© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/07 16. November 2007

Frisch gepresst

Tannenberg-Mythos. Laut dem etwas die Parameter verrutschenden Thomas Kirn (FAZ vom 31. Oktober 2007) habe der Mord an der Frankfurter "Lebedame" Rosemarie Nitribitt im November 1957 in der Bundesrepublik einen "publizistischen Tsunami" ausgelöst. Doch welch einen lächerlichen Sturm im Wasserglas entfachten die diversen Nachkriegsaffären von Nitribitt und Keeler im Vergleich mit jener mythenstiftenden Bild- und Textindustrie, die etwa das von Hindenburg und Ludendorff errungene ostpreußische Tannenberg-Cannae über die zaristischen Angriffskrieger tief im deutschen Unterbewußtsein versenkte? Leider unter schmerzlicher Vernachlässigung eines großen Teils dieser mythologisierenden Produktion - und daher nur ein scheinbar erschöpfendes Opus präsentierend - breitet Jesko von Hoegen seine bei dem Hindenburg-Biographen Wolfgang Pyta entstandene Stuttgarter Dissertation über den "Tannenberg-Mythos" aus (Der Held von Tannenberg. Böhlau Verlag, Köln 2007, gebunden, 475 Seiten, Abbildungen, 54,90 Euro). Da Pyta auf seinen 1.000 Seiten schon enervierend häufig auf die "Symbolwirkung" bzw. die "Bewirtschaftung" des bei Tannenberg eingesammelten "Kapitals" des Feldmarschalls und Reichspräsidenten abhebt, ist von Hoegens Werk durchaus als ein die Linien ausziehendes "Abfallprodukt" der Forschungsanstrengungen des Doktorvaters aufzufassen, das sich vielfach mit dessen Biographie überschneidet, gleichwohl aber Aspekte des Hindenburg-Kultes erfaßt, die als eigenständiger Beitrag zur politischen Ideengeschichte zu würdigen sind.

 

Kirche und Vertreibung. Die katholische Kirche Polens trifft bekanntlich eine Mitverantwortung schon für die "kalte Vertreibung" der Deutschen aus den 1919 annektierten preußischen Provinzen. Nicht weniger hingebungsvoll traten polnische Geistliche als Täter beim Vertreibungsverbrechen von 1945/46 in Erscheinung. Da mutet es höchst paradox an, wenn ihre deutschen "Mitbrüder" sich gerade um die Heilung der Wunden bemühten, die jene schlugen. Den Anteil der katholischen Kirche an der Fürsorge für Vertriebene, ihr intensives Bemühen um seelsorgerische Betreuung, ideelle Integration und "Identitätsstiftung", aber auch die Positionen des Katholizismus in der bundesrepublikanischen wie vatikanischen "Ostpolitik", vor allem die Reaktion auf die berühmt-berüchtigte "Ostdenkschrift" der EKD und die "Versöhnungsinitiative" polnischer Bischöfe, untersucht Sabine Voßkamp in ihrer bei Wilfried Loth und Dirk Blasius (Universität Duisburg-Essen) entstandenen Dissertation über "Katholische Kirche und Vertriebene in Westdeutschland. Integration, Identität und ostpolitischer Diskurs 1945-1972" (Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2007, broschiert, 422 Seiten, 39 Euro).


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