© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/07 02. November 2007

Jenseits der Harmonieklischees
Knud Romers Bestseller über seine dänische Jugend und den dort durchlittenen Deutschenhaß
Hans Joachim von Leesen

Als Mitte der neunziger Jahre das Hamburger Institut für Arbeitswissenschaften und Organisationsentwicklung die Ergebnisse seiner Untersuchung, ob und gegebenenfalls wie in der deutschdänischen Grenz­region die grenzüberschreitende Zusammenarbeit verbessert werden könnte, in Flensburg der Öffentlichkeit vorstellen sollte, wurde zwei Tage vor dem angekündigten Termin diese Öffentlichkeit ausgeschlossen. Die auf Harmonie erpichten Auftraggeber, der dänische Kreis Nordschleswig, die deutschen Kreise Schleswig, Flensburg und Nordfriesland sowie die Stadt Flensburg, hatten, das ging aus ihren gewundenen Erklärungen hervor, Angst vor den Resultaten, denn die ergaben ein anderes Bild als die gewohnten Schönfärbereien.

Die vom Institut befragten Deutschen bejahten fast ausnahmslos den Wunsch nach stärkerer Zusammenarbeit mit den dänischen Nachbarn. Die Dänen hingegen zögerten deutlich. Auf die Frage, ob es Unterschiede zwischen Deutschen und Dänen gebe, antworteten die deutschen Interviewten durch die Bank mit "Nein". Die Dänen jedoch hoben vehement gravierende Unterschiede hervor. Wie die benachbarten Völker einander charakterisierten, unterschied sich deutlich von dem Süßholzgeraspel der Politiker diesseits wie jenseits der Grenze.

Tatsächlich sind die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und Dänen beträchtlich. Das hat nicht nur mit der deutschen Besetzung Dänemarks von 1940 bis 1945 zu tun, ja, man könnte zu dem Schluß kommen, daß die gegenseitige Skepsis auch ohne dieses Ereignis geherrscht hätte. Die Wurzeln der unterschiedlichen Beurteilung liegen viel tiefer. Es beginnt mit der Erhebung der deutschen Schleswig-Holsteiner gegen dänische Herrschaft 1848 und kulminiert mit dem von Dänemark provozierten Deutsch-Dänischen Krieg 1864, als dessen Ergebnis der dänische Gesamtstaat die deutschen Herzogtümer Schleswig und Holstein verlor und Dänemark damit auf die Position eines europäischen Kleinstaates herabsank.

Und so ist wohl auch zu erklären, was in dem Buch des dänischen Autors Knud Romer, dessen deutsche Fassung unter dem Titel "Wer blinzelt, hat Angst vor dem Tod" soeben erschienen ist, an Bedrückendem erzählt wird. Romer, heute einer der bedeutendsten dänischen Werbefachleute, wurde 1960 auf der dänischen Insel Falster geboren, sein Vater war Däne, aber seine Mutter Deutsche. Sie hatte aus Liebe zu ihrem Manne ihr Heimatland lange nach dem Kriege verlassen. Daß sie den in dänischen Ohren deutsch klingenden Vornamen Hildegard trug, brachte ihr von Anfang an den Spott der Nachbarn ein. Romer schildert, wie sie beim Einkaufen in dänischen Geschäften ständig zurückgedrängt wurde, wie man ihr verdorbene Ware andrehte, das Wechselgeld falsch herausgab, was sie aufgrund ihrer noch unzureichenden Dänischkenntnisse über sich ergehen lassen mußte.

Das Schulbrot, das sie ihrem kleinen Sohn Knud schmierte, war anders belegt und anders geschnitten, als in Dänemark üblich - ein Grund mehr für seine Schulkameraden, ihn zu hänseln und als "deutsches Schwein" zu beschimpfen. Als die Mutter nach der Geburtstagsfeier ihres Sohnes mit der Gesellschaft Laterne laufend durch die Straßen von Nykøbing zog, den Gesang der Kinder mit der Ziehharmonika begleitend, stellten sich die Nachbarn am Straßenrand auf und erhoben den rechten Arm zum Hitlergruß. In der Schule lernte der kleine Knud, das wichtigste für einen Dänen sei die Vaterlandsliebe und der Haß auf die Deutschen. "In sämtlichen Büchern der Schulbibliothek waren die Deutschen die Bösen." Auf dem Schulhof ließen die Kinder ihren anerzogenen Deutschenhaß an Knud aus. "In all den Stunden hatten sie es gelernt und wußten, wer ich war. Ich war das deutsche Schwein, und meine Mutter war ein Hitlerflittchen. Die meiste Zeit verbrachte ich damit, in einem Kreis von Jungen und Mädchen zu stehen, die mich schubsten und bespuckten und im Chor brüllten. Und der Lehrer der Aufsicht drehte ihnen den Rücken zu und unternahm nichts."

Als Knud älter wurde, entdeckte er die deutsche Literatur - nicht zuletzt durch Besuche bei den Großeltern in Frankfurt. Er las sich vor allem in den Werken der Romantik fest. Er suchte Antiquariate auf und ließ sich dort nieder, um ein Buch nach dem anderen zu verschlingen. Daraus entstand sein alles beherrschender Wunsch, einmal so dichten zu können wie die deutschen Dichter, seine "toten Freunde".

Das Ergebnis dieses jahrzehntelang gepflegten Wunsches ist das vorliegende Buch, das in Dänemark wie eine Bombe wirkte. Es ist schon sensationell, wenn in einem Land mit nicht einmal fünf-einhalb Millionen Einwohnern über 70.000 Exemplare eines Buches verkauft werden. Als vor wenigen Wochen eine Kieler Buchhandlung Knud Romer zu seiner ersten Lesung vor deutschem Publikum eingeladen hatte, ließ er sein Buch links liegen und erzählte sein Leben - bunt, schillernd, traurig, grotesk, skurril, lustig. Seine Zuhörer waren fasziniert. Zum Schluß sagte er, wie enttäuscht er über die Reaktion seiner dänischen Landsleute sei. Er habe gehofft, man würde nach der Lektüre seines Buches sagen: "Wir haben uns schrecklich benommen. Wir bedauern das und bitten um Entschuldigung." Niemand hat dergleichen gesagt. Statt dessen leugneten sie, sich so verhalten zu haben, wie Romer es schildert. "Das haben wir nie getan!"

 Trotzdem erhielt Romer mehrere Literaturpreise - den einer großen Zeitung, des Publikums, der dänischen Buchhändler. Aber keinen der Kritiker oder von einer staatlichen Stelle, erzählt er. Sein Buch "Wer blinzelt, hat Angst vor dem Tod" - ein Wikingerwort, wie er sagt - ist bei aller Bitterkeit ein wunderbares poetisches Buch. Es klingt aus mit einer ergreifenden Schilderung des schrecklichen Todes seiner deutschen Mutter, der er seine ganze Liebe schenkt.

Knud Romer: Wer blinzelt, hat Angst vor dem Tod. Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Insel Verlag, Frankfurt und Leipzig 2007, gebunden, 169 Seiten, 16,80 Euro

Foto: Dänische Idylle ohne jede Deutschfeindlichkeit im Legoland bei Billund/Jütland: "Das haben wir nie getan!"


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