© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/07 30. November 2007

Jeder schaut auf die nächsten Wahlen
Große Koalition: Der innenpolitische Reformdrang von Union und SPD ist erschöpft / Koalitionspartner blockieren sich gegenseitig
Paul Rosen

In einer fernen Zeit wird man sagen, daß die Große Koalition, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Berlin regierte, wenigstens in einem Punkt nicht versagt hatte. Unter der Kanzlerin Angela Merkel war die Föderalismusreform beschlossen worden, die die Bundesländer erheblich gestärkt und damit einen gesunden Wettbewerbsföderalismus möglich gemacht hatte.

In diesem Erfolg liegt zugleich die Crux der Koalition: Draußen bei den Wählern ist eine erfolgreiche Föderalismusreform nicht darstellbar. Die Bürger werden daher von den Öffentlichkeitsarbeitern der Regierung mit anderen Angelegenheiten erfolgreich hinters Licht geführt: So wurde der falsche Eindruck erweckt, Merkel und ihre Regierung seien Weltmarktführer beim Kampf gegen den Klimawandel und hätten den G8-Gipfel mit diesem Thema umgedreht.

Nun ist die Regierung Merkel, gestellt von den Parteien Union und SPD, zwei Jahre im Amt. Wenn man von einem unfallfreien Rest der Legislaturperiode ausgeht, dann hat sie also die Hälfte ihres Weges hinter sich. Genug Grund für PR-Strategen in Berlin, die Regierung zu loben, etwa für ihre angeblich so seriöse Finanzpolitik oder die Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die tatsächlich deutlich unter den Fünf-Millionen-Wert sank.

Doch die tragenden Säulen dieser Koalition, die von Anfang an kein Liebes-, sondern ein Zweckbündnis war, brechen eine nach der anderen weg. Zuerst ging der Bayer Edmund Stoiber. Ins Kabinett hatte er schon 2005 nicht mehr gewollt, aber als CSU-Chef blieb er eine Stütze der Koalition. Kürzlich ging Franz Müntefering. Der SPD-Arbeitsminister hatte zusammen mit Stoiber die Grundlagen für das Bündnis geschaffen. Merkel ist in der Regierung auf sich gestellt; loyale Mitstreiter auf der SPD-Seite hat sie jetzt nicht mehr. Der neue Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier arbeitet an seiner eigenen Kanzlerkandidatur und setzt sich außenpolitisch von Merkel ab, die mit dem Empfang des Dalai Lama immerhin ein bemerkenswertes Zeichen gegen die Diktatoren in Peking gesetzt hatte.

Innenpolitisch sieht die Lage verheerend aus. Die mit einer massiven Steuer­erhöhung gestartete Große Koalition liegt wie eine Bleiplatte über dem Land. Daß sich die Staatsfinanzen etwas erholt haben, hängt mit der massiven Mehrwertsteuererhöhung und einigen kleinen konjunkturellen Lichtblicken zusammen. Doch die Schatten der US-Immobilienkrise und der steigende Euro-Kurs können die von Finanzminister Peer Steinbrück geplante Operation "schuldenfreier Haushalt" schnell beenden. Bisher hat Vater Staat von seinen Schulden (1.500  Milliarden Euro) jedenfalls keinen Cent zurückbezahlt. Nur die Anhäufung zusätzlicher Schulden wurde verringert.

Große Reformvorhaben, die angeblich nur eine Große Koalition bewältigen kann, gingen daneben. Die "Rente mit 67" war so ein Fall. Nachdem sie von Müntefering im Schnellverfahren durchgeboxt wurde, müssen sich die Politiker heute fragen lassen, wer überhaupt noch bis 67 arbeiten kann. Viele Arbeitnehmer kommen nicht einmal bis zum 60. Lebensjahr. Die Maßnahme entpuppt sich als Rentenkürzung. Die Regierung gibt dies selbst indirekt zu, wenn man die Änderungen bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes betrachtet. Wenn ältere Arbeitnehmer wirklich schnell wieder Arbeit finden würden, hätte man sich die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I sparen können.

Die Gesundheitsreform endete in einem Desaster. Kosten- und Ausgabenbremsen fehlen, statt dessen wird ein "Gesundheitsfonds" geschaffen, in dem alle Beiträge gesammelt und dann weiterverteilt werden sollen. Die DDR-Zwangsverwaltungswirtschaft läßt grüßen. Beitragserhöhungen konnte die Reform bisher nicht verhindern. Immerhin wurden die Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung kräftig gesenkt. Auch die Unternehmensteuerreform ist ein vernünftiger Ansatz. Die Änderungen bei der Zins- und Dividendenbesteuerung (eine neue Abgeltungsteuer) werden aber weiter Kapital ins Ausland vertreiben.

Hart umstritten auch innerhalb der Union war die Familienförderung. Zwar einigte sich die Koalition auf ein Elterngeld, aber das besonders von der CSU geforderte Betreuungsgeld (abschätzig als Herdprämie bezeichnet) ist noch nicht realisiert. Gerade in der Familienpolitik wird deutlich, daß CDU und SPD verstärkt auf den Staat als Erzieher setzen - auch eine klare Analogie zur DDR.

Weitere Schwerpunkte der Regierungsarbeit sind die Bahnreform und der Mindestlohn im Postbereich. Hier sieht wenig nach einer schnellen Einigung aus. Die Bahnreform wäre auf dem SPD-Parteitag in Hamburg beinahe völlig untergegangen. Nur das beherzte Eingreifen von Parteichef Kurt Beck konnte sie noch retten. Und am Mindestlohn im Postbereich, den die SPD will und die Union nicht, wird deutlich, daß der Vorrat an Gemeinsamkeiten verbraucht ist.

Der innenpolitische Reformdrang ist erschöpft. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) blockieren sich in allen Punkten gegenseitig. Beck versucht, die Linkspartei mit einem Linksschwenk seiner SPD zu bekämpfen. Jeder schaut auf die Wahlen. Von der Arbeitsperspektive her gesehen ist die Koalition längst beendet - was jetzt zählt, sind die Landtagswahlkämpfe 2008 und die Ergebnisse. Da spielt es keine Rolle, ob die Regierung formal noch bis 2009 bestehen bleibt oder vorher kippt.

Foto: Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel: Landtagswahlen im Blick


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