© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

In der Logikfalle
Zeitsprünge: Sandra Bullock glänzt in "Die Vorahnung"
Jean Lüdeke

Ein leises und beklemmendes Thriller-Drama um Verlust, Vergangenes und Vergegenwärtigtes mit einer grandiosen Sandra Bullock im Hauptpart: "Ich hasse Überraschungen!" sagt sie als Linda Hanson gleich zu Anfang des ungewöhnlichen Films. Und unliebsame Überraschungen erlebt sie tagtäglich.

Der Mutter von zwei kleinen Töchtern wird eines Tages die fürchterliche Nachricht überbracht, daß ihr Ehemann Jim (Julian McMahon) bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Jedoch: Nach der folgenden unruhigen Nacht trifft sie ihren Liebsten putzmunter beim Morgenkaffee in der Küche. Fortan beginnt eine Thriller-Variante von "Und täglich grüßt das Murmeltier" mit allerdings nur schwerlich nachvollziehbaren Zeitversetzungen. Die verwirren nicht nur Witwe, sondern auch den Zuschauer. Ist alles nur geträumt? Was ist Wirklichkeit in diesem schimärischen Schreckenszustand? Ist heute nicht schon längst Vergangenheit?

Die Tage wirbeln wahllos durcheinander. Linda versinkt in einem trüben Gefühlswirrwarr. Mal weilt Jim wieder unter den Lebenden, dann ist er bereits gestorben und liegt sechs Fuß tief. Klar, daß Linda bald ihre Freundin fragen muß, welcher Tag denn heute überhaupt sei, und alsbald glaubt sie an die Vorahnung, denn es ist beispielsweise nicht der fatale Mittwoch, an dem Jim sterben soll, und möglicherweise kann sie seinen Exitus verhindern. Oder doch nicht?

Im Laufe ihrer Suche zwischen Wahn und Wirklichkeit entdeckt sie obendrein, daß ihr Mustergatte just vor seinem Tod sie mit einer Arbeitskollegin betrügen wollte, die Ehe folglich in einer Krise steckte. Als sie sich mit ihm aussprechen möchte, wirkt er sonderbar abweisend und scheint wie auch Lindas eigene Mutter (Kate Nelligan) an ihrem Geisteszustand zu zweifeln.

Raffiniert streut das Drehbuch scheinbar belanglose Indizien, die allmählich Klarheit bringen wie ein vom Psychiater verordnetes Lithiumfläschchen, eine ausgerissene Telefonbuchseite, die Anrufe auf dem Anrufbeantworter, ein toter Vogel im Garten oder eine zersplitterte Verandatür.

In allererster Linie ist "Die Vorahnung" ein vollständig auf Sandra Bullock zentrierter Film. "Lautlos"-Regisseur Mennan Yapo verläßt sich ganz auf ihre Leinwandpräsenz. Liefert sie doch das fesselnde Porträt einer Frau, deren beschauliche Existenz von einem Tag auf den anderen in jeder Hinsicht kaputt ist.

Es existieren nicht viele Filme, die mit derart dicht aufeinander folgenden Zeitsprüngen experimentieren. Aber die Art und Weise, wie die hanebüchene Story vermittelt wird, verlangt nach Klärung, und fast möchte man dem Zuschauer empfehlen, sich einen Laptop mit ins Kino zu nehmen, um in einer Excel-Tabelle die Ereignisse minutiös festzuhalten, auf daß der Überblick nicht komplett verlorengehe. Geschichten über Zeitreisen verstricken sich nunmal sehr gern in Logikfallen. Trotzdem kommen sie beim Zuschauer gut an. Und so wurde Sandra Bullock in den USA mit dem bislang besten Kinostart ihrer Karriere belohnt.


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