© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Der tragische Held
Das Bild des "Spiegel"-Gründers Rudolf Augsteins in der Biographie von Peter Merseburger
Wolfram Baentsch

Wer wollte widersprechen, wenn der Biograph den Gründer und Herausgeber des Nachrichtenmagazins Der Spiegel den bedeutendsten Journalisten der Bundesrepublik Deutschland nennt? - Möglicherweise aber sagt ein anderer Superlativ viel mehr aus, weil er nicht nur dem Publizisten, sondern auch den Menschen Rudolf Augstein gilt: So reich wie wohl kein Zweiter ist er vom Glück bedacht worden - und war doch der zum Unglücklichsein Begabteste unter allen Gründerfiguren der zweiten deutschen Demokratie.

Mit heilen Knochen kam der 21jährige Leutnant 1945 von der Ostfront zurück. Die Gefangenschaft blieb ihm erspart. Die elterliche Wohnung war im ansonsten ziemlich totalzerbombten Hannover unbeschädigt. Der junge Mann hatte gerade mal ein Volontariat absolviert, als ihm ein leicht spleeniger Major der britischen Besatzer eine eigentlich zur Umerziehung gedachte Zeitschrift quasi zum Geschenk machte. Büro und Druckpapier stellten weiter die Engländer. Die Titelwahl (nicht Echo, sondern Spiegel) war reine Glückssache, und Themenwahl wie Tonalität im Blatt waren auch nicht Resultat irgendeiner Art von Planung. Die desillusioniert aus dem Krieg zurückgekehrten angelernten Jungredakteure um Augstein und Hans Detlev Becker hatten den Respekt vor falschen Autoritäten abgelegt, und mit dem Zorn der um ihre Jugend gebrachten Landser im Bauch schrieben sie auf, was die geschlagene Nation in den Not- und Hungerjahren am meisten bedrängte. In ihren Attacken möglichst konkret, setzten sie auf Personalisierung und Zuspitzung, nahmen sich, obwohl des Englischen kaum mächtig, die Story à la Time Magazin zum Vorbild. Die Geschichte mußte "rund" sein, was nicht selten zu Lasten der Fakten ging, distanziert und getränkt von Ironie und Häme sowieso. Ein Stil war geboren, der  aufhorchen ließ.

Als größter Glücksfall für den Eigner des aufmüpfigen Blattes sollte sich ausgerechnet seine tödliche Gefährdung erweisen. Die Spiegel-Affäre, die mit der Durchsuchung der nach Hamburg umgezogenen Redaktion am 26. Oktober 1962 ihren dramatischen Anfang nahm, ist oft beschrieben, aber selten so klar analysiert worden wie in dieser neuen Augstein-Biographie. Peter Merseburger legt wie ein gewissenhafter Archäologe Schicht um Schicht eines Geschehens frei und läßt staunen, wie vieles davon dem öffentlichen Bewußtsein schon entglitten war. Wer weiß noch, daß Conrad Ahlers mit seiner Titelgeschichte "Bedingt abwehrbereit", die Kanzler Adenauer in einen "Abgrund von Landesverrat" blicken ließ, damals in ein von den Geheimdiensten präpariertes Minenfeld gelaufen ist? - Konstellationen mit weltpolitischen Abmessungen werden sichtbar, die bis heute von ungebrochener Aktualität sind.

Augstein geht aus der Affäre bekanntlich als Held und Märtyrer der Pressefreiheit hervor, obwohl er sich in den 104 Tagen Haft alles andere als heldenhaft gehalten hat. Aber er wußte schließlich auch, was die Massen und die Professoren nicht zu interessieren schien, die lautstark für ihn auf die Straße gingen: Die von der Bundesanwaltschaft erhobene Klage war alles andere als abwegig. Auf dem Höhepunkt der Kriegsgefahr im Zeichen der Kubakrise kam die Veröffentlichung geheimer Atomeinsatzpläne und Manöverberichte im Ergebnis dem Geheimnisverrat bedenklich nahe. Der Bundesgerichtshof untersuchte den Fall fast drei Jahre lang. Bei dem Urteil - nicht etwa wegen erwiesener Unschuld, sondern aus Mangel an Beweisen - hatte Augstein wieder einmal großes Glück. Zwei der sieben Richter, die für einen Schuldspruch waren, fehlten bei der Verkündigung, so daß eine knappe Mehrheit zu seinen Gunsten zustande kam.

Für Renommee, Auflage und Anzeigen des Hamburger Magazins wirkt die Affäre wie ein mächtiger Treibsatz. Dem Sieg über den Lieblingsfeind Franz-Josef Strauß folgte der Triumph über den Alten von Röhndorf, den Augstein als Kolumnist Jens Daniel als verkappten Separatisten und "Garant für die Nicht-Wiedervereinigung" attackiert. Er ist es bald, der statt der resignierenden SPD die Opposition gegen die CDU-geführte Regierung verkörpert. Merseburger versteht es erzählerisch gekonnt, die Zeiten des Umbruchs in den sechziger Jahren durch Augsteins Texte zurückzuholen. Die weisen ihn als brillanten Analytiker aus, den der kämpferischen Elan aber gelegentlich an den Rand zur Raserei treibt.

Es sind die Jahre, in denen der Reichgewordene die Nase in den Wind hält, und der weht stark von links. Für die rebellierenden Studenten ist er zur Ikone geworden, und nun opfert er dem Zeitgeist. Die deutsche Wiedervereinigung verschwindet aus seinem Vokabular. Der dies nicht müde wird zu fordern, wird von ihm zum politischen Narren erklärt. Enteignet Springer, wird auch Augsteins Parole. Dabei hört er nie auf, den Zeitungsmagnaten aus Altona auch als Patrioten zu bewundern, vor allem aber als den noch Erfolgreicheren zu beneiden. Denn der eigene Erfolg reicht Augstein nie. Sein Versuch, die Hamburger Zeit zu kaufen, scheitert. Ihn langweilt die journalistische Routine des eigenen Blattes, in dem er sich als "Fremdkörper" fühlt. Eine Zeitung zu gründen, traut er sich nicht. Er trennt sich von dem erfolgreichen Chefredakteur Claus Jacobi, versucht sich in der Politik, um binnen kurzem kläglich zu scheitern.

Kaum besser ergeht es Augstein mit seinen Versuchen als Schriftsteller. Sein Buch über Friedrich den Großen wird von keinem Historiker ernst genommen, sein zweites über Jesus als peinliche Entgleisung eines in der katholische Kindheit traumatisierten Bilderstürmers beiseite geschoben. Um so heftiger zieht Jens Daniel im Spiegel vom Leder.

Kampagnenhaft betreibt er über Jahre die Ablösung der CDU-geführten Regierung. Als sich der Erfolg schließlich einstellt, kommt bei ihm keine rechte Freude auf. Nicht ihn, sondern Henry Nannen nimmt Kanzler Willy Brandt zum Breschnew-Besuch mit nach Moskau. Bitter beklagt sich Augstein anschließend brieflich und macht seinen Anspruch auf Belohnung geltend für: ".. die jahrzehntelange Zersetzungs-Tätigkeit des Spiegel im sogenannten bürgerlichen Lager". Wo fände sich sonst noch ein so klares Eingeständnis eines agitprop-entgleisten Jounalismus? - Jahrzehntelange Zersetzungstätigkeit!

Merseburger ist ein Biograph mit Distanz zum Porträtierten. Obwohl er selber fünf Jahre lang Spiegel-Redakteur war, macht er nicht den Fehler, die eigenen Eindrücke und Erfahrungen zum Maßstab zu nehmen. Er recherchiert statt dessen, stützt sich auf Dokumente und Berichte von Wegbegleitern, die Augstein besser kannten, wie der langjährige Chefredakteur Jacobi oder jener vielleicht beste Kenner, den Augstein seinen Pollux nannte. Hans Detlev Becker reicht denn auch einen Schlüssel zum Verständnis des früheren Freundbruders Castor. Er vergleicht den nie Zufriedenen, der doch alles besitzt, mit dem  "Hans im Schnakenloch" aus einer elsässischen Spruchweisheit: "Und was er will, des het er net. Un was er het, des will er nitt."

Die Gier nach allem, was ihm nicht gehörte, war in der Tat eine schwer erträgliche Deformation des Helden der Pressefreiheit. Wer mit ihm zum Essen ging, konnte sicher sein, daß er auf dem eigenen Teller nur herumstocherte, um sich über den Tisch hinweg desto lustvoller von fremden Tellern zu bedienen. Weniger harmlos, daß dem Kleingewachsenen der große Appetit auf Menschen auch nie ausgehen wollte. Er zögerte nicht, den eigenen Mitarbeitern oder solchen, die ihn für einen Freund hielten, die Partnerin, und sei sie die Ehefrau, auszuspannen. Der "notorische Fremdgänger" hatte bis in die Jahre seiner körperlichen und geistigen Hinfälligkeit und während seiner fünf verschiedenen Ehen Hunderte von Liebschaften. Die am Wege Zurückgelassenen kümmerten ihn wenig, auch die Kinder nicht, die dabei auf der Strecke bleiben. Augstein war ein miserabler Vater, der in dieser Rolle erst wiedergutzumachen suchte, als es zu spät war.

Für den Biographen können die Schattenseiten des Charakters und die zahllosen Extravaganzen kein Tabu bleiben, wie es die Spiegel-Redakteure ("meine Pressebengel" nennt sie ihr Herausgeber gern) über seinen Tod hinaus strikt zu beachten haben.  Merseburger bleibt diskret in seiner Kritik. Und er stellt den Menschen Rudolf mit seinem Privatleben nahezu unverbunden neben den Publizisten Augstein. Den Versuch, den einen aus dem anderen zu erklären, scheint er sich bewußt zu untersagen. Die Rolle des Psychologen bleibt so weitgehend den Lesern überlassen - was kaum zu den Mängeln der spannenden Biographie zu rechnen ist. Aber auch von solchen muß die Rede sein.

So luzide Merseburger die erste Spiegel-Affäre darstellt, so verschwiemelt handelt er die zweite ab: die Ereignisse um die Schleswig-Holstein-Wahl im September 1987. Das Blatt feierte damals seinen 40. Geburtstag, und in der Titelgeschichte standen die denkbar schwersten Anschuldigungen gegen den Ministerpräsidenten Uwe Barschel. Augstein trat in der alten Fischhalle vor die versammelte Festgemeinde und rückte, noch schien er siegesgewiß, diese zweite neben die erste große Affäre aus dem Jahr 1962. Aber dem Herausgeber war nicht wohl bei der Angelegenheit.  

Anfangs war es nur ein Fragezeichen, das Augstein störte, und zwar, weil es auf der Titelseite fehlte. Es fehlte ihm aber nicht "hinter der Aufmacherzeile 'Watergate in Kiel'", wie Merseburger weismachen will; nein, Augstein vermißte das Fragezeichen hinter der fetten Titelzeile, und die lautete ganz apodiktisch: "Barschels schmutzige Tricks". Damit machte sich der Spiegel die schweren Vorwürfe zu eigen, die er nicht etwa belegen konnte, sondern schlicht und einfach von einem Journalisten namens Reiner Pfeiffer übernahm.

Den Verstoß gegen selbstverständliche journalistische Sorgfaltspflichten hatte der damalige Chefredakteur Erich Böhme zu vertreten. In Augsteins Augen wog seine Verfehlung immer schwerer, je klarer ihm wurde, was für ein windiger Vertreter der schreibenden Zunft Böhmes Informant tatsächlich war. Der "Schmuddeljournalist", wie ihn der Spiegel selbst bald titulierte, hatte falsch Zeugnis geredet gegen einen Unbescholtenen; aber dem in seiner Ehre Vernichteten blieb keine Zeit, den notorischen Lügner zu überführen. Einen Tag vor seiner geplanten Aussage vor einem Untersuchungsausschuß des Parlaments wurde Barschel in einem Genfer Hotel tot aufgefunden.

Merseburger verwendet viel vergeblichen Fleiß darauf, die Affäre herunterzuspielen und den verantwortlichen Böhme schönzuschreiben. Tatsächlich aber konnte Augstein seinem Chefredakteur  nicht verzeihen, daß mit dem Rufmord an Barschel auch der Spiegel der Gefahr ausgesetzt war, seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Bei seinen Recherchen hat der Biograph auch erfahren wollen, wann Augsteins Alkoholprobleme zur ernsten Erkrankung wurden. Möglicherweise geschah das just um die Zeit, als ihn außer der besonderen Sorge um sein Blatt auch das Gewissen quälte, als Herausgeber nicht frei zu sein von der Verantwortung für die Tragödie des jungen Politikers und das Leid der Familie.

Derartige Regungen sind von dem Chefredakteur nicht bekannt geworden. Böhme behält die Funktion noch eine Weile. Als sich das Ende des Kalten Krieges abzeichnet und sein Kommentar unter der Überschrift "Ich will nicht wiedervereinigt werden" im Blatt steht, wird er schon in der Woche darauf mit einem flammenden Appell aus der Feder des Herausgebers abgestraft, die Chance zur deutschen Einheit beherzt zu ergreifen. Böhmes Spiegel-Jahre gehen zu Ende.

Über Augsteins letzte Jahre breitet sich Resignation. Dem Verlegerrivalen Axel Springer, der die Wiedervereinigung wie kein Zweiter herbeipublizieren wollte, ohne sie noch erleben zu dürfen, gesteht der Magazinherr die größere Standhaftigkeit zu. Von dem Mann, den er mit anhaltendem Furor über viele Jahre bekämpft hat, sagt Augstein in seinem letzten Interview, Adenauer sei der größte Politiker gewesen, dem er je begegnet ist.

Am Schluß seiner Biographie riskiert Merseburger eine zusammenfassende Würdigung. Der am 7. November 2002 an einer Lungenentzündung Verstorbene habe maßgeblich dazu beigetragen, "die Bundesrepublik zu jener aufgeklärten, liberalen Gesellschaft zu machen, in der wir heute zu Hause sind und die wir nicht mehr missen mögen". - Auf Wolke sieben sieht man einen spöttisch lächeln.

 

Wolfram Baentsch arbeitete als Redakteur beim Spiegel. Später war er Chefredakteur der Wirtschaftswoche. 2006 veröffentlichte er das Buch "Der Doppelmord an Uwe Barschel" (Herbig Verlag, München)

 

Peter Merseburger: Rudolf Augstein. Biographie. Deutsche Verlagsanstalt, München 2007, gebunden, 560 Seiten, Abbildungen, 29,95 Euro

Foto: Augstein mit Lieblingsfeind Franz-Josef Strauß, 1969: Jahrzehntelange Zersetzungstätigkeit


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen