© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/07 02. November 2007

Kulturstätte der Heimat
Vertreibung: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse will BdV ausgrenzen / Positives Beispiel für Völkerverständigung an italienisch-österreichischer Grenze
Martin Schmidt

Etwa 15 Millionen Deutsche wurden ab 1945 aus ihrer Heimat im Osten und Süden Europas vertrieben. Etwa vier Millionen erreichten zunächst das Gebiet der späteren DDR. Mit Rücksicht auf die sozialistischen "Bruderstaaten" wurden die Vertriebenen in der offiziellen Propaganda "Umsiedler" genannt. Die DDR-Regierung leistete zwar materielle Eingliederungshilfe - über die schrecklichen Erfahrungen des Heimatverlustes und die Gewalt­exzesse der Roten Armee oder tschechischer "Antifaschisten" durften die Vertriebenen bis 1990 allenfalls unter dem Dach der Kirchen sprechen. Interessenverbände gab es nicht, und der Bund der Vertriebenen (BdV) wurde als "Revanchistenverband" abgestempelt.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, einst beim Ministerium für Kultur und am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig, scheint noch heute in DDR-Kategorien zu denken. Das SPD-Parteivorstandsmitglied will verhindern, daß BdV-Präsidentin Erika Steinbach in den Gremien des von der Bundesregierung geplanten Dokumentationszentrums über Vertreibungen in Berlin mitarbeitet. Der BdV könne in ein Kuratorium oder einen Beirat "jemanden entsenden. Doch das sollte eben nicht Frau Steinbach sein", erklärte Thierse im Focus. Es sei sein "privater Wunsch, daß sie sich zurückzieht". Der SPD-Politiker befürchtet Ärger mit Warschau: "Selbst die gemäßigtesten polnischen Politiker sehen rot, wenn man den Namen erwähnt."

Während beim Thema Vertreibung zwischen Deutschland und Polen (sowie auch Tschechien) von echter Verständigung weiterhin keine Rede sein kann, gibt es von der österreichisch-italienischen Grenze Positives zu berichten. Mit ausdrücklicher Zustimmung des Landes Kärnten wurde bereits vor einigen Wochen konkrete Völkerverständigung und eine echte Aufarbeitung des Vertreibungsgeschehens im 20. Jahrhundert geleistet - ohne die unmittelbar Betroffenen oder ihre Verbände schon im Vorfeld auszugrenzen.

Rund 500 Personen verschiedener Volkszugehörigkeit versammelten sich am 15. September im österreichischen Gurk in Kärnten, um eine Gedenkstätte volksdeutscher Vertriebener einzuweihen. Neben einem italienischen Parlamentsabgeordneten und dem Oberbürgermeister von Tarvis (Tarvisio) im deutsch besiedelten norditalienischen Kanaltal war mit Massimiliano Lacota auch der Chef der Unione degli Istriani - Libera provincia dell'Istria in Esilio anwesend.

Diese Organisation der aus Istrien vertriebenen Italiener ist die größte Interessenvertretung jener 250.000 Menschen (etwa 90 Prozent der italienischen Bevölkerung Istriens), die direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und in einer zweiten Welle im Jahre 1954 ihre Heimat verlassen mußten. Der engagierte junge Lacota hatte bereits Ende März beim ersten Internationalen Kongreß der Vertriebenen und Flüchtlinge in Europa im italienischen Triest auf sich aufmerksam gemacht (JF 16/07), bei dem die Union der Istrianer federführend war. In Gurk konnte er sich über die gleichzeitig zur Denkmals-einweihung erfolgte Eröffnung einer Ausstellung über die Geschichte und Vertreibung der italienischen Bewohner Istriens in der örtlichen "Kulturstätte der Heimat" freuen.

Sie ist ein Ergebnis der seit 2003 bestehenden engen grenzüberschreitenden Kontakte zwischen der Sudetendeutschen Landsmannschaft von Kärnten und der Unione degli Istriani. Von deutscher bzw. österreichischer Seite waren in Gurk Donauschwaben, Siebenbürger Sachsen, Sudetendeutsche, Untersteirer, Mießtaler, Gottscheer, Kanaltaler und natürlich Kärntner mit ihren Trachten und Fahnen vertreten.


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