© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Das letzte bißchen Freiheit
James Mangolds Western "Todeszug nach Yuma" bringt alle Parteien in Stellung
Michael Insel

Die große Western-Ära endete 1980 mit Michael Ciminos "Heaven's Gate", der aus unerfindlichen Gründen beim Publikum ebenso durchfiel wie bei der Kritik. Seither haben sich vor allem zwei Regisseure sporadisch um eine Wiederbelebung des einstmals - keineswegs nur bei Strukturalisten und anderen europäischen Intellektuellen - überaus beliebten Genre verdient gemacht: Clint Eastwood ("Pale Rider", 1985; "Erbarmungslos", 1992) und Kevin Costner ("Der mit dem Wolf tanzt", 1990; "Open Range", 2003). Die diesjährige Renaissance indes wird von James Mangold, dessen Johnny-Cash-Biographie "Walk the Line" mal wieder von seinem Goldhändchen zeugte, gemeinsam mit dem hierzulande bislang eher unbekannten Andrew Dominik ("Chopper") eingeläutet.

Nachdem der gebürtige Neuseeländer mit seiner elegischen Meditation über "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford"  eifrig am Mythos Wildwest schraubte, macht Mangold aus Delmer Davies' dialogbetontem Kammerspiel "3.10 to Yuma" von 1957 ("Zähl bis drei und bete") eine zünftige Pferdeoper, die alle Parteien im Endkampf um das letzte bißchen gesetzlosen Raum gegeneinander in Stellung bringt - nur die Apachen haben längst verloren und stellen kaum mehr als eine symbolische Bedrohung dar.

Getrieben werden sie allesamt von Geldgier: Kapitalisten aus dem Osten, die die Eisenbahn quer durch die Prärie bauen wollen, Banditen und der um seine Ranch kämpfende einbeinige Bürgerkriegsveteran Dan Evans (Christian Bale), dem man eine Prämie von zweihundert Dollar versprochen hat, falls es ihm gelingt, den Bandenführer Ben Wade (Russell Crowe) in ebenjenen "Todeszug" zum Galgen zu setzen. So groß die Versuchung sein mag, ihn für den Guten zu halten, so bitter wird sie ein ums andere Mal enttäuscht: Der neue Western gönnt sich keine Helden.

Darunter leidet der Zuschauer freilich weniger als Dans ältester Sohn William (Logan Lerman). Ähnlich wie einst Joey, der junge Sohn des Viehzüchters in George Stevens' Western-Klassiker "Shane" (1952), den mysteriösen Revolverhelden vergötterte, fühlt sich William zum charismatischen Wade hingezogen. Kein Wunder, scheint er doch mit seinen Räuberpistolen aus dem Rotlichtmilieu von San Francisco leibhaftig einem jener Groschenromane entstiegen, die der Junge bei Kerzenschein auf der heimischen Ranch verschlingt!

Ob vom Regisseur beabsichtigt oder nicht, verleiht der Kontrast zwischen dem seit Brad Andersons "Der Maschinist" (2004) geradezu auf die Darstellung hagerer Elendsgestalten kaprizierten Waliser Christian Bale - wenn er nicht gerade für den Batman zum stämmigen Kraftprotz aufspeckt - und dem süffisant-aufgedunsenen Lebemann Russell Crowe, der seinem Körper viel zumutet, nur keine Askese, dieser Konstellation eine augenfällige Pikanterie. 

So schließt sich William gegen Vaters Willen dem Geleitzug an, der Wade über Stock und Stein zum nächsten Bahnhof bringen soll - sehr sehenswert übrigens auch Peter Fonda in der Rolle eines Kopfgeldjägers im Sold der berüchtigten Privatdetektei Pinkerton. Derweil haben Wades Getreue die Verfolgung längst aufgenommen.

Es folgt ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel quer durch die atemberaubende, von Kameramann Phedon Papamichael bestens in Szene gesetzte Landschaft New Mexicos und Arizonas, bis die reichlich angeschlagene Truppe schließlich den Schauplatz von Davies' Original erreicht, das wiederum auf einer Kurzgeschichte von Elmore Leonard beruhte: ein Hotelzimmer in der Kleinstadt Contention.

Hier verbarrikadiert sich Evans mit seinem Gefangenen, um die Ankunft des Zuges abzuwarten, und hier entfaltet sich jenes psychologische Drama, das "3.10 to Yuma" - mit den heute längst zu Archetypen geronnenen Van Hefling und Glenn Ford in den Hauptrollen - zu einem solch klaustrophobischen Lehrstück des mit wenig technischem Aufwand gedrehten B-Movie machte. Daß fünfzig Jahre und Hunderte von Action-Filmen später der Blutzoll sehr viel höher ausfällt, gehorcht wiederum dem Kulturgesetz der Evolution.       

Foto: Ben Wade (Russell Crowe), Dan Evans (Christian Bale): Der neue Western gönnt sich keine Helden


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