© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/07 30. November 2007

Danach werden alle Sorgen klein
Ein interessanter Exkurs schildert ohne Hysterie die Auswirkungen kosmischer Katastrophen auf die Erde
Wiebke Dethlefs

Die Bedrohung der Menschheit durch kosmische Katastrophen wurde in den letzten hundert Jahren, nicht zuletzt nach den Erlebnissen zweier Weltkriege, stark verdrängt. Während für den Menschen des Mittelalters die Angst vor einem Weltuntergang beispielsweise durch Kometen allgegenwärtig war, lebte der Mensch der Nachkriegsära mehr in Angst vor einem "selbstgemachten", atomaren Ende der Welt. Gefahren aus dem All werden dabei meist negiert.

Dabei gilt seit langem unter Astronomen, daß man, statistisch gesehen, eher durch einen Meteoriteneinschlag als bei einem Flugzeugabsturz sein Leben verlieren kann. Denn das Auftreffen solcher Himmelskörper auf die Erde war in geologischer Vergangenheit sehr häufig der Fall, und es kann heute noch jederzeit zu einer solchen Katastrophe kommen. Der berühmteste dieser "impacts" ist jener eines etwa zehn Kilometer großen Meteoriten, der vor 65 Millionen Jahren auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán niederging und als dessen Folge die Dinosaurier ausstarben, allerdings so auch die Säugetiere zur Blüte gelangen konnten.

Eine zweiteilige, aufwendig an Schauplätzen in Mexiko, Afrika und Island hergestellte zweiteilige ZDF-Dokumentation mit Spielszenen (gesendet 25. Spetember und 2. Oktober 2007), betitelt "Armageddon-Der Einschlag", schilderte einen möglichen Einschlag eines extraterrestrischen Körpers von zwölf Kilometer Durchmesser sowie die resultierenden Folgen, wobei dieser Körper erst anderthalb Jahre vor seiner voraussichtlichen Kollision mit der Erde entdeckt wird. Das gleichnamige Begleitbuch aus dem Springer-Verlag, herausgegeben gemeinsam mit dem ZDF, ist einesteils eine Nacherzählung der Filmhandlung um das Schicksal dreier kleiner Gruppen von Menschen an verschiedenen Orten der Erde unmittelbar vor und nach dem Impakt, und anderenteils ein Sachbuch besonderer, neuer Art. In ihm spürt man das Anliegen der Herausgeber, die entsetzlichen Folgen eines Einschlages bewußt werden zu lassen. Dabei gelingt es ihnen dennoch, nicht in platte apokalyptische Panikmache zu verfallen - was angesichts des bei einer solchen Katastrophe zu Erwartenden ein kleines Kunststück ist.

So liegt eine Attraktivität des Buches zweifellos in der sachlichen, populären, dabei wissenschaftlich fundierten Darstellung. Zahlreiche hochkarätige Naturwissenschaftler und Impaktforscher waren nicht nur an der Herstellung des Films beteiligt, sondern erläutern auch ergänzend in einzelnen interviewartigen "specials" unter anderem das Woher solcher kosmischer Vagabunden und welche komplexen Ereignisse der Aufschlag nach sich zieht.

Denn er läßt nicht nur einen gewaltigen Krater (um die einhundert Kilometer Durchmesser) entstehen, er schleudert auch gewaltige Staubmengen in die Atmosphäre, die zu einer globalen, mehrjährigen Verdunklung führen, womit kaum noch Sonnenlicht auf die Erde trifft und die Photosynthese unterbrochen wird. Weltweit können die Temperaturen bis um vierzig Grad sinken. Mißernten und damit Hungersnöte werden die Folge sein. Die Flora wird sich nach der Katastrophe verändern. Pilze, die kaum Licht benötigen, werden bestimmend sein. Das bisherige Ökosystem wird vollständig kollabieren. Die gewaltige Reibungshitze beim Eindringen in die Atmosphäre bewirkt die Oxidation des Stickstoffs zu Stickstoffdioxid, das sich mit Wasser verbindet und als Salpetersäure zur Erde regnen wird. Tsunamis werden die Küstenregionen der Kontinente unabhängig vom Aufschlagspunkt überfluten. Schockwellen werden um die Erde rasen, dabei breiteste Schneisen der Zerstörung schlagen. Der Aufschlag wird in tektonisch labilen Zonen Erdbeben und Vulkanausbrüche auslösen, die ihrerseits das Inferno vergrößern. Welche Überlebenschancen haben Menschen und Tiere?

Im Film wird versucht, durch eine mit Atomraketen bestückte Raumsonde den Kometen wenigstens teilweise zu zerstören oder ihn zumindest von seiner Bahn abzulenken. Die reale Entwicklung dieses erfolgversprechenden Abwehrprojektes ist in den USA bereits weit fortgeschritten. In der Dokumentation klappt der Versuch nicht, da die Vorwarnzeit zu gering war, somit für korrekte Bahnberechnungen zu wenig Zeit bleibt und die Atomrakete den Kometen nur streift  und fast wirkungslos verpufft.

Kritisch ist nur Marginales anzumerken: Etwas inkonsequent und teilweise unrichtig werden im Buch die Begriffe Komet, Asteroid und Meteorit verwendet. Zwar soll der Einschlagskörper in "Armageddon" ein Komet sein, damit also per definitionem ein Brocken kosmischen Eises, der zusätzlich Geröllbrocken enthält. Dieser konnte gemäß der Handlung des Buches erst sehr spät geortet werden, da er eine langperiodische Umlaufbahn besaß und sich damit die meiste Zeit hinter der Sonne befunden hat.

Ein solcher Eiskörper könnte aber, selbst bei einem größeren Durchmesser, kaum solche katastrophalen Auswirkungen wie die geschilderten haben, da der Großteil des Eises beim Eindringen in die Atmosphäre schmilzt und die Geröllbrocken als Einzelstücke mit ihren geringen Durchmessern breit streuen und keine Krater erzeugen können, womit die katastrophalen Folgewirkungen ausbleiben. Auch gehen nach Meinung der Verfasser über zwei Drittel aller Einschläge auf der Erde auf Asteroiden, also auf größere und kleinere Gesteinsbrocken zurück, deren Bahn zwanzig, dreißig Jahre im voraus berechnet werden kann und die allerdings in der Tat (bei Durchmessern bis fünfhundert Metern regionale, bei solchen darüber aber globale) Auswirkungen bei einer Kollision mit der Erde erzeugen können.

Da aber im Plot der Dokumentation der Faktor des "zu späten Entdeckens" eine bedeutende Rolle spielte, entschied man sich vermutlich -wissenschaftlich nicht ganz korrekt - für einen langperiodischen Kometen. Ebenfalls nicht ganz korrekt wird im Buch der Begriff "Meteorit" in einem allgemeinem Sinne für einen auf der Erde auftreffenden Himmelskörper beliebiger Zusammensetzung verwendet. Tatsächlich wird dieser Terminus meist für steinerne (silikatische) bzw. metallführende im All umherirrende Brocken benutzt, auch ohne daß sie mit der Erde kollidieren. Daß der Filmprotagonist Fernando vier Monate nur 700 Kilometer vom Einschlagskrater entfernt überleben konnte, auch ausreichend Verpflegung zur Verfügung hatte, nachdem er sich in einem Keller während des eigentlichen Impakts verstecken konnte, ist das einzig Unglaubwürdige in der Darstellung.

Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, das uns allen sogar eine Pflichtlektüre sein sollte. Denn die real existierenden, kaum zu bannenden (und bei breiten Schichten verdrängten) Gefahren, die das Leben auf der Erde jederzeit auslöschen bzw. die Menschheit wieder auf das Entwicklungsniveau der Steinzeit zurückfallen lassen können, sind ein Damoklesschwert, dessen sich jeder bewußt sein muß. - Eine Bedrohung, angesichts derer Johannes B. Kerner, der Lokführerstreik, die Politik George W. Bushs und manche Zentralräte bedeutungslos werden.       

Ralf Blasius, Nadja Podbregar: Armageddon. Springer Verlag, Heidelberg 2007, gebunden, 268 Seiten, Abbildungen, 29,95 Euro


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