© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/07 23. November 2007

Fragwürdige Zahlen und Kampagnen
Mythenbildung um die Aids-Gefahr: Differenzierte Sichtweisen kommen bei all den schrillen Aids-Events zu kurz
Michael Howanietz

Es ist ein Schaulaufen der besonderen Art. Die allseits bekannte Prominenz aus Politik und Unterhaltung, all die Sterne und Sternchen geben sich auf diversen Aids-Galas die Klinke in die Hand und posieren spaßig vor den Kameras. Dabei  geht es doch um ernste Dinge. Der Welt-Aids-Tag steht vor der Tür, und die Nachrichten sind schlecht. "Südafrika sei angesichts der hohen Infektions- und Todesraten und zu zögerlicher Behandlung dabei, den Kampf gegen Aids zu verlieren", zitiert n-tv das UN-Kinderhilfswerk Unicef und berichtet über eine "grassierenden Aids-Epidemie" am Kap der Hoffnung. Täglich stürben in Südafrika 900 Menschen an der Immunschwächekrankheit, 5,4 Millionen seien HIV-infiziert. Mangelhafte Kondome, der Aberglaube - "Sex mit Jungfrauen heilt Aids" - und grassierende Unwissenheit seien verantwortlich, heißt es.

Auch in Deutschland kommt man nicht zur Ruh. Zwar liegt hier HIV-Infektionsrate mit unter 0,1 Prozent auf sehr niedrigem Niveau. Dennoch sei die Zahl der Neudiagnosen gestiegen. So meldete das Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI) zwischen Januar und Juli 2007 zwar 1.334 neu gemeldete HIV-Neuinfektionen - neun Prozent mehr als in der ersten Jahreshälfte 2006 -, gab aber parallel dazu zu bedenken, dies sei gegenüber dem zweiten Halbjahr 2006 (1.414) ein Rückgang um sechs Prozent. Also Fehlalarm auf weiter Flur?

Folgt man den Enthüllungen des ehemaligen Aids-Prognostikers der Weltgesundheitsorganisation WHO, James Chin, steht das Kürzel für den Aids-Virus HIV auch für die Begriffe Hysterie, Inszenierung und Verzerrung. In seinem Buch "The Aids Pandemic - The Collision of Epidemiology with Political Correctness" deckt Chin das Frisieren von Aids-Zahlen und das gezielte Schüren der Seuchenangst auf. An der vorsätzlich entfachten Mythenbildung sind dem renommierten Epidemiologen zufolge Uno-Behörden ebenso beteiligt wie hochdotierte "Experten" und aus der Homosexuellenszene stammende Aids-Berater.

Vor allem das Risiko einer heterosexuellen Ansteckung wird nach Chins Erhebungen hemmungslos übertrieben. Für einen gesunden Mann liege die Wahrscheinlichkeit, sich beim Geschlechtsverkehr mit einer HIV-positiven Frau anzustecken, unter 1 : 1000. Allein der Versuch, die Gesamtgesellschaft mit einer Geißel Gottes zu bedrohen, die weitgehend Homosexuelle betrifft, lasse erkennen, daß nicht epidemiologische Parameter, sondern ausschließlich die Zwänge der politischen Korrektheit den Diskurs bestimmen. Diesen Verdacht nahm bereits Mitte der achtziger Jahre Ronald Reagans Kommunikationschef Patrick Buchanan mit durchaus unwissenschaftlicher Polemik vorweg, indem er Aids als "Rache der Natur an den Schwulen" diagnostizierte.

Chin jedenfalls stellt die von der eigens für Aids-Belange gegründeten Uno-Behörde Unaids, der WHO und Aids-Aktivisten entfachten Kampagnen sowie deren Datenfundament in ein höchst fragwürdiges Zwielicht. Leugnung der Sonderstellung Homosexueller, Dramatisierung der Bedrohung für heterosexuell veranlagte Menschen, also die überwältigende Mehrheit, und überzogene HIV-Zahlen ob manipulativer Berechnungsgrundlagen, lautet sein Vorwurf. Die Verteilung der neu diagnostizierten HIV-Infektionen auf die unterschiedlichen Risikogruppen in Deutschland gibt ihm recht: Homosexuelle Männer liegen mit 55 Prozent weit vor Migranten aus Hochprävalenzgebieten (21 Prozent), Heterosexuellen (15 Prozent), Drogenkonsumenten (acht Prozent) und Kindern HIV-infizierter Mütter (ein Prozent).  

Die Motive für offenkundige Irreführungen der Öffentlichkeit ortet Chin zunächst in der ebenso augenscheinlichen Befangenheit der Protagonisten. Wer selbst homosexuell und womöglich HIV-positiv ist, wird keinen Beitrag zum Schutz der Allgemeinheit leisten wollen, wenn dieser Maßnahmen erfordert, die unter seinesgleichen als diskriminierend empfunden werden. Immerhin wurde laut über eine sichtbare Tätowierung Aids-Infizierter und deren Einweisung in Quarantänestationen nachgedacht.

Hinzu kommt, daß mit Aids-Hilfeprojekten gut verdient werden kann. Man darf von niemandem erwarten, sich den eigenen Geldhahn zuzudrehen, wurde dieser erst mit reichlich Steuergeld aus der hinters Licht geführten "öffentlichen Hand" geöffnet.

Die mit Kalkül geplante Inszenierung der Seuche als unmittelbare Bedrohung der gesamten Menschheit zeitigte zweierlei Folgen. Zum einen wurde die befürchtete Diskriminierung der Schwulen vermieden. Zum anderen ließen sich Unsummen für Hilfsprogramme in das "besonders gestrafte" Afrika umleiten - Gelder, deren Verbleib in Folge häufig ungeklärt blieb. Parallel wurde der Sonderfall Afrika, wo Aids tatsächlich auch die heterosexuelle Bevölkerung betrifft, kurzerhand in den Rang globaler Allgemeingültigkeit erhoben.

Zu Unrecht, wie James Chin glaubhaft nachweist. Steckt sich ein europäischer Bordellbesucher mit dem Virus an, infiziert er womöglich Frau oder Freundin. Damit findet das übliche europäische Verbreitungsmuster sein rasches Ende. In Afrika dagegen ist das promiskuitive Nomadentum keineswegs auf Prostituierte und deren Kundschaft beschränkt, die Verbreitung entsprechend verästelt. Auch erhöht die Häufigkeit von Geschlechtskrankheiten die Ansteckungsgefahr.

Derartige Differenzierung freilich lassen Unaids-Berichte gewohnheitsmäßig vermissen. Statt dessen wurde und wird kräftig am Datenmaterial übersteuert. Weltweit, so Chin gegenüber der Weltwoche, beträgt die Zahl der HIV-Infizierten nicht 40, sondern "nur" 30 Millionen. Die Zahlen für Indien mußten von Unaids mittlerweile von 5,7 auf 2,5 Millionen zurückgenommen werden. Jene für Kenia wurden von 2,3 auf 1,2 Millionen, für Äthiopien von zwei auf eine halbe Million korrigiert.

Auf Besserung im Sinne höherer Seriosität zu hoffen, scheint dennoch vermessen, da nicht selten Überzeichnung und Marktschreierei prolongiert werden. So spricht Unaids weiterhin von "permanenter Ausbreitung" und "stetiger Zunahme", obgleich selbst im subsaharianischen Afrika der Höhepunkt der Ausbreitung überschritten ist. Unverändert wird auch mit nicht repräsentativen Daten aus städtischen Geburtskliniken und daraus abgeleiteten unzulässigen Hochrechnungen gearbeitet.

Auch der zweite Hauptkritikpunkt in Chins Abrechnung mit der Aids-Lobby hat Bestand. Weiterhin werden aberwitzige Summen in sogenannte Aufklärungskampagnen gepumpt, die mit der Gesamtbevölkerung die falsche Zielgruppe im Visier haben. Daß Angstmache vor allem in Europa betrieben wird, ist schon deshalb frivol, weil die HIV-Rate in den europäischen Ländern (0,1 bis 0,5 Prozent im Westen und bis zu 1,1 Prozent in Rußland und Estland) verglichen mit dem südlichen Afrika (bis zu 50 Prozent) verschwindend niedrig liegt.

Geringeres Infektionsrisiko und vor allem fehlendes Risikoverhalten der Europäer entlarven die hierzulande für Präventivmaßnahmen getätigten Investitionen oft als fruchtlose Subventionen.

Da es aber an Erkenntnissen fehlt, findet engagierte Emotionalität fruchtbaren Nährboden vor. In zweijährigem Rhythmus tagt die Welt-Aids-Konferenz. Nach den enttäuschenden, weil ergebnislosen Veranstaltungen in Barcelona 2002 und Bangkok 2004 setzte die Forschung große Hoffnungen auf Toronto 2006. Doch auch die Mehrzahl der anläßlich dieser Konferenz vorgestellten Studien, 4.500 an der Zahl, war nach Expertenurteil von geringem wissenschaftlichem Wert. Nach wie vor wird unbedarft über mögliche Ursprünge des epidemischen Unheils spekuliert. Nach wie vor ist kein Heilmittel in Sicht. Nach wie vor werden bequeme Unwahrheiten als Köder für eine rege Spendenbereitschaft ausgelegt.

Die resultierende Befangenheit bildet das ideale Substrat, um kollabierende Gesundheitsbudgets zu plündern und Solidarität mit den Armen der Welt einzufordern, die von Aids am häufigsten betroffen seien. Wer im Begriffe ist, seine ganz persönliche gute Tat für die Schicksalsgeschlagenen zu vollbringen, fragt nicht lange nach statistisch belegten Fakten. Er erführe sonst, daß Armut keineswegs als Indikator für die Verbreitung von Aids gelten kann. Ganz im Gegenteil weisen die reichsten Länder Afrikas die höchsten, die ärmsten Länder deutlich niedrigere HIV-Raten auf. Gleiches gilt für alle untersuchten Weltregionen. Die Verbesserung der Lebensbedingungen kann folglich zu keiner Reduzierung der Aids-Infektionen führen.

Davon unberührt verwandeln schrille Aids-Events das von leeren Kassen geprägte Terrain umsichtiger Gesundheitspolitik zur schillernden Bühne.

 

Stichwort: Welt-Aids-Tag

"Aufklärung, Schutz, Solidarität. Das sind die Ziele des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember, den in Deutschland die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gemeinsam mit der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Stiftung gestalten." So heißt es auf der Internetseite von welt-aids-tag.de. Hier findet man alles, um "gemeinsam gegen Aids" zu kämpfen. In diesem Kampf zeigt der Interessierte seinen Mobilisierungsgrad auch in diesem Jahr per Aids-Schleife: "Eine Schleife heißt: Ziemlich easy, das schaffst du auch gut alleine. Zwei Schleifen signalisieren: Zwei sind besser als einer oder eine. Und drei Schleifen bedeuten: Du brauchst ein Team von mindestens vier bis fünf Leuten."

Foto: Amusement auf der Gala "Künstler gegen Aids": "Showstar" Lorenzo, "Starfriseur" Udo Walz und "Drag-Queen" Olivia Jones


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