© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/07 30. November 2007

Man ist dagegen
Politische Zeichenlehre XXXVII: Rote Schleife
Karlheinz Weissmann

Jetzt sieht man sie wieder, fast allgegenwärtig, auf Plakaten, Aufklebern oder Buttons, als Ohrstecker, Anhänger, am Revers oder am Dekolleté, groß und auffällig oder klein und dezent, aus Stoff, aus Plastik oder Metall: die rote Schleife als Symbol des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember. Zwar hat die Weltgesundheitsorganisation die Zahl der Infizierten und Erkrankten gerade nach unten korrigiert, aber die Mobilisierung von Prominenz und Massen ist zu einem globalen Phänomen geworden, die überall mit demselben Symbol zum Ausdruck gebracht wird.

Die rote Schleife geht auf einen Entwurf der New Yorker Künstlergruppe Visual AIDS von 1991 zurück und hat sich seitdem als großer propagandistischer Erfolg erwiesen. Daß es dafür ein Vorbild gab, man in gewisser Weise sogar von einem ironischen Zitat sprechen kann, ist allerdings nur in den USA bekannt. Denn der Red Ribbon wurde angelehnt an den Yellow Ribbon. Die gelbe Schleife galt und gilt in den Vereinigten Staaten als sichtbares Zeichen des Patriotismus, vor allem um Verbundenheit mit den kämpfenden Truppen auszudrücken. Während der letzten Konflikte, an denen die Vereinigten Staaten beteiligt waren, hat das zu einer Flut von Verwendungsformen geführt. Viele konservative Amerikaner tragen den Yellow Ribbon wie das miniaturisierte Sternenbanner an der Kleidung.

Es ist allerdings umstritten, woher dieses Zeichen überhaupt kommt und wie die Farbe zu erklären ist. Gelegentlich findet man die Behauptung, daß es sich um das stilisierte Haltstuch handele, das die US-Kavalleristen während der Indianerkriege trugen und das entsprechend ihrer Waffenfarbe gelb war. Andere sehen den Ursprung in der Popularität eines schon im 19. Jahrhundert nachweisbaren Liebeslieds mit dem Titel "Round Her Neck She Wore A Yellow Ribbon".

Es kann allerdings im Hinblick auf die Verbreitung nicht verglichen werden mit dem Popsong "Tie A Yellow Ribbon Round The Ole Oak Tree", der seit seinem ersten Erscheinen 1972 in Millionen von Exemplaren verkauft wurde. Zugrunde liegt die sentimentale Geschichte von einem heimkehrenden Strafgefangenen, der hofft, daß seine Frau ihm durch ein Zeichen - ein gelbes Taschentuch an einen Baum gebunden - signalisiert, daß er willkommen sei. Die entsprechende Erzählung tauchte zuerst in Varianten in religiöser Erbauungsliteratur auf und erfreute sich seit den 1970er Jahren großer Beliebtheit.

Einen eigentlich politischen Sinn erhielt die gelbe Schleife dann 1979, als der Iran Amerikaner als Geiseln festsetzte. Damals kam es zum ersten Mal zur massenhaften Verbreitung der gelben Schleife als Symbol der nationalen Solidarität mit den Gefangenen. In den beiden Golfkriegen betrachtete man sie schon selbstverständlich als sichtbares Zeichen der Unterstützung von Armee und amtierendem Präsidenten.

Der Erfolg der Schleife als Symbol hat die Anti-Aids-Aktivisten dazu bewogen, die Form zu übernehmen und nur die Farbe zu ändern. Dabei ging es aber von Anfang an nicht um ein auf die USA begrenztes, nationales, sondern um ein weltweites Konzept. Der Erfolg spricht für sich. Mittlerweile gibt es Versuche, die rote Schleife ganz allgemein zur Werbung für gesundheitliche Zwecke zu nutzen - etwa bei Spendenaufrufen der Deutschen Krebshilfe -, und immer neue Abarten des Modells mit wiederum veränderter Farbgebung.

Von einer ähnlichen Durchsetzung wie die rote Schleife bleiben die allerdings weit entfernt. Die weißen, rosa- oder orangefarbenen, purpurnen, grünen oder grauen Schleifen beziehen sich immer nur auf beschränkte Propagandazonen oder werden ganz verschieden interpretiert.

Allein die blaue Schleife steht für eine kaum überschaubare Zahl von Bedeutungen: In den USA verwendet sie eine Bewegung gegen Zensur im Internet, sie wird aber auch als Ausdruck der Solidarität mit den Angehörigen getöteter Polizisten getragen, in Spanien findet sich die blaue Schleife bei Gegnern der ETA, in der Ukraine bei den rußlandfreundlichen Kräften, im Libanon trugen sie die Befürworter des syrischen Abzugs und in Israel die "Frieden jetzt"-Aktivisten. Im Frühjahr 2007 wurde die blaue Schleife übrigens von mehreren tausend Mitarbeitern der Weltbank angesteckt, die gegen das Mißmanagement ihres Präsidenten Paul Wolfowitz protestieren wollten, der kurz darauf sein Amt zur Verfügung stellen mußte.

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.


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