© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/07 09. November 2007

Zwei ungleiche Kandidaten
Hamburg: Die Parteien rüsten sich für die Bürgerschaftswahl am 24. Februar 2008 / Absolute CDU-Mehrheit auf der Kippe
Marcus Schmidt

Der Auftritt Ronald Schills ließ die bereits in Stellung gegangenen Wahlkämpfer kurz innehalten. So mancher Hamburger Politiker mag sich am Mittwoch vergangener Woche, dem Tag, an dem der aus dem selbstgewählten Exil in Rio de Janeiro zurückgekehrte ehemalige Innensenator vor einem Untersuchungsausschuß der Bürgerschaft aussagte, daran erinnert haben, wie alles begann: damals, 2001, als Schill die politischen Bühne der stolzen Hansestadt betrat und damit das Ende der jahrzehntelangen SPD-Herrschaft einläutete und den Boden bereitete für den fulminanten Wahlsieg der CDU 2004. Seitdem regiert Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust die Stadt mit einer absoluten Mehrheit.

Derzeit deuten indes alle Umfragen darauf hin, daß sich von Beust nach der Bürgerschaftswahl am 24. Februar kommenden Jahres zumindest einen Koalitionspartner suchen muß - wenn sein Senat nicht gar von Rot-Grün abgelöst wird. In der vergangenen Woche ging die CDU daher in die Offensive und eröffnete die nächste Phase des Wahlkampfes: Finanzsenator Michael Freytag (CDU) verkündete medienwirksam das Ende der Nettoneuverschuldung der Stadt und überwies sogleich eine Million Euro zur Schuldentilgung. Der Senat stellt sich auch sonst erwartungsgemäß ein gutes Zeugnis aus. Das Konzept der "wachsenden Stadt", symbolisiert durch die Wiederbesiedelung von Teilen des ehemaligen Freihafens, der künftigen "Hafen City", sei ein Erfolg und die Einwohnerzahl der Hansestadt seit 2001 stark gestiegen.

Die SPD hat dem wenig entgegenzusetzen. An ihrem Spitzenkandidaten Michael Naumann dürfte es jedenfalls nicht liegen, sollte die SPD am nächsten Senat beteiligt sein. Der 65 Jahre alte ehemalige Kulturstaatsminister und beurlaubte Zeit-Herausgeber fremdelt noch immer in seiner Rolle als Herausforderer des beliebten Bürgermeisters. Der Bundesparteitag der Sozialdemokraten in Hamburg hat Naumann nicht den erhofften Schub gebracht, zu sehr war seine Partei mit eigenen Problemen und der Bundespolitik beschäftigt.

Als ein Wahlkampfthema schält sich derzeit die Bildungspolitik heraus. Die in Hamburg mustergültig zur liberalen "Großstadtpartei" mutierte CDU hat sich längst vom klassischen dreigliedrigen Schulsystem verabschiedet und propagiert ihr  "Zwei-Säulen-Modell" bestehend aus Stadtteilschulen und - als Tribut an die verbleibenden bürgerlichen Wähler - Gymnasien. Die SPD, die über Jahrzehnte die Gesamtschule gehätschelt hat, wehrt sich nun etwas hilflos gegen den Vorwurf der Union, sie wolle das Gymnasium abschaffen und die Einheitsschule einführen.

Die Hamburger Grünen (GAL) können derlei Auseinandersetzungen aus der Ferne beobachten und sich unterdessen entspannt um ihre imposante Stammwählerschaft kümmern, die längst nicht mehr nur in den einschlägigen "linken" Stadtteilen ansässig ist. Sorge bereiten der GAL höchstens die Umfragewerte für die Linkspartei, die durchweg über fünf Prozent liegen. Allerdings scheint die Partei bislang eher Nichtwähler zu mobilisieren, als in fremden Revieren zu wildern.

Düster sieht es dagegen für die FDP aus, die im Sommer den Rücktritt ihres Spitzenkandidaten Wieland Schinnenburg verkraften mußte und nun auf den früheren Altonaer Bezirksamtsleiter Hinnerk Fock vertraut. Ihr wird der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde kaum zugetraut.

Wie ein Nachhall der Schill-Ära wirkt dagegen das Treiben der politischen Rechten in der Hansestadt. Gleich zwei Parteien können hier mit ehemaligen Senatoren aufwarten: Während Dirk Nockemann, ehemals Parteigänger Schills und dessen Nachfolger als Innensenator, den Landesverband der Zentrumspartei in den Wahlkampf führt, geht Roger Kusch, ehemals Justizsenator und CDU-Mitglied, mit der Kusch-Partei "Rechte Mitte Heimat Hamburg" an den Start. Unablässig plakatiert die Kusch-Partei bereits seit Monaten für Vortragsveranstaltungen ihres Vorsitzenden. Dessen penetrantes Eintreten für die Sterbehilfe stößt allerdings auf ein geteiltes Echo.


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