© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

Genosse Terrorist
Terrorismus II: Facettenreiche Zusammenarbeit der DDR mit der RAF / Tagung in Berlin
Ekkehard Schultz

Als im Sommer 1990 mehrere gesuchte ehemalige Aktivisten der Roten Armee Fraktion (RAF) in der DDR festgenommen werden konnten, wurde diese Entdeckung von vielen Medien als Sensation bezeichnet.  

Aber war den westlichen Geheimdiensten und der Politik der Aufenthalt der RAF-Mitglieder in der DDR tatsächlich verborgen geblieben? Welche Rolle spielte die DDR mit ihrem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) im internationalen linken Terrorismus überhaupt? Gewährte das MfS einem Teil der RAF-Terroristen nur Unterschlupf, oder betrachtete es die RAF als Verbündete? Diesen Fragen ging am vergangenen Donnerstag eine Podiumsdiskussion der Behörde der Bundesbeauftragten für die Akten des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes (BStU) in Berlin nach.

Der Historiker und BStU-Mitarbeiter Tobias Wunschik erinnerte daran, daß es bereits 1970 die ersten Kontakte zwischen MfS und RAF gab. Damals fragte Ulrike Meinhof nach der Befreiung von Andreas Baader aus dem Gefängnis in Ost-Berlin an, ob die DDR als Hinterland für Anschläge genutzt werden könne.

Trotz der negativen Antwort zeigt doch schon die Art des Umgangs, daß zwischen dem SED-Staat und der RAF keineswegs ein größerer Widerspruch existierte. Dies sollte sich auch in den kommenden Jahren bestätigen: Zwar wurden gesuchte Terroristen, die etwa beim Transit durch die DDR aufgegriffen wurden, zunächst festgenommen und vom MfS vernommen. Doch im Regelfall wurden sie schon nach wenigen Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt. Oft erhielten die Festgenommenen sogar Waffen und Sprengstoff wieder zurück, so Wunschik.

Der Journalist Markus Wehner von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erinnerte daran, daß sich die RAF ihrem Selbstverständnis nach als Teil der kommunistischen Weltorganisation betrachtete. Das Hauptziel - und darin stimmte sie mit der DDR überein - war die Errichtung eines sozialistischen Staates auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Ebenso verbanden beide die gemeinsamen Gegner - die Nato, die Vereinigten Staaten und auch Israel.

Zudem gab es zwischen MfS und RAF eine grundsätzliche Übereinstimmung in der Bewertung von Gewalt, deren Anwendung beide grundsätzlich für legitim hielten. Wichtig war für das MfS allein, rechtzeitig über die Planungen der RAF und die daraus resultierende Schwächung der demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik im Bilde zu sein, so Wehner. 

Insofern kann die Aufnahme von zehn RAF-Terroristen im Jahr 1980 in die DDR kaum Überraschungen auslösen, so der Historiker Martin Jander. Bereits kurz nach dem Ende des "deutschen Herbstes" 1977 und der daraus resultierenden Demoralisierung vieler Mitglieder gab es deutliche Signale des MfS, die Täter dem Zugriff der westdeutschen Justiz zu entziehen und sie zu diesem Zweck mit einer neuen Identität auszustatten. Denn schon vorher hatte das Mielke-Ministerium festgestellt, daß auch von noch aktiven Terroristen keinerlei Gefahr ausgehe. Weit größer war allerdings für die DDR allerdings das Risiko,  dadurch internationales Ansehen einzubüßen, so Jander.

Wie groß dieses Risiko tatsächlich war, stellte sich 1986 heraus, als trotz aller Tarnung Susanne Albrecht, Silke Meier-Witt und Inge Viett von Arbeitskollegen aus der DDR beziehungsweise von Besuchern aus der Bundesrepublik erkannt wurden.

Der Westen konnte aus diesen Entdeckungen den Schluß ziehen, daß sich höchstwahrscheinlich noch weitere Terroristen in der DDR befinden mußten, so Wehner. Tatsächlich gab es auch Vorstöße vom Bundeskriminalamt sowie vom Verfassungsschutz, welche jedoch von der westdeutschen Politik kaum beachtet oder sogar blockiert wurden.

Wunschik zog abschließend das Fazit, daß durch die Aufnahme der Terroristen in die DDR die Strukturen der RAF im Westen eher gestärkt als geschwächt wurden. Denn abgesehen davon, daß auf diesem Wege deren Verhaftung in der Bundesrepublik ausgeschlossen war und somit keine Prozesse und demzufolge auch keine Bestrafungen möglich waren, wurde auch die Gefahr gebannt, daß die demoralisierten Kader sich eventuell selbst offenbaren könnten.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen