© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/07 09. November 2007

In den Sphären des heiligen Deutschland
Die heute fast vergessene Biographie der damals berühmten Fliegerin Melitta von Stauffenberg, einer Schwägerin des Hitler-Attentäters
Hans-Joachim von Leesen

Über die Familie Schenk von Stauffenberg, der der Hitler-Attentäter Claus entsprang, ist die Öffentlichkeit informiert - nicht zuletzt durch die publizistische Arbeit dieser Zeitung. Dabei ist jedoch ein Mitglied der Familie weithin unbekannt geblieben: die Fliegerin Melitta Gräfin Stauffenberg. Fällt aber der Name in diesem oder jenem Buch eher am Rande, dann sind die damit zusammenhängenden Behauptungen über ihr Leben meist falsch. Dabei hat der Militärhistoriker Gerhard Bracke im Verlag Langen Müller vor 17 Jahren eine auf ihrem Nachlaß fußende Biographie über Melitta Gräfin Schenk von Stauffenberg vorgelegt, die aber von den meinungsbildenden Medien übersehen wurde.

Der Lebenslauf von Melitta Gräfin Schenk von Stauffenberg ist für viele überraschend, paßt er doch nicht in die für diese Zeit üblichen Klischees. Dennoch ist mit ihrem Leben ein Stück Geschichte verbunden, das sehr wohl zeittypisch ist, wenn man es in den Gesamtzusammenhang stellt.

Sie wurde als Melitta Schiller 1903 in Krotoschin in der preußischen Provinz Posen geboren. Ihr Vater stammt aus einer jüdischen Pelzgroßhändlerfamilie, die ihren Sitz in der Gegend von Odessa hatte. Nach dem Studium der Mathematik und Statik trat er in den preußischen Staatsdienst ein und wurde später zum Baurat ernannt. Vor dem Ersten Weltkrieg trat er zum protestantischen Glauben über. Er meldete sich 1914 freiwillig und kehrte 1918 als Hauptmann und mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet nach Bromberg zurück, von wo die Familie infolge der polnischen Okkupation nach Versailles ins schlesische Hirschberg umsiedeln mußte.

Melitta Schiller studierte nach ihrem Abitur an der Technischen Hochschule München technische Physik mit dem Schwerpunkt Flugmechanik und schloß das Studium mit der Prüfung als Diplomingenieurin ab. In der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt war sie mit serodynamischen Untersuchungen theoretischer wie experimenteller Art befaßt. 1929 erwarb sie die Flugscheine für sämtliche Motorflugzeuge sowie den Kunstflugführerschein. Die mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit zusammenhängenden notwendigen Flugversuche konnte sie somit persönlich ausführen. Ihre Forschungs- und Konstruktionsarbeiten setzte sie in den Flugzeugwerken Askania in Berlin-Friedenau fort; sie war in leitender Position an der Entwicklung eines Sturzflugvisiers für Sturzkampfbomber tätig. 1937 erwarb sie als zweite Frau Deutschlands den Titel "Flugkapitän". Im selben Jahr heiratete sie Alexander Graf Schenk von Stauffenberg, einen Bruder von Claus.

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges setzte sie ihre Arbeiten in der Erprobungsstelle der Luftwaffe sowie in der Luftwaffenerprobungsstelle Rechlin als Ingenieurflugzeugführerin fort. Es war ihre Aufgabe, die Zielgenauigkeit im Sturzflug zu verbessern. Bis 1942 hatte sie etwa 900 vermessene und gefilmte steile Zielstürze von 5.000 auf 1.000 Meter Höhe durchgeführt, eine für jeden Piloten überaus anstrengende Tätigkeit. Ihr besorgter Vater schrieb an den Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Reichsmarschall Hermann Göring, einen Brief, in dem er ihn bat, seine Tochter von den extremen körperlichen und psychischen Belastungen zu befreien. Er fürchtete, daß sonst ihre Fähigkeit leiden könnte, Kinder zu gebären. Einen Tag später erfuhr Melittas Mutter von dem Brief. Sie schrieb sofort an Göring, er möge den Brief als ungeschrieben betrachten. Ihre Tochter wäre unglücklich, wenn sie von dem Brief erführe, er sei nicht in ihrem Sinne.

Im Februar 1943 wurde Melitta als vierter Frau das Eiserne Kreuz zweiter Klasse verliehen. Kurz darauf wurde sie vom Oberbefehlshaber der Luftwaffe empfangen, der ihr nach 1.600 Sturzflügen das Flugzeugführerabzeichen in Gold mit Brillanten persönlich überreichte. In Melittas Nachlaß gibt es eine lebhafte Schilderung ihres Besuches. Sie genoß die Anerkennung, die ihrer Leistung zuteil wurde. 1943 fuhr sie im Auftrag des Auswärtigen Amtes und des Reichspropagandaministeriums nach Schweden, um in Stockholm vor den Spitzen der schwedischen Gesellschaft einen Vortrag zu halten über "Eine Frau in der Flugerprobung", der, wie sie betonte, von ihr allein geschrieben und von niemandem zensiert worden sei. Auf ihren Vorschlag wurde im Mai 1944 eine neue Versuchsstelle für Flugsondergerät in Berlin-Gatow eingerichtet. Sie wurde zur technischen wie zur wissenschaftlichen Leiterin ernannt.

Nach dem Attentat ihres Schwagers Claus auf Adolf Hitler, an dem auch dessen Bruder Berthold beteiligt war, von dem sie aber ebensowenig wußte wie ihr Mann Alexander, wurde sie wie andere Familienmitglieder infolge der angewandten Sippenhaft festgenommen. Ihrem Tagebuch vertraute sie an, daß die Verhältnisse in der Haft überraschend angenehm gewesen seien. Wenige Tage nach der Einlieferung richtete sie ein Gesuch an Reichsmarschall Göring, in dem sie darum bat, man möge sie an der Entwicklung ihrer kriegswichtiger Erfindungen weiterarbeiten lassen. Tatsächlich wurde sie am 2. September 1944 entlassen. Ein Tag später startete sie bereits wieder zu Erprobungsflügen, um ein neues Nachtlandeverfahren für Nachtjäger zu entwickeln. Von den Behörden wurde sie damit beauftragt, sich um die Kinder der inhaftierten Angehörigen der Familie Stauffenberg zu kümmern, was sie engagiert tat.

Als sie am 8. April 1945 in einem Kleinflugzeug entweder in einer Bücker Bü 181 oder einem Fieseler Storch Fi 156   mit amtlicher Genehmigung ihren noch inhaftierten Mann besuchen wollte (sie vermutete ihn in dem KZ Außenlager Schönberg im Bayerischen Wald), wurde sie mit großer Wahrscheinlichkeit von einem US-Jagdflugzeug in der Nähe von Straubing abgeschossen, wie ihr Biograph ermittelte. Irgendwelche Hinweise auf ein Attentat, wie nach dem Krieg kolportiert wurde, fanden sich nicht. Sie wurde mit militärischen Ehren beigesetzt. Im Sommer 1945 wurden ihre sterblichen Überreste in die Familiengrabstätte in Lauchlingen umgebettet. Ihre Eltern erlebten das Kriegsende in Danzig, wo der Vater starb. Ihre Mutter ist beim Versuch verschollen, sich in den Westen durchzuschlagen.

Alexander Schenk von Stauffenberg schrieb in einem seiner gefallenen Frau gewidmeten Gedicht: "Und mit dem brüderlichen paare leuchtet / Vor uns dein siegreich antlitz und verspricht / In aller schmach das künftige gericht ..."

Fotos: Melitta Gräfin Stauffenberg in einer Ju 88: Kriegswichtig; Hochzeitsbild von Melittas Kollegen Paul v. Handel. In der ersten Reihe Claus v. Stauffenberg in Reichswehruniform, rechts neben ihm Melitta, Berlin 1934: Opfer der Sippenhaft nach dem Attentat

Gerhard Bracke: Melitta Gräfin Stauffenberg. Das Leben einer Fliegerin, Neuauflage. Komet Verlag, Köln 2005, gebunden, 300 Seiten, Abbildungen, 9,95 Euro


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