© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

Stille seichte Wasser
Frank-Walter Steinmeier mag Pizza und Bratkartoffeln
Doris Neujahr

Als Frank-Walter Steinmeier 2005 das Auswärtige Amt übernahm, wurde er allgemein als Pragmatiker gewürdigt, der nicht viele Worte, dafür um so effektiver Politik mache. Das war ein Mißverständnis! Je mehr er sich neuerdings als Parteipolitiker profiliert und in die Rolle des sozialdemokratischen Vordenkers und virtuellen Kanzlerkandidaten hineinzuwachsen versucht, um so deutlicher tritt er den Beweis dafür an, daß stille Wasser durchaus seicht sein können.

Sein Musikduo mit dem Rapper Muhabbet war so dümmlich wie fatal und paßte weder zu seinem Amt noch zu seiner behäbig-pausbäckigen Erscheinung: ein stilistischer Fehlgriff, durch den tiefersitzende Defizite an die Oberfläche kamen. Seine Mahnung an die Journalistin Esther Shapira, die seinen Sängerbruder als Foltermord-Phantasierer entlarvt hatte, sie solle mehr "Zurückhaltung" üben, verweist auf die intellektuelle Brüchigkeit seiner Politik: Weder ist er sich über ihre Konsequenzen im klaren, noch kann er ihre Widersprüche auflösen. Um es mit Dieter Bohlen zu sagen: Steinmeier hat ziemlich schwach angefangen und dann gaaanz stark nachgelassen!

Die Abwärtsentwicklung setzt sich fort. Als "Quatsch" bezeichnete er jetzt die CDU-Programmforderung nach einer deutschen Leitkultur im Zusammenleben mit Einwanderern. Er wird mit den Worten zitiert: "Mir schmecken Bratkartoffeln und Weihnachtsgans, aber ich mag auch Pizza und Paella." Manche benutzten den Begriff der Leitkultur, um die Angst vor dem Fremden politisch für sich auszuschlachten. Verantwortliche Politik habe dagegen die Aufgabe, sich von solchen Ängsten freizumachen und die Chancen zu erkennen, die kultureller Reichtum biete. "Deutschland ist ein Einwanderungsland. Ich möchte, daß die Zuwanderer sich ans Grundgesetz halten, sie müssen kein Eisbein und Sauerkraut mögen."

Steinmeier spricht hier aus der Position einer Verantwortungselite, doch worauf könnte sich dieser Status gründen? Die Leerformeln, die er benutzt ("von Ängsten freimachen", "Chancen erkennen", "kultureller Reichtum"), widerlegen seinen hehren Anspruch. Sie entsprechen exakt dem Niveau der unteren Mittelschicht, aus dem sich die politischen Funktionseliten in Deutschland ganz überwiegend rekrutieren. Für diese ist der Erfahrungshorizont des modernen Massen- und Individualtourismus à la "Traumschiff" ausschlaggebend, der die kulturelle Identitäten und Differenzen an kulinarischer und folkloristischer Deftigkeit festmacht - an Pizza und Sauerkraut eben.

Nun ist gegen diese Herkunft und gegen diesen Ansatz, sich die Welt zu erschließen, absolut nichts einzuwenden - wenn man dabei nicht stehenbleibt wie Steinmeier. Was bereits innerhalb Europas zu einer Verkennung der unterschiedlichen Mentalitäten, sozialen Verhaltensweisen, historischen Traditionen und Institutionen und entsprechenden Spannungen führt, kann sich im Verhältnis zu ferneren Kulturen als lebensgefährlich erweisen. Kann Steinmeier gedanklich erfassen, daß es hier um komplexere Fragen geht als um die Vereinbarkeit von Weihnachtsgans und Paella? Könnte es sein, daß die Loyalität zum Rechtsstaat und zur demokratischen Verfassung mit den kulturellen Voraussetzungen in einem Zusammenhang steht?

Statt das Tonstudio hätte er eine gute Bibliothek besuchen und einen Blick in die Schriften des ehemaligen Bundesverfassungsrichters und alten Sozialdemokraten Ernst-Wolfgang Böckenförde werfen sollen. Böckenförde meint: "Als freiheitlicher Staat kann der säkularisierte Staat nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des Einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Andererseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren versuchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und - auf säkularisierter Ebene - in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat."

Dagegen die furchtbare Gedankenarmut des Frank-Walter Steinmeier, die zu der Frage führt: Was sind das eigentlich für Typen, die uns regieren? Und zu welchem Zweck regieren sie? Mit welchen Folgen?

 

Bogenhausener Gespräche

"Die Deutschen und ihre Einheit" lautet das Generalthema der 25. Bogenhausener Gespräche, zu denen die Burschenschaft Danubia dieses Wochenende (8./9. Dezember) nach München einlädt. Referenten auf dem Haus der Danuben sind unter anderem Karlheinz Weißmann, Karl Feldmeyer, Wolfgang Seiffert und Detlef Kühn. Weitere Informationen unter der Rufnummer: 089 / 98 46 55


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