© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/07 26. Oktober 2007

Mit Angela Merkel in der FDJ-Disko
Junge Union: Auf dem Deutschlandtag in Berlin erntet die Bundeskanzlerin viel Applaus und wenig Widerspruch / Kritik an "Mulitkulti und falscher Toleranz"
Ronald Gläser

Vorbei die Zeiten, in denen Edmund Stoiber als CSU-Vorsitzender ein Heimspiel bei der Jungen Union (JU) hatte. Die Kanzlerin überstrahlt zur Zeit alles mit ihrer Popularität bei Wahlvolk und Parteibasis. Der JU-Deutschlandtag liegt Angela Merkel zu Füßen.

Als Thema für ihren Konvent haben die JU-Strategen das Lieblingsthema der Kanzlerin, den Klimawandel, ausgesucht. "Wir sind stolz darauf, wie Deutschland unter Ihrer Führung in der Welt dasteht", begrüßt Philipp Mißfelder seine Parteivorsitzende. Applaus. Die Kanzlerin schreitet majestätisch durch die Reihen. Bei den bayerischen Delegierten sieht sie leere Stuhlreihen und kann es sich nicht verkneifen, darauf hinzuweisen. Die JU-Delegierten aus dem Süden bereiten sich wohl auf den Besuch ihres Vorsitzenden vor, merkt sie an. Damit erntet sie wohlwollendes Gelächter.

Danach spult sie versiert ihr Programm ab, hält die Rede, die sie seit Wochen auf Parteitagen und Regionalkonferenzen immer aufs neue gehalten hat. Nur einmal passiert ihr ein Lapsus: Über den geplanten Programmparteitag in Hannover sagt sie: "Wir werden das in Hamburg, ach nein, das sind ja die Sozialdemokraten ..."

Macht sie das absichtlich? Angela Merkel hat auch im Bundestag schon mal ihre Koalitionspartner verwechselt und damit die Lacher auf ihrer Seite gehabt. Das neue CDU-Programm, so Merkel, fußt auf den drei Wurzeln der Partei: liberal, christlich-sozial und konservativ, wobei sie eine Definition insbesondere des letzten Attributs abermals schuldig bleibt.

Dafür bemüht sie sich, ihre Partei von der SPD abzugrenzen: "Deswegen setzen wir uns auch nicht mit den marxistischen Wurzeln und dem Sozialismus auseinander wie die Sozialdemokraten. Das hat sich nicht bewährt." Und wieder kassiert sie Applaus. Den größten Beifall aber erhält Merkel, als sie auf die Ausländerpolitik zu sprechen kommt.

Sie nennt eine Reihe von westdeutschen Städten, in denen vierzig bis fünfzig Prozent der neu eingeschulten Kinder Ausländer sind. Es sei "ein großer Erfolg der Union", gezeigt zu haben, daß "Multikulti und falsche Toleranz uns nicht zum Ziel bringen". Sie fordert, daß Zuwanderer die Gesetze anerkennen und Deutsch lernen. Nach einer 45minütigen Rede genießt sie den langen Applaus der JUler. Sie hat in der Partei jetzt die stärksten Bataillone, die JU ist sichtlich zur Merkel-Jugend geworden.

Im Gespräch mit den Delegierten spricht sie in einem Anflug von Selbstironie über das "Leben in einem totalitären Staat": "Ich konnte mich entscheiden, ob ich zur Semperoper oder zu einer FDJ-Disko gehe." SED-Mitläufer waren und sind ihr zuwider. Außerdem lobt sie die Gegner der Nazis: "Wenn Deutschland die vom 20. Juli nicht gehabt hätte, dann ständen wir heute historisch sehr viel schlechter da."

Währenddessen steht einer, der nie in einem totalitären Regime gelebt hat, draußen und wartet darauf, hineingelassen zu werden: Erwin Huber. "Noch sieben Minuten", flüstert ein Personenschützer dem frischgebackenen bayerischen Finanzminister und CSU-Chef zu. Huber vertreibt sich die Zeit, indem er die Stände der Sponsoren abschreitet. Es sind die üblichen Firmen, die auch auf CDU-Parteitagen stets mit Promotionsständen präsent sind: Glücksspielbetreiber, Kernenergie- und Tabaklobby zum Beispiel.

"Wo ist der Fritz Bohl?" ruft Huber und wiederholt es gleich noch mal. Strahlend geht er auf den früheren Kanzleramtsminister (unter Helmut Kohl) zu, der jetzt für die Deutsche Vermögensberatung als Lobbyist zu arbeiten scheint. Die beiden lassen sich fotografieren. Dann geht Huber weiter, aber er sieht genervt aus. Beim Sprechen mit einem weiteren Lobbyvertreter kratzt er sich am Rücken. Im Spiegel stand neulich, für Huber sei Politik immer harte Arbeit gewesen. Das ist ihm anzusehen.

Erst nach dem triumphalen Abgang der Kanzlerin wird Huber von JU-Chef Mißfelder durch die Reihen nach vorne bugsiert. Huber hält eine Rede, aber flammende Begeisterung kann er nicht entzünden. Er ist eben nicht Edmund Stoiber. Ein Delegierter aus Bayreuth sagt: "Schade, daß der Stoiber weg ist." Den größten Applaus erhält Huber, als er sagt, die Türkei sei nicht europareif. Nach seiner Ansprache fordert ihn ein Delegierter auf, für kreative Unruhe zu sorgen. "Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, Unruhe zu stiften", antwortet er. Die Post-Stoiber-CSU ist brav geworden. Der Applaus bleibt mau.

Abends wird im E-Werk, einer alten Fabrikhalle, gefeiert. So lieben sie es beim CDU-Nachwuchs. In einer Einladung ist von "Party und Politics" die Rede. Andere Sprachpanscher haben  für die hessische JU Hemden entwickelt, auf denen - in Abwandelung eines Imperativs aus dem Amerikanischen - zu lesen ist: "Don't mess with Hessen" (Treib keinen Schindluder mit Hessen).

Die JU feiert sehr ausgelassen. Irgendwann stürmen ein paar JUler die Bühne und kapern das Mikro. "Wir singen jetzt die Nationalhymne", ruft einer - und alles stimmt lautstark ein. Danach skandieren Hunderte "Deutschlaaaand, Deutschlaaaand" wie bei einem Fußball-Länderspiel.

Was sagt der christdemokratische  Nachwuchs eigentlich dazu, daß auf der Feier von Sponsoren kostenlos Zigaretten verteilt werden? "Na und", zuckt einer mit den Achseln. Ein anderer sagt über Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU), die gerade jugendliche Testkäufer zu Kiosken und Tankstellen schicken wollte, um den Jugendschutz durchzusetzen: "Die spinnt doch."


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen