© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/07 30. November 2007

Kolumne
Wo liegt Europa?
Herbert Ammon

Eingeladen hatten Deutsche, Franzosen und Russen ("Zentrum für sozial-konservative Politik") ins Hotel de Rome. Bettina Adenauer erinnerte an den Besuch ihres Großvaters in Moskau 1955, der dessen bisheriges Rußlandbild als einer Gefahr für Europa verändert habe. Sie rühmte Helmut Kohl, der Michail Gorbatschow beim Staatsbesuch 1989 an dessen Wort vom "gemeinsamen Haus Europa" gemahnte. Sie nannte Rußland und Europa eine Familie, verbunden durch das christliche Erbe. Sodann gründete sie die künftigen Beziehungen EU-Europas zu Rußland auf das europäisch-amerikanische Verhältnis. Aus solch harmonischer Perspektive rückt die Frage nach politischer Geographie, nach Kultur und Selbstverständnis Europas gar nicht erst ins Bild. Immerhin: Ein gemeinsames Fundament soll die geopolitischen Fakten und Widersprüche aushalten - die christliche Tradition.

Duma-Präsident Boris Gryslow ("Einiges Rußland") rückte selbstbewußt die Realitäten ins Bewußtsein. Er erinnerte an Rußlands Rolle im asiatisch-pazifischen Raum und insistierte auf der untrennbaren Zugehörigkeit seines Landes zu Europa. Er nannte Wirtschaftsdaten, aus denen Rußland nach den Krisen der 1990er Jahre sein neues Selbstbewußtsein schöpft. Ein solches Land läßt sich von westlichen KSE-Beobachtern bei den bevorstehenden Duma-Wahlen nicht hineinreden. Westliche Medien verbreiteten Desinformationen und Vorurteile wie zu Zeiten des Kalten Krieges, während einige Nato-Mitglieder Rußland als feindlichen Staat betrachteten. Auf der Münchner Konferenz habe Putin zu den westlichen Zumutungen das Nötige gesagt. Andere Russen sekundierten. Was würden die Europäer sagen, wenn Rußland Raketen in Mexiko (!) aufstellte, fragte ein Journalistikprofessor. Der französische Abgeordnete René André bekannte sich gut französisch zur Multipolarität und bat die Russen um mehr Engagement in der EU.

Europa? Es blieb Fürst Iwan Schachowskoj, Pariser Sproß der russischen Emigration, überlassen, die provokante Frage zu stellen: Was ist, was wird aus Europa? Das osteuropäische Rußland bekenne sich zu den christlichen Wurzeln, es entdecke den Wert der Arbeit. In Westeuropa schätze man den Wert der Sozialhilfe, keiner spreche mehr von "unserer" (deutschen/französischen) Geschichte, keiner sage mehr: "Wir sind ein christliches Land." Gert Weiskirchen (SPD) hatte dem mit ideell unvereinbaren Bekenntnissen zu Kant, Dostojewski und Majakowski wenig entgegenzusetzen. Europäische Union = Europa?

 

Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen