© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Den Tod im Gesicht
Mehr, als Worte und Bilder ausdrücken können: Volker Schlöndorffs großartiger Film "Ulzhan"
Ellen Kositza

Ein Mittvierziger in der Krise, sein schweigsamer Marsch durch Kasachstan, eine junge Einheimische und ein verrückter Schamane: Das sind im Grunde magere Aussichten. Zumal für jene, die "lyrische Liebesgeschichten fast ohne Worte" tendenziell langweilig finden.

Doch der Regisseur heißt Volker Schlöndorff, das zieht und macht neugierig. Man mag Schlöndorff, den verkappten RAF-Sympathisanten, Ex-SPDler und am Ende gar Merkel-Unterstützer unsympathisch finden - ein großer Künstler ist er ja doch. Ob "Die Blechtrommel", "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", "Homo Faber", "Der Unhold" oder "Die Stille nach dem Schuß" - haben uns diese Filme nicht tagelang und immer wieder beschäftigt, waren da nicht Szenen, die sich förmlich eingebrannt haben? So ist es, und darum folgen wir dem Franzosen Charles (Philippe Torreton) in die unwirtlichen Weiten Kasachstans, durch das beklemmende Panorama der Ölfelder, durch endlose Steppen, durch das kasachische Metropolis Astana, durch atomverseuchtes Sperrgebiet; mal beritten, meist zu Fuß.

Charles hat alles verloren, und dieser Verlust hat sich in seine Physiognomie eingebrannt. Tiefe Furchen ziehen sich durch das Gesicht des Geschichtprofessors.  Was ihm noch geblieben ist nach dem Unfalltod seiner Frau und Kinder, zählt nicht mehr: Geld und Papiere - was soll's, er verteilt sie unter Prostituierten und Hasardeuren.

Unendliche Lebensmüdigkeit hat Charles befallen, allein der Todesmut fehlt ihm noch. Den aber will er sich beweisen, am heiligen Berg Khan Tengri an der Grenze zu China. Für ein Pferd gab er sein letztes Geld - doch nun klebt ihm Ulzhan, die junge Dorfschullehrerin und alte Besitzerin des Tieres, an den Fersen. Wieder und wieder, immer gröber werdend, schüttelt er das Mädchen ab, doch nie läßt es ab von dem Mann, der nach den Worten ihrer Großmutter "den Tod im Gesicht trägt".

Als weiterer ungebetener Reisebegleiter stellt sich der flinke Shakuni (Blechtrommler David Bennet) ein, der vorgibt, als fliegender Händler mit Worten sein Geld zu verdienen: Auserlesene Worte aus meist alten Sprachen, deren Bedeutungen mehr zu umfassen imstande sind als das bloße Gesagte. Worte wie Dharma, wie Melancholie - es geht, wir ahnen das, um den weltumspannenden logos. Um Sinn, Vernunft, Heil - alles, was Charles entbehrt und, wortlos entschlossen, von sich weist. Der Magier Shakuni, und mehr noch Ulzhan mit ihrer bedingungslosen, keuschen Liebe, das sind die vitalen und als solche lästigen Tentakeln des Lebens, die mit dem Tod um Charles' Existenz ringen.

Wir folgen Charles weiter, in die Berge, in Eis und Schnee, wir sehen ihn sein dürftiges Gepäck den Hang hinabwerfen, das Foto seiner Familie unter einen Stein klemmen - und nie steigt in uns dieses sentimentale , untrügerische Gefühl auf, daß es eigentlich ein Seelenkitsch ist, dem wir hier aufsitzen. Schlöndorff hat wieder mehr gesagt, als Worte ausdrücken und Bilder zeigen können. Das ist großes Kino!


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