© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/07 23. November 2007

Sönke Neitzel lieferte die Grundlage zum neuen ZDF Mehrteiler  "Die Wehrmacht"
Der Chorknabe
Kai Zirner

Der in Fachkreisen als "nationalkonservativ" etikettierte Mainzer Historiker Winfried Baumgart wollte Ende der neunziger Jahre aller Welt zeigen, daß es auch heutzutage möglich ist, einen Historiker unter dreißig zu habilitieren. Nur um wenige Monate scheiterte dieses Experiment, für das Baumgart seinen Schüler, den 1968 geborenen Hamburger Sönke Neitzel auserkoren hatte, der 1994 mit einer Dissertation über "Der Einsatz der deutschen Luftwaffe über Atlantik und Nordsee 1939 bis 1945" promoviert wurde. Gleichwohl war es beeindruckend, daß Neitzel in einem derart zarten Historikeralter die Venia legendi in Mainz erhielt. Seiner Arbeit über "Die Weltreichslehre im Zeitalter des Imperialismus" (JF 24/00) merkte man die Eile allerdings auch etwas an.

Neitzel betreibt Militärgeschichte, damit liegt er nun gut im Trend. Weniger goutiert wird seine Tätigkeit für Guido Knopp. Ebenfalls seit 1994 arbeitet er als Fachberater für die Redaktion Zeitgeschichte des ZDF. Auf dem letzten Historikertag 2006 wurde er dafür heftig gescholten. Der Jenenser Zeithistoriker Norbert Frei sprach gar von "Pornographie", die Knopp und seine Leute trieben, und Neitzel wurde zu einer Art willigem Vollstrecker stilisiert.

Jetzt liefert Neitzel die publizistische Grundlage für den Dienstag letzter Woche angelaufenen ZDF-Fünfteiler "Die Wehrmacht. Eine Bilanz" (siehe auch Seite 17). Zwischen 1942 und 1945 hörten die Briten in Trent Park, einem Landsitz nördlich von London, die Gespräche von 63 gefangenen Generalen und vierzehn Obristen der deutschen Wehrmacht ab. Aus diesem Material - das durch den Einsatz von Provokateuren und gefälschten Zeitungen noch verschärft wurde - erstellten die Briten schriftliche Extrakte. Neitzel entdeckte die unbeachteten Akten und publizierte sie 2006 unter dem Titel "Abgehört. Deutsche Generale in britischer Kriegsgefangenschaft" (JF 14/06).

Nun dienen Wehrmachtsquellen mittlerweile meist nur noch zur Illustration vorgefertigter Thesen, und so werden auch diese als Eingeständnis einer Beteiligung der Wehrmacht am "Vernichtungskrieg" im Osten gelesen. Da verwundert es nicht, daß auch das ZDF in dieses Horn bläst, wie Neitzel vorab schon in einem Presseinterview unfreiwillig zu verstehen gab.

Doch findet man auf der entsprechenden Internetseite des ZDF im Vergleich zu den Wehrmachtsausstellungen immerhin einige Differenzierungen. Ganz einig scheint man sich in Knopps Redaktion allerdings auch nicht zu sein - Neitzel ist indes eine treibende Kraft hinsichtlich der gängigen Wehrmachts-Kriminalisierung. Dabei ist er ein methodisch eher konservativer Historiker - und im Regionalteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lästerte er schon mal über die Achtundsechziger.

Doch scheint der außerplanmäßige Professor sich um seine Zukunft zu sorgen und stimmt so vorsorglich lieber doch in den Chor der Wehrmachts-Skandalisierer ein.


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