© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/07 26. Oktober 2007

Die feindlichen Brüder
Der Streit zwischen der SPD und "Die Linke" ruft Erinnerungen an den Kampf gegen die KPD in der Weimarer Republik wach
Ulrich Kappenstein

Links und frei" - so betitelte Willy Brandt die Biographie über seine sozialistisch geprägte Jugendzeit vor 1933. Wie stellte sich aber die Situation für die SPD in der neuen Zeit des Weimarer Umbruchs dar? Konnte sie sich dieses Gefühl Willy Brandts zu eigen machen?

Zwei mächtige Konkurrenten forderten die SPD schon kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges heraus: Zunächst spaltete sich noch während des Krieges der linke Flügel der SPD ab und gründete eine eigene Partei, die Unabhängige sozialdemokratischen Partei (USPD). Ihr Erfolg kulminierte in den Reichstagswahlen vom Juni 1920 mit 18 Prozent der Stimmen als zweitstärkste Fraktion.

Die Enttäuschung der Wähler über den bürgerlichen Kurs der SPD, die als neuer Machtfaktor auf radikale gesellschaftspolitische Maßnahmen verzichtet hatte, führte zu einem massiven Vertrauensverlust: Von 1919 noch erreichten 37,9 Prozent fiel die SPD auf 21,6 Prozent zurück. Damit waren die beiden konkurrierenden sozialdemokratischen Parteien fast gleich stark.

Die andere, weit radikalere Partei, die 1918 gegründete KPD, sorgte dafür, daß den ultralinken Kräften eine neue politische Heimat geboten wurde. Sie begann ihren Aufstieg zwar mit recht bescheidenen Erfolgen. Zwei Abgeordnete der KPD brachte das zweiprozentige Wahlergebnis 1920 in den Reichstag. Erst der Übertritt von Teilen der USPD im Dezember, die fast zwei Drittel ihrer 800.000 Mitglieder an die KPD verlor, machte die KPD zu einer Massenpartei.

Dieser gewaltige Aderlaß und der radikale Wählerschwund bei den Landtagswahlen Anfang der 1920er Jahre führten bei der USPD jedoch zu einer Umorientierung und Hinwendung zur SPD: Die Vereinigung der beiden Parteien befreite die SPD von einem großen Druck, den die USPD bis dahin auf die Mehrheitssozialdemokratie ausgeübt hatte. Damit standen sich im linken Parteienspektrum SPD und KPD konkurrierend gegenüber und mit ihnen zwei Parteiprogrammatiken und Gesellschaftsmodelle, die sich diametral voneinander unterschieden: radikal-sozialistisch die einen, sozialdemokratisch die anderen.

Die SPD suchte über die Arbeiterschaft hinaus, deren Anteil sich am Ende der Weimarer Republik gleichmäßig auf SPD und KPD verteilte, eine breitere gesellschaftliche Basis durch das Bewerben neuer Gruppen (Angestellte, Bauern, Beamte etc.) zu erreichen. Es ging darum, das eigene politische Gewicht zu erhöhen. Beide Parteien trugen einen haßerfüllten politischen Streit aus, der sich nicht auf erbitterte Wortgefechte beschränkte, sondern oftmals - besonders Anfang der 1930er Jahre - handfeste tätliche Auseinandersetzungen zur Folge hatte. Die radikalisierte Wortwahl der KPD, die die Sozialdemokraten mit dem Begriff "Sozialfaschisten" belegte und von diesen mit der Bezeichnung "Kozis" und "fremdgesteuerte Moskowiter" erwidert wurde, liefert ein beredtes Zeugnis.

KPD und SPD trennten nicht nur unterschiedliche politische Interpretationen, sondern auch eine soziokulturelle Kluft ihrer eigenen Anhängerschaft. Dennoch fanden viele Arbeiter in den intersozialistisch ausgerichteten Arbeitervereinen eine gemeinsame Basis. Gemeinsames Turnen, Singen und Lernen schloß nicht aus, daß man am nächsten Tag mit Fäusten aufeinander losging.

Erst 1928 änderte sich die Situation und mündete in einen radikaleren grundsätzlichen Machtkampf. Darin spiegelte sich ein ambivalentes Verhältnis zwischen SPD und KPD wider: Den Gemeinsamkeiten des milieugeprägten politischen Arbeiteralltags standen die politischen Ziele der proletarischen Diktatur der auf Moskau ausgerichteten KPD dem republiktreuen Kurs der Sozialdemokratie entgegen. Den etablierten Kommunisten, die bei den November-wahlen 1932 16,9 Prozent erreichten und mit der SPD fast gleichauf lagen (20,4 Prozent), hat die SPD - im Unterschied zur USPD - ihren Platz auf der politischen Bühne nicht mehr streitig zu machen vermocht.         

Historische Analogien besitzen zweifellos immer einen fragwürdigen Charakter, dennoch drängt sich eine Parallele zur heutigen Lage der SPD auf:  Nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland war es der SPD noch zwanzig Jahre lang, wie vor 1914, gelungen, sich ohne Bedrängnis als linke Volkspartei konkurrenzlos zu behaupten. Die Abgrenzung zu den Kommunisten - exemplarisch ist Kurt Schumachers Urteil über die "rotlackierten Faschisten" - geriet durch die Spannungen des Kalten Krieges ohnehin in den Hintergrund. Doch seit Ende der siebziger Jahre erwuchs mit den Grünen eine politische Formation, die erstmals im SPD-eigenen Wählerreservoir zu wildern begann - und das mit zunehmendem Erfolg. Der linke Rand der Volkspartei begann zu zerfasern, und der Anspruch der Sozialdemokraten, links von ihr dürfte keine neue Partei entstehen, war nicht mehr aufrechtzuerhalten.

In den neuen Bundesländern verhielt es sich kaum anders: Die nach dem Zusammenbruch der DDR in PDS umbenannte ehemalige SED begann seit 1990 zusätzlich ein erhebliches Wählerpotential links von der SPD auf deren Kosten an sich zu binden. Im Westen der Republik verunsichert die SPD mit ihrer Politik noch mehr ihrer alten Genossen - und ein Teil von ihnen macht sich denn auch auf zu "neuen politischen Ufern", zunächst in Gestalt der WASG, die sich in diesem Jahr aber mit der PDS zur Partei "Die Linke" zusammenschloß, eine die SPD an den Rand ihrer volksparteilichen Existenz bringende Bedrohung. Es wird sich zeigen, ob sich damit auf Dauer zwei oder drei sozialdemokratisch geprägte Milieus in Parteienform dem politischen Wettbewerb stellen und vielleicht die SPD zerreiben werden.

Foto: Massenkundgebung von Spartakisten gegen die Entlassung des USPD-Polizeipräsidenten Emil Eichhorn durch die SPD-Regierung unter Ebert und Scheidemann, Berlin am 5. Januar 1919: Haßerfüllter politischer Streit mündete in gewalttätige Auseinandersetzungen


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