeugen: Otto von Habsburg und seine Rolle bei den Westalliierten während des Zweiten Weltkriegs
Alfred Schickel

Es kommt nicht allzu oft vor, daß ein Mann noch über ein halbes Jahrhundert nach seiner Erwähnung in hochpolitischen Staatsakten in der Öffentlichkeit eine beachtete Rolle spielt und zu einem der rarsten Zeitzeugen der Gegenwart wird. Otto von Habsburg, der in diesen Tagen 95 Jahre alt wurde, ist eine solche Ausnahmeerscheinung. Ihm begegnet der Historiker sowohl in englischen als auch US-amerikanischen Diplomatenberichten und persönlichen Präsidenten-Papieren.

So erscheint Ottos Name in einem von William Strang und Gladwyn Jebb im Juni 1939 dem Londoner Außenministerium vorgelegten Geheimreport über eine Erkundungsreise durch Polen. Es geht dabei um die Pläne Warschaus für ein besiegtes Deutschland. Danach sollte das Deutsche Reich nicht nur Ostpreußen und Teile Schlesiens an das siegreiche Polen abtreten, sondern auch in "zwei oder mehr Teile geschnitten werden" und der "größere Abschnitt aus einem südlichen und katholischen Block bestehen, vielleicht unter dem Erzherzog Otto". Die deutsche Bevölkerung der von Polen beanspruchten Gebiete sollte übrigens "transferiert" werden, womit gleichzeitig ein frühes Zeugnis für die späteren Vertreibungsaktionen dokumentiert ist.

Von ganz anderen Zukunftsperspektiven gingen wiederum jene Mitteilungen über Otto von Habsburg und Österreich aus, welche Roosevelts Botschafter in Paris, W. C. Bullitt, im August 1939 "streng vertraulich" ins Weiße Haus kabelte. Da ist in dem Botschaftstelegramm vom 29. August 1939 davon die Rede, daß "Otto sehr nützlich sein könnte, um die innere Moral Deutschlands aufzuweichen", wenn man ihm bestimmte Voraussetzungen schaffe. Diese wurden laut Bullitt am 26. August 1939 zwischen Ministerpräsident Édouard Daladier, dem Kaisersohn und Bullitt vertraulich besprochen und mündeten in dem Beschluß, zwei geheime Radio- sender einzurichten, mit denen jeden Tag ein Propaganda-Programm nach Österreich" gesendet werden sollte. Als weiterer Schritt wurde in Paris - so Bullitt an Roosevelt - "ein Österreichisches Unabhängigkeitskomitee" gebildet. Bei Kriegsausbruch sollte dieses Komitee von der französischen Regierung als Vertretung des unabhängigen Österreich anerkannt werden. Alle diese Mitteilungen über Ottos Pariser Aktivitäten hielt Botschafter Bullitt für so brisant, daß er seinen Präsidenten dringend bat, "diesen Brief niemandem zu zeigen".

Obwohl aus den geschilderten Plänen bekanntlich später nichts wurde, respektierte Roosevelt die Bitte Bullitts und verfügte eine entsprechend lange Geheimhaltung dieses Telegramms. In der O'Connor Farber Collection of Materials relating to FDR's Estate fanden sich auch Briefe zwischen Otto, der mit "Otto of Austria" unterschrieb, und Roosevelt, der ihn mit "Dear Otto" anredete und die Anschrift "H.R.H. Archduke Otto of Austria" wählte.

Aus Roosevelts Brief vom 15. September 1943 geht übrigens hervor, daß Ex-Kaiserin Zita und zwei Schwestern Ottos persönliche Gäste im Hyde Park waren. Am 1. Oktober 1943 sollten dann auch Otto und seine Schwester Adelaide zum Tee kommen - für den um ein freies und unabhängiges Österreich kämpfenden Kaisersohn gute Gelegenheit, seine Anliegen dem mächtigsten Mann der Alliierten direkt vortragen zu können. Diese Chance nutzte Otto um so dankbarer, als er in jenen Jahren auch manchen Gegenwind bekam. Der Protest reichte von der Freien Österreichischen Jugend, die sich in den Vereinigten Staaten organisiert hatte und antihabsburgisch eingestellt war, bis zu Vertretern der einst von den Habsburgern regierten slawischen und romanischen Völkerschaften.

Die österreichischen Emigranten in den USA unterstellten Otto, "nicht für die Befreiung Österreichs zu kämpfen", sondern "für die Interessen" seiner Familie, und weigerten sich, in dem von ihm geleiteten Militärischen Ausschuß für die Befreiung Österreichs mitzumachen. Sprecher von Exilgruppen aus Jugoslawien, Polen, Ungarn, Rumänien, Italien und der Tschechoslowakei protestierten im Winter 1942/43 in Telegrammen an das amerikanische Verteidigungsministerium gegen die Aktivitäten "Otto von Österreichs". Der italienische Graf Carlo Sforza machte in einem Brief an die New York Times Stimmung gegen den Kaisersohn. Der solchermaßen Attackierte intensivierte allerdings seine Kontakte zum Weißen Haus und zum US-Außenministerium noch.

Neben Briefen sandte er ab 1943 verstärkt Denkschriften. So schickte er am 20. August 1943 zwei kurze Darstellungen über die "Österreich-" und die "Südtirol-Frage" an den amtierenden US-Außenminister Cordell Hull. Er ließ keine Absichten erkennen, Österreich in eine Monarchie zurückzuverwandeln, sondern lief auf sein immer wieder vorgetragenes Anliegen hinaus, Österreich als "ein besetztes Land" wie "die anderen Länder" zu betrachten und ihm nach dem Krieg seine Unabhängigkeit wiederzugeben.

Als Hull gegen diese Darstellung des Schicksals Österreichs Einwände erhob und beispielsweise darauf hinwies, daß "zuletzt ein Teil der Österreicher Hitler mit Beifall empfing", schrieb Otto am 13. September 1944 einen Brief an Präsident Roosevelt und machte auf den "fünf Jahre hindurch geleisteten Widerstand gegen die Nazi-Aggression" aufmerksam. Dabei sei immerhin "ein Regierungsoberhaupt im Kampf gegen die Nazis, nämlich der österreichische Bundeskanzler Dollfuß, ums Leben gekommen".

Bekanntlich folgten nach dem Zweiten Weltkrieg manche österreichischen Politiker dieser Argumentationslinie und nannten ihr Land den ersten von Hitler überfallenen Staat - freilich eher mit der Erwartung auf bundesdeutsche "Wiedergutmachung". Bundeskanzler Konrad Adenauer soll diese getarnten Begehrlichkeiten Wiens angeblich mit der Bemerkung quittiert haben, den Österreichern dann als Reparation "auch die Knochen Hitlers" zurückzuschicken.

Ende 1943 durfte Otto mit den bis dahin erzielten Erfolgen zufrieden sein, war doch sein Hauptanliegen, Österreich nach dem Krieg als unabhängigen Staat wiederherzustellen, in der "Drei-Mächte-Erklärung" vom 1. November 1943 als eines der Kriegziele von den Hauptalliierten verkündet worden. Die nachfolgende Versicherung der US-Regierung, auf die "prompte Errichtung eines unabhängigen österreichischen Staates" hinzuwirken und sich "für die Wiederherstellung der österreichischen Grenzen von 1937 einschließlich der Provinz Bozen von Italien" einzusetzen, durfte in ihm den Eindruck verstärken, daß seine vorgelegten Denkschriften nicht ohne Einfluß auf die Washingtoner Österreich-Pläne geblieben waren. Besonders die beabsichtigte Rückgliederung der Provinz Bozen waren wohl auf seine Aide-Memoirs vom August 1943 zurückzuführen. Es ist die Ironie der Geschichte, daß der um das nachmalig freie Österreich so verdiente Kaisersohn von der Regierung dieses Landes dann noch jahrzehntelang daran gehindert wurde, in seine Heimat einzureisen.

Foto: Otto von Habsburg (re.) mit Freund, Paris 1935: Sehr nützlich


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