© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/07 26. Oktober 2007

Blutige Heimkehr
Pakistan: Selbstmordanschläge auf Konvoi der Ex-Präsidentin Bhutto / Spekulationen über die Hintergründe
Shams Ul-Haq

Es ist ein gutes Gefühl, nach Hause zu kommen", erklärte Benazir Bhutto unter Tränen und im Schatten des Heiligen Koran, der ihr bei der Ankunft am 18. Oktober in der ehemaligen Hauptstadt Karatschi über den Kopf gehalten wurde. Neben vielen Journalisten waren Tausende enthusiastische Anhänger mit Autos, Bussen, Zügen oder Kutschen aus allen Teilen Pakistans angereist, um ihre Führerin willkommen zu heißen. Sie sangen Parolen und riefen: "Hoch lebe Bhutto" und "Willkommen Benazir!" Es war eine historische Begrüßung nach acht Jahren Exil in Dubai. Mit einem eigens vorbereiteten kugelsicheren Transporter führte die 54jährige Ex-Regierungschefin eine politische Prozession an, die über Mazar-e-Quaid und weiter zum Bilawal House ging.

Doch schon im Gedränge während der Ankunft gab es den ersten tödlichen Zwischenfall: Ein Sicherheitsbeamter von Bhuttos Volkspartei (PPP) stürzte in der Menschenmenge und kam dabei ums Leben. Durch vereinzelte Schießereien von Bhutto-Gegnern wurden einige ihrer Anhänger schwer verletzt. Am Abend der Ankunft gingen dann innerhalb kürzester Zeit gleich drei Bomben hoch, dabei starben laut offiziellen Angaben insgesamt 147 Zivilisten, 577 wurden zum Teil schwer verletzt. Allein durch den Selbstmordanschlag auf den Konvoi Bhuttos wurden 140 Menschen getötet und über 550 verletzt.

"Benazir Bhutto war das Ziel, aber sie wurde nicht verletzt", erklärte Fauzia Wahab, ein hochrangiger PPP-Vertreter. Nach ersten Ermittlungen der Polizei explodierte zunächst eine Granate. Dann habe sich ein Selbstmordattentäter, welcher wahrscheinlich auch die Granate gezündet hatte, neben Bhuttos Konvoi in die Luft gesprengt. Der Polizeichef erklärte allerdings auch, daß der Attentäter auf seinem Weg gestoppt wurde, eigentlich habe er direkt zu Bhuttos Wagen vordringen wollen. Spekulationen über die Hintermänner des Attentats wollte der Polizeichef aber nicht anstellen. Bhutto forderte inzwischen die Hinzuziehung internationaler Experten zur Aufklärung des Anschlags. Sie habe sich deshalb unter anderem an die Regierungen in London und den USA gewandt, dort gebe es die erforderlichen Experten.

General Pervez Musharraf, dessen vom Parlament vollzogene Wiederwahl noch immer nicht vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurde (JF 42/07), hatte Benazir Bhutto eindringlich gewarnt, momentan aus Sicherheitsgründen nicht nach Pakistan zurückzukehren. Doch sie wollte ihr "Versprechen" an das pakistanische Volk halten und reiste dennoch ein. Ex-Premier Nawaz Sharif, der im September diesen Jahres nach Pakistan einreisen wollte, wurde vom Musharraf sogar postwendend nach Saudi-Arabien zurückgeschickt (JF 38/07).

Benazir Bhutto stammt aus einer angesehenen pakistanischen Familie. Ihr Vater Zulfikar Ali Bhutto bekleidete mehrere Ministerämter, er war Staatspräsident und Regierungschef. 1977 wurde er nach einem Putsch von General Mohammed Zia ul-Haq abgesetzt und 1979 hingerichtet. Benazir Bhutto studierte Philosophie, Politik und Ökonomie in Harvard und Oxford. 1988 wurde sie zur ersten muslimischen Regierungschefin in Pakistan gewählt, doch schon 1990 nach Korruptionsvorwürfen von Sharif abgelöst. 1993 wurde sie wiedergewählt, 1996 erneut entlassen. Seit der Machtübernahme von General Musharraf, der sich 1999 an die Regierung putschte, lebt sie im Exil.

Musharraf, der von den USA mit Milliarden unterstützt wurde und angekündigt hatte, den militanten Islamismus einzudämmen, hat sein Versprechen nicht gehalten. Washington befürwortet daher eine Machtteilung zwischen Musharraf und Bhutto. Sie und ihre PPP, die größte Partei in Pakistan, könnten Musharraf im Kampf gegen die Radikalislamisten unterstützen.

Aber es sind nur Worte, die Bhutto nach ihrer Rückkehr unter das Volk streut. Zudem ist sie einem Großteil der Pakistaner als unerfahrene Regierungschefin in Erinnerung. Eine dritte Amtszeit als Premierministerin ist nach derzeitiger Rechtslage außerdem nicht erlaubt. Ob Musharraf tatsächlich für eine zweite fünfjährige Amtszeit als Staatspräsident gewählt wurde, weiß gegenwärtig ebenfalls niemand.

Zwei Wochen kann es noch dauern, bis die Verfassungsrichter darüber befunden haben. Entscheiden sie gegen den General, wird er wohl das Kriegsrecht verhängen. Bhutto hat sich oft gefragt, wie ihre Rückkehr aufgenommen würde. Und sie fand sich zunächst in ihrem Glauben bestätigt, daß die Mittelschicht Demokratie, Bildung und ein Ende des Extremismus will. Doch dann wurde Pakistan vom schwersten Anschlag seiner Geschichte erschüttert.

Trotz des Blutbads bekundet Benazir Bhutto, auch weiter mit Musharraf über eine Machtteilung verhandeln zu wollen. Aber die Anhänger beider Seiten sehen die geplante Zusammenarbeit inzwischen gefährdet. Denn Bhuttos Ehemann, der Unternehmer Asif Ali Zardari, machte in einem Fernsehinterview den pakistanischen Geheimdienst für den Anschlag verantwortlich. Ob sich aus dem Pakt für die Bürger Pakistans Fortschritte ergeben, ist ebenfalls ungewiß.

Der Sprengsatz, der vorigen Samstag auf einem Markt in der Stadt Dera Bugti in der Südwest-Provinz Belutschistan hochging und mindestens sieben Menschen getötet sowie zahlreiche verletzt hat, galt offensichtlich nicht Bhutto. In der Vielvölkerregion, deren Westeil zum Iran gehört, kämpfen Aufständische für Autonomie und eine Teilhabe an den Naturressourcen der Region. Das Attentat zeigt, daß es neben religiösen zunehmend ethnische Probleme gibt, die ebenfalls einer Lösung harren.

Foto: Rückkehrerin Bhutto (o. r.) vor Anhängern in Karatschi: Machtteilung zwischen der Ex-Regierungschefin und General Musharraf?


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