© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/07 30. November 2007

Warschauer Kontinuitäten
Polen: Die neue Regierung Tusk will vieles besser, aber außenpolitisch nicht alles anders machen / Soziale Frage kann Achillesferse werden
Andrzej Madela

Schon die Amtseinführung war kühl. Staatspräsident Lech Kaczyński überreichte dem Wahlsieger Donald Tusk und dessen Ministern die Ernennungsurkunden zwar gemäß Protokoll mit Händedruck, aber bei zwei Ministern, gegen deren Berufung er bereits im Vorfeld Einwände erhoben hatte, ließ er das ohnehin nur angedeutete Lächeln gänzlich weg: Weder Außenminister Radosław Sikorski noch Justizchef (und gleichzeitig Generalstaatsanwalt) Zbigniew Ćwiąkalski waren so recht nach seinem Geschmack.

Und an Sikorski ist das Nebeneinander von Kontinuität und Bruch des Kabinetts Tusk in aller Deutlichkeit zu erkennen. 1964 in Bromberg (Bydgoszcz) geboren, verließ er schon nach dem Abitur Polen. Er studierte in Oxford und avancierte in Großbritannien zum Erfolgsjournalisten. 1992 wurde er für einige Monate Vize-Verteidigungsminister im Kabinett des konservativen Solidarność-Aktivisten Jan Olszewski, von 1998 bis 2001 war er Vizeaußenminister in der Regierung des wirtschaftsliberalen Solidarność-Mitgründers Jerzy Buzek. 2005 wurde der politische Überflieger in der von der sozialkonservativen Partei PiS geführten Regierung Verteidigungsminister. Bis Februar 2007 genoß er das Vertrauen von Premier Jarosław Kaczyński. Nach dem Zerwürfnis über die Frage, wieviel man den USA für die polnische Bündnistreue in Irak und Afghanistan an Ausrüstung, Waffen und Geld abverlangen darf, trat Sikorski zurück.

In seinem neuen Amt muß der "Atlantiker" - er ist mit der US-Publizistin Anne Applebaum verheiratet und war Direktor im neokonservativen American Enterprise Institute - nun den Amerikanern schonend beibringen, daß die Regierung Tusk nicht länger gewillt ist, die polnische Irak-Mission aufrechtzuerhalten. Das Erfüllen dieses Wahlkampfversprechens bedeutet einen tiefen Einschnitt in den Beziehungen zu Washington. Die Kaczyńskis hatten die US-Option bewußt forciert, weil sie der EU nicht trauten. Für die PiS war Polen durch die Naivität ihrer zahlreichen Vorgängerregierungen zum EU-Mitglied zweiter Klasse geworden.

Von Washington erhoffte man sich Rückendeckung gegenüber Rußland und Handlungsspielräume in Osteu-ropa, insbesondere Richtung Baltikum und Ukraine, die im engen Brüsseler Korsett einfach nicht gegeben waren. Dennoch hat sich mit dem Sieg der wirtschaftsliberalen Bürgerplattform keineswegs eine antiamerikanische Option durchgesetzt, sondern eine, die der EU-Mitgliedschaft wieder verstärkt Rechnung trägt (JF 44/07). Gerade diese war unter Jarosław Kaczyński arg in Mitleidenschaft geraten. Die Beziehungen zu Berlin waren an einem veritablen Tiefpunkt angekommen, die zu Paris blieben unterkühlt.

Die Gebrüder Kaczyński haben den inzwischen fast einflußlosen deutschen Bund der Vertriebenen (BdV) zu einem blutrünstigen Ungeheuer aufgeblasen und die Haltung der Bundesregierung zur randständigen Preußischen Treuhand zum alleinigen Maßstab polnisch-deutscher Beziehungen erhoben.

Trotzdem wird auch hier einiges unverändert bleiben: Selbst Tusk wird bei seiner Duzfreundin Angela Merkel (der "aus polnischer Sicht besten deutschen Politikerin", JF 47/07) darauf drängen, BdV-Chefin Erika Steinbach vom politischen Geschäft fernzuhalten, die Preußische Treuhand zu ignorieren und die geplante Dokumentationsstelle zur Vertreibung in einen europäischen Kontext zu stellen. Nicht, weil Tusk selbst Steinbach für so bedeutend hält, sondern weil sein Vorgänger sie zu einem Popanz entwickelt und die hochemotionale Thematik unter den politischen Erbstücken zurückgelassen hatte.

Innenpolitisch wird die Wende etwas übersichtlicher. Die Vorgängerregierung sah den Staat und seine Gesetzgebung als Ergebnis einer langen Geschichte, die um nationale und christliche Werte zentriert ist. Die Entschlossenheit des Staates beim Vorgehen gegen Kriminalität, Korruption und Amtsmißbrauch konnte nicht zuletzt auf ebendiese Weise motiviert und legitimiert werden, und die große Popularität, die dieses Vorgehen beim Bürger erlangte, belegt eindeutig, daß es weit über Parteigrenzen hinaus Zustimmung genoß.

Tusks liberales Gesellschaftsmodell kennt hingegen keine besonderen nationalen Werte, der Vorrang der Brüsseler Vorgaben ist für ihn unbestritten. Es ist auch zu erwarten, daß sich der Kampf gegen die Korruption (im weltweiten Korruptionsindex CPI liegt Polen auf Rang 60) abschwächt, möglicherweise steht das nicht immer sehr feine, dafür aber äußerst effektive Zentrale Antikorruptionsbüro (CBA) bald als Ganzes zur Disposition. Das könnte allerdings zu einem Popularitätsverlust von Tusk führen und seinem Widersacher Jarosław Kaczyński Auftrieb verschaffen.

Wandel ist von Tusk auch im Sozialbereich zu erwarten. Die abgewählte Dreier-Koalition aus PiS, linkspopulistischer Samoobrona und nationalkatholischer Familienliga (LPR) hatte sich als Sachwalter der sozial Schwachen profiliert: den Kündigungsschutz ausgebaut, Mindestlöhne, Renten und Alimente angehoben. Tusks PO-Ministerriege hingegen kommt aus der urbanen Mittelschicht, sie versteht sich als Vertreterin des weltoffenen, gebildeten und wirtschaftlich wohlhabenden Polentums, dem die Zugehörigkeit zur EU keine Fessel, sondern unternehmerische und politische Freiheit bedeutet.

Sie dürfte daher schon bald im Interesse der Unternehmer den Arbeitsmarkt wieder liberalisieren und ihre sozialen Aktivitäten zurückfahren. Doch gerade auf diesem Feld sind die tiefsten Verwerfungen zu erwarten - und somit auch das Versinken der neuen Regierung in Koalitionskompromissen mit der zum Machterhalt nötigen bäuerlichen Volkspartei (PSL), endlosen Verhandlungen und schließlich amtlicher Untätigkeit.

Die PO hatte die Wahlen mit 41,5 Prozent haushoch gewonnen, damit aber zugleich eine in Polen nach 1989 beispiellose Erwartungshaltung auf einen radikalen Neuanfang in die Welt gesetzt. Sie wird viele Hoffnungen, insbesondere die in der Arbeitswelt, aber nicht befriedigen, weil ihr wirtschaftsliberaler Zuschnitt dies von vornherein ausschließt. Es spricht zwar einiges dafür, daß Tusk große Chancen hat, die vier Jahre Amtszeit ohne Erschütterungen zu überstehen. Das war bisher nur von 1997 bis 2001 der Regierung Buzek gelungen. Allerdings: Bei den anschließenden Sejm-Wahlen 2001 wurde Buzek vernichtend geschlagen, und die Postkommunisten (SLD) kehrten mit wechselndem Personal für einige Jahre an die Macht zurück.

Foto: Außenminister Radosław Sikorski: Der "Atlantiker" muß in Wa­shington den polnischen Truppenabzug aus dem Irak erklären


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen