© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/07 23. November 2007

Der Schatz der Nibelungen: Themenabend bei Arte
Zwischen Sage und Geschichte
Baal Müller

Die alten Germanen erfreuen sich wieder einer zunehmenden Beliebtheit, wie die verschiedenen Nibelungen- und Beowulf-Filme der letzten Jahre, zahlreiche Buchveröffentlichungen, die wachsende Reenactment-Szene und nicht zuletzt eine angenehm ideologiefreie Behandlung in den Medien zeigen. Ein deutliches Indiz dafür sind auch die großangelegten Dokumentarfilme, mit denen Arte derzeit hervortritt: Im Sommer erst wurde der Vierteiler "Die Germanen" ausgestrahlt, nun folgt der Zweiteiler "Der Schatz der Nibelungen" (So., 25. November, 20.45 Uhr - im Anschluß um 22.30 Uhr, "Die Nibelungen", Deutschland 1966).

Wer darin Neuigkeiten zum Nibelungenlied erwartet, wird vielleicht enttäuscht sein; von diesem ist zwar auch die Rede, und der Zuschauer kann dem Marburger Germanistikprofessor Joachim Heinzle über die Schulter schauen, wie er mit Samthandschuhen in der kostbaren St. Gallener Handschrift blättert. Doch eigentlich geht es um die Suche nach dem Nibelungenhort sowie um germanische Schätze im allgemeinen. Der Film ist populär gehalten und bietet flott zusammengeschnittenes Histotainment mit nebeldampfenden Wäldern am Rhein, isländischen Eisküsten, Nibelungenorten wie Worms oder Lorsch. Mit beeindruckend schönen Gegenständen aus römisch-germanischer Zeit und kurzen Interviews mit Philologen, Historikern, Militärexperten, Waffenschmieden und Schatzsuchern - das Ganze immer wieder "animiert" durch Filmszenen aus Fritz Langs "Nibelungen" oder bärtige Reenactors, in deren Händen das obligatorische Trinkhorn sogar recht authentisch aussieht.

 Der Nibelungenhort selbst kann freilich nicht präsentiert werden, so daß man auf die ganz große Sensation - wenn ihn etwa der bereits in der zweiten Generation grabende Hans Jacobi mit verbesserter Technologie doch noch findet - warten muß. Aber die Überreste der Varusschlacht oder die in einem früheren Seitenarm des Rhein entdeckten Beutestücke germanischer Raubzügler entschädigen sogar dann noch dafür, wenn sie von groben Fäusten zwecks gleichmäßiger Verteilung in Stücke gehauen wurden.

Unfreiwillig bedient der Film doch ein paar Klischees von Römern und "Barbaren": So wird die römische Kultur der germanischen auch dort als haushoch überlegen dargestellt, wo sich aufgrund neuerer Forschungsergebnisse ein anderes Bild ergeben hat, etwa auf dem Gebiet der Schmiedekunst - was um so verwunderlicher ist, als der Film den Realitätsgehalt der in der Wielandssage beschriebenen eigentümlichen und hochentwickelten Schmiedetechnik herausstellt. Auch springt er ein wenig zwischen den Jahrhunderten sowie zwischen Sage und Geschichte: Gewiß waren römische Schwerter der frühen Kaiserzeit germanischen Produktionen derselben Zeit überlegen, aber was folgt daraus für die Epoche der Völkerwanderung, die für manche der im Nibelungenlied beschriebenen Ereignisse den historischen Hintergrund bildet? Doch nicht etwa, daß Siegfried, wenn es ihn denn gab, eigentlich nur ein römisches Schwert besessen haben kann!

Überhaupt wird den Römern viel Aufmerksamkeit gewidmet, die sich in der ausführlichen Behandlung der Varusschlacht sowie der Andeutung niederschlägt, diese könnte vielleicht die Vorlage für Siegfrieds Drachenkampf gebildet haben. Der Cheruskerfürst Arminius wäre dann das Vorbild für den Nibelungenrecken und der römische "Heerwurm" gar das reale Substrat des Lindwurms gewesen.

Diese These wurde wiederholt, auch von berühmten Forschern wie Otto Höfler, vertreten und an Details wie den mit "Segi-"("Sieg-") beginnenden Namen aus Arminius' Verwandtschaft oder dem Namen der Cherusker ("Hirschleute") festgemacht - Siegfried wurde nach einer Überlieferung von einer Hirschkuh gesäugt. Dagegen spricht jedoch die völlige Abwesenheit der Römer im Nibelungenlied, die - neben den fehlenden archäologischen Zeugnissen für ein Wormser Burgunderreich - auch die übliche Auffassung fraglich erscheinen läßt, der heroische Untergang der Burgunden in Etzels Halle reflektiere ihre historische Vernichtung durch ein römisch-hunnisches Heer unter dem Feldherrn Aetius. Die Versuche, den Kern der Sage zu lokalisieren, wären eine Erwähnung wert gewesen, sind sie doch auch für die Frage nach dem möglichen Ort des Schatzes von größter Wichtigkeit.

Aber selbst wenn der Nibelungenhort bis zur Götterdämmerung verschollen bleibt, ist es zu begrüßen, wenn diejenigen, die ganz reale Schätze zuweilen dem Rhein überlassen mußten, durch einen Film wie diesen nicht in der Versenkung verschwinden - und für die Darstellung der Germanen im Arminiusjahr 2009 läßt er Positives erhoffen.


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