© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

Früh übt sich, wer Konsument werden will
Wo die Zeit fehlt, muß Kaufhaus-Tinnef her: Auch Milchzähne können den Eltern die Haare vom Kopf fressen
Ellen Kositza

Der Zyniker mag höhnen, daß unsere demographische Krise in einem Punkt ihr Gutes habe: Jahr für Jahr nimmt der durch Wegwerfspielzeug verursachte Wohlstandsmüll ab. Doch der Zyniker irrt. Das Budget für Weihnachtsgeschenke dürfte fürs Einzelkind erstens ähnlich hoch sein wie das durch zwei oder drei geteilte, zweitens steigen die Ausgaben für materielle Aufmerksamkeiten laufend: Wo die Zeit für Kinder immer geringer wird, soll es an der Kinderzimmerausstattung nicht fehlen! Noch dazu, wo das mobile Plaste-Inventar heute manche Kernkompetenzen wohlverstandener Elternschaft bequem abnimmt: Ansprache, Körperkontakt und das Vorbild desjenigen, von dem der Nachwuchs Handlungsweisen und Fertigkeiten übernehmen kann.

Beispiele gefällig? Die Regale der Warenhäuser sind voll davon. Grundkenntnisse des Vierfüßlergangs oder den Anschein des ausbleibenden Geschwisterkindes vermittelt das Sprechende Krabbelbaby zu 19,98 Euro. Laut Produktbeschreibung ermutigt der hochbegabte Säuglings-Mutant "zum Mitkrabbeln, spricht mehrere Sätze, lacht und läßt lustige Melodien erklingen".

Frühmusikalische Erziehung erteilt die Sprechende Orgel (39,98 Euro; "Winnie Puuh hilft dir auf dem Weg in die Welt der Musik"), und Vokabeltraining (Frühenglisch ab dem vierten Lebensjahr) übernimmt der irgendwie ergonomisch geformte Laptop in Tarnfarben. Soviel zur Bildung - doch auch für emotionale Nahrung sorgen beispielhaft die Toys'R'Us-Prospekte zum Zwanzig-Jahres-Jubiläum des einschlägigen Prekariat-Zulieferers: Für entgangene Familienmahlzeiten entschädigt der "Aktivitäten-Tisch" ("mit vielen Geräuschen, Licht und Musik") - die 29,98 Euro dafür hat Mutti auf Arbeit locker verdient, während das Kleine in der Krippe mit Kantinenessen abgespeist wurde. Fürs Wiegenlied sorgt das elektrische Traumbärchen-Mobile mit Lichteffekten, Fernbedienung und alptraumhaften Flügelviechern, für Kuscheleinheiten der kunststoffene Rescue Pet Cocker Spaniel zu 29,99 Euro. Daß der mit seinen tränigen Riesenaugen aus Plaste angsterregend debil dreinschaut, sollte nicht stören. Die inneren Werte allein zählen - zumal, wenn das Innere auch noch nützlich ist. Hier ist es ein Wecker: Der Ernst des Lebens, der mit frühmorgendlichem Aufstehen (die Krippe öffnet um sechs) beginnt, darf dem Nachwuchs nicht vorenthalten werden!

Ausgespielt hat es sich spätestens im Schulalter. Hier schrumpft der Horizont auf einen Viertelquadratmeter zusammen (diverse Play Stations und Jugend-Notebooks) oder noch kleiner, auf DVD-Größe oder Handyformat. Ob das nötig ist oder förderlich? Ja, denn "alle" haben es doch - wer möchte sein Kind schon Mobbing ausliefern? Und ist nicht jegliches Computer- und Digitaldings gleichsam eine Vorbereitung auf das Berufsleben?

Spaß beiseite. Daß zwei Drittel des feilgebotenenen Spielzeugs aus China kommen, selbst die als hochwertig beleumundete Ware von Lego und Ravensburger, taugt kaum als Gegenargument für Eltern, denen der grellbunte Schnickschnack nicht an sich Abschreckung genug ist. Dabei sind die Arbeitsbedingungen in der Spielwarenindustrie dort haarsträubend: Bis zu sechzehn Stunden täglich ohne Ruhetag steht das Personal zwischen teils gesundheitsschädlichen Rohstoffen - man denke an die zahllosen Rückrufaktionen bedenklicher Endprodukte in den vergangenen Monaten - am Fließband, um am Ende des Monats mit einem Hungerlohn nach Hause zu gehen. Ist das alles neu?

 Wenn einem die eigenen Eltern das gesamte - also rund dreißig Jahre alte - Spielzeugrepertoire sorgsam aufbewahrt haben, zeugt das von ökonomischer Planung und ökologischem Handeln zugleich. Die Kleinen stören sich nicht an der Zweitverwertung, ja, sie wird als solche nicht zur Kenntnis genommen. Eher würde es umgekehrt für naseweises Stirnrunzeln sorgen, wenn das Christkind in seiner Himmelswerkstatt eingeschweißte Neuware mit Markenlogo hätte anfertigen lassen.

Durchweg pädagogisch wertvoll oder ökologisch unbedenklich ist der halbantike Kram indes mitnichten: Der lackierte Holzbauernhof dünstet noch nach drei Jahrzehnten leicht aus, der Kinderatlas von annodazumal ist bereits "Made in Hongkong", und die Playmobil-Editionen, an denen wir uns einst müde gespielt haben, würden mit ihrem vorgefertigten Krimskrams ganz gut in einen knalligen Prospekt des Jahres 2007 passen. Hat uns der spielpädagogische Minderwert geschadet? Wohl nein. Zumal die kostengünstige Alternative des freien Spiels immer mit im Raum stand - oder in Hof und Garten eben.

Ganze Nachmittage ohne Kaufhaus-Tinnef zuzubringen, selbstvergessen und ins eifrige Tun versunken: Das geht auch heute noch kinderleicht und spielend einfach. Man staunt, was Kindergarten- und Grundschulkinder, warm eingepackt, mit einer Armee leicht ausgemergelter Kürbisse verschiedener Größe, ein paar ollen Tüchern und gesammelten Stöckchen anstellen können! Abenteuerlichste Begebenheiten ereignen sich da in hübsch errichteten Behausungen mit imaginierten Tischen voller Köstlichkeiten wie Hagebutten und Winterastern. Drinnen im Haus werden aus aufgestellten Matratzen und Laken fünf Höhlen in ein einziges Zimmer gebaut - da darf die spuckende, brabbelnde und urinierende Wie-in-echt-Puppe mal ganz ruhig sein.

 Kinderarmut, dieses moderne Gespenst, zeigt sich zu Weihnachten selbst in prekären Verhältnissen selten am traurig leeren Gabentisch; gerade dort eben nicht. Und die Generation, die sich in der eigenen Kindheit mit einem Ball aus Lumpen oder einer gesichtslosen Puppe aus Stoffresten bescheiden mußte, ist heute besonders schenkfreudig. Darum wird sich der Gabentisch der Kleinen wieder durchbiegen, wenn zu den zwei, drei bedachtsam ausgewählten Elterngeschenken sich die Masse der Großelterngaben, der Tanten-Päckchen und der nachbarlichen Aufmerksamkeiten gesellt - so muß es wohl sein, wenn die Lust am Schenken auf immer weniger Kinder trifft.   

Mißempfindungen mögen schweigen am Fest der Liebe - so sollte es sein. Doch was, wenn - wie vorjährig geschehen - der Nachbar am ersten Feiertag die Kreissäge anstellt? Man spricht höflich vor und merkt erst beim Lugen durchs Hoftor, daß es keine Säge ist, sondern der Super-Quad Predator, mit dem das Söhnlein mit 4 km/h durch den Hof gondelt.  Predator heißt Raubtier, und das paßt nicht schlecht. Auch Milchzähne können den Eltern die Haare vom Kopf fressen - billig war das Ding ja nicht. Nach Silvester - bis dahin rund um die Uhr - ward das Predatoren-Geräusch nicht mehr gehört. Im Sommer dann stand das Ungetüm als Sperrmüll vor dem Tor. Diese Investition war, modern gesprochen, nicht nachhaltig. Die armen Kinder unserer Zeit entbehren weniger das Geldopfer ihrer Eltern, sie leiden an zweierlei: Bequemlichkeit und Zeitmangel.


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