© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Ungewöhnlicher Frontverlauf
Lebensschutz: Nach der Entscheidung des CDU-Parteitags zur Verschiebung des Stichtages im Stammzellengesetz kommt Bewegung in die Diskussion
Anni Mursula

Seit Februar diskutiert der Bundestag über eine Reform des Stammzellgesetzes (JF 06/07), das nach heftigen Kontroversen im Juli 2002 in Kraft trat. Nun, Ende 2007, stehen sich die Abgeordneten erneut über die Fraktionsgrenzen hinweg in drei Lagern gegenüber: Die einen möchten die Stichtagsregelung vollkommen abschaffen, die anderen möchten sie "einmalig" verschieben, und die dritte Gruppe ist gegen jegliche Liberalisierung. Nachdem der CDU-Parteitag vergangene Woche in Hannover für eine Stichtagsverschiebung votiert hat, kommt nun erneut Bewegung in die Diskussion.

Offiziell gilt die Abstimmung über das Stammzellengesetz als reine "Gewissensfrage" der Abgeordneten und wird deshalb durch fraktionsübergreifende Gruppenanträge statt Fraktionspositionen geregelt. Dennoch vertreten die Parteien in derart grundsätzlichen Fragen deutliche Standpunkte. Bislang galt die CDU in Lebensschutzfragen als eine Partei, die sich für christliche Werte einsetzt. In früheren Diskussionen hatte sie unter anderem vehement gegen die Aufhebung der Stichtagsregelung plädiert.

Doch seit einiger Zeit setzt sich die CDU-Parteispitze - darunter Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) und sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel - für eine einmalige Verschiebung des Stichtages ein. Damit geben sie dem Druck aus der Wissenschaft nach: Viele Forscher drängen seit Jahren auf eine Verschiebung des Stichtages, weil die in Deutschland verfügbaren Stammzellen teilweise verunreinigt und nicht mehr brauchbar seien. In Deutschland dürfen nur embryonale Stammzellen aus dem Ausland benutzt werden, die vor dem 1. Januar 2002 aus menschlichen Embryonen gewonnen wurden.

Durch den Stichtag soll vermieden werden, daß Eizellen gezielt für die Forschung befruchtet und die entstandenen Embryonen dann wegen ihrer wertvollen Zellen getötet werden.

Und so will die CDU-Spitze der Wissenschaft mit einer Kompromißlösung entgegenkommen. Sie will die Stichtagsregelung nicht vollkommen aushebeln - wie etwa die FDP -, aber sie hat sich dennoch auf eine einmalige Verschiebung des Stichtages geeinigt. Dafür stimmte die Mehrheit der Delegierten auf dem CDU-Parteitag. Diese Lösung sei ideal, da sie laut Schavan nicht "die Substanz des Gesetzes" berühre.

Kritiker sind da ganz anderer Meinung: Wer den Stichtag einmal verschiebe, werde es immer wieder tun, wenn die Forschung danach verlangt. Der Medizinrechtler und Sachverständige der Enquete-Kommission ("Ethik und Recht der modernen Medizin") der Bundesregierung, Rainer Beckmann, zum Beispiel sieht keinen Unterschied zwischen der einmaligen Verschiebung und der kompletten Aufhebung der Stichtagsregelung.

Mit der vollkommenen Abschaffung der Regelung stelle man wiederum den kompletten Embryonenschutz in Frage: "Und genau dies ist das eigentliche Ziel der Kräfte, die hinter dem Gesetzesentwurf stehen: Sie verstecken sich hinter einer bloßen Abschaffung des Stichtags im Stammzellengesetz und wollen in Wahrheit das Embryonenschutzgesetz aushebeln", sagte Beckmann auf einer Tagung zur Stammzellenforschung in Berlin im vergangenen Mai (JF 23/07).

Im Gegensatz zur Evangelischen Kirche in Deutschland, deren Ratspräsident Bischof Wolfgang Huber sich bereits für die einmalige Verschiebung der Stichtagsregelung ausgesprochen hat, kritisierte die katholische Kirche die Entscheidung der CDU scharf.

 "Es geht nicht um eine bloße Terminfrage oder eine Verschiebung im Kalender - es geht bei der Frage nach der Forschung mit embryonalen Stammzellen letztlich darum, ob man menschliches Leben zu Forschungszwecken töten darf. Und hier sagen wir klar: Nein", sagte der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, vergangene Woche in einem Interview der Rheinischen Post.

Doch scharfe Kritik erhält die CDU auch von einer eher überraschenden Seite: Ausgerechnet von den Grünen muß sich die Union in Sachen Ethik eines Besseren belehren lassen. Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn warf der CDU vergangene Woche vor, mit ihrer Parteitagsentscheidung ethische Grundsätze geopfert zu haben. Die Grünen dagegen haben sich eindeutig gegen jegliche Liberalisierung des Stammzellengesetzes ausgesprochen. Nach ihrer Meinung gebe es keine Notwendigkeit, das Gesetz zu verändern.

Und damit haben sie recht: Viele Wissenschaftler weisen nämlich darauf hin, daß sich die Forschung mit embryonalen Stammzellen noch vollständig im Bereich der Grundlagenforschung abspielt. Bislang sei es nicht einmal bewiesen, daß diese Stammzellen jemals konkrete Therapiemöglichkeiten für Kranke bieten werden. Für Beweise brauche es noch mindestens zwanzig Jahre.

Adulte Stammzellen dagegen würden bereits seit Jahrzehnten erfolgreich in der Therapie eingesetzt. In diesen Zellen und in Stammzellen aus Nabelschnurblut, die ethisch völlig unproblematisch sind, liege laut Experten sogar "viel mehr Potential als bislang angenommen".


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