© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/07 26. Oktober 2007

Abschreckung als Ziel
Geburtenrate: Nervige Babysimulatoren sollen Mädchen mit Kinderwunsch die Schattenseiten des Mutterseins zeigen
Anni Mursula

Das Baby schreit. Die 16jährige Jasmin greift routiniert in ihre Tasche, holt eine Windel heraus und wickelt den Säugling. Doch das Kind weint noch immer. Nun muß das Fläschchen her. Der kleine Junge trinkt und beruhigt sich allmählich. Jasmin ist erleichtert. Sie möchte nichts falsch machen - obwohl das Kind nicht echt, sondern eine fünfzig Zentimeter große und etwa drei Kilo schwere Babypuppe ist. Den Babysimulator muß Jasmin für vier Tage und Nächte versorgen, als ob es ihr eigenes Kind wäre. Ein integrierter Computerchip speichert alles: Ob sie rechtzeitig gefüttert und gewickelt hat, ob sie den Kopf richtig gehalten oder das Baby gar geschüttelt hat. Wenn sie die Puppe morgen in der Schule abgibt, will sie zeigen, daß sie damit nicht überfordert war.

Wenn Jugendliche schwanger werden, ist dies in den meisten Familien kein Grund zur Freude. Daher will die amerikanische Firma Realityworks Kinder überall in der Welt vorm Kinderkriegen bewahren - indem sie ihnen den harten Alltag mit einem Säugling anhand eines Babysimulators vorführt. Die von ihnen angebotene, etwa tausend Euro teure Puppe "Real Care Baby" soll Mädchen die Schattenseiten des Mutterseins deutlich machen. Im Computerchip sind verschiedene Programme gespeichert - manche von ihnen sind besonders anstrengend. So können junge Mädchen annähernd realistische Erfahrungen machen, um dann dem Wunsch nach einem Baby aus Fleisch und Blut abzuschwören. Was Kinder früher im Umgang mit jüngeren Geschwistern lernen konnten, das spielen junge Mädchen heute an computergesteuerten Puppen durch.

Über dreihundert Programme gibt es bereits in Deutschland, die mit Babysimulatoren gegen die angeblich hierzulande "boomenden" Teenager-Schwangerschaften kämpfen. Tatsächlich werden hierzulande etwa 12.000 minderjährige Frauen pro Jahr schwanger - damit liegt Deutschland mit statistisch 8,3 schwangeren Teenagern pro tausend Frauen im internationalen Vergleich am unteren Ende der Skala.

Mit Programmen wie "Babyboom - ein Baby auf Probe" in Berlin-Marzahn und "Elternpraktikum" in Oldenburg soll Jugendlichen klargemacht werden, daß ein Kind vor allem viel Arbeit bedeutet. Positive Aspekte des Mutterseins werden vollkommen ausgeblendet. Schließlich sind neun von zehn Teenager-Schwangerschaften ungewollt, wie eine Studie von Pro Familia und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2006 zeigt.

Laut dieser Studie sei eine Schwangerschaft bei geringer Bildung wahrscheinlicher. Und so wollten Mädchen aus sozialschwachen Gegenden ihre Perspektivlosigkeit und fehlende Bildung durch ein Baby ersetzen. "Immer dann, wenn die Zukunftsperspektiven schlecht sind und es weniger Ausbildungsplätze gibt, haben wir mehr Mütter", verteidigte eine Sozialpädagogin das Einsetzen von Babyattrappen als wirkungsvolle Gegenmaßnahme.

Doch taugt die Babypuppe tatsächlich als eine Art Geburtenregler? Laut firmeneigenen Studien von Realityworks schon. Doch das wollte die Erziehungswissenschaftlerin Anke Spies von der Universität Oldenburg genauer wissen. Auf einer Tagung Anfang September hat sie die Ergebnisse ihrer eigenen Untersuchung präsentiert - die vollständige Studie wird Ende Dezember veröffentlicht. Ihr Fazit: So wie die Puppen eingesetzt werden, nützen sie wenig. Bisher sei nämlich keinesfalls wissenschaftlich erwiesen, daß die Simulatoren frühe Schwangerschaften oder Kindesmißhandlungen verhindern. Denn auch wenn die Puppen lebensechte Bedürfnisse simulieren, glaubt nur eines von drei Mädchen, daß das Versorgen eines echten Babies genauso sei. Schließlich zeigt die Puppe keine Zuneigung, lächelt und reagiert nicht. Deshalb sei es laut Spies auch kein Wunder, daß die Mädchen keine emotionale Bindung dazu aufbauten.

Dennoch wollen die Jugendlichen, die an einem solchen "Elternpraktikum" teilnehmen, ihre Aufgabe möglichst gut absolvieren. Doch wer das tatsächlich tut und eine gute "Mutter" ist, erfüllt wiederum nicht den Zweck des Kurses: als Elternteil zu versagen. Scheitern, Überforderung und Abschreckung sind nämlich das eigentliche Ziel. Dadurch sollen junge Mädchen zu der Einsicht gelangen, daß sie eine Schwangerschaft besser vermeiden. Diese Entscheidung läßt sich durch die Einstellung eines besonders nervenzehrenden Schreiprogramms beschleunigen: "Wenn Kursleiter zu diesem Trick greifen, hilft das der Hauptzielgruppe, nämlich Mädchen in niedrigqualifizierenden Bildungsgängen, bei ihrer Lebensplanung nicht", sagte Spies auf der Tagung. Deren Selbstwertgefühl sei bekanntermaßen sowieso gering.

Wer also bei einem Elternpraktikum das Ziel erreicht und als Puppenversorger versagt, den plagen Selbstzweifel. Und diese verschwinden womöglich nicht einfach, wenn die Mädchen volljährig sind und dem Staat dann plötzlich doch noch helfen sollen, den demographischen Niedergang zu bekämpfen.


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