© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

Science-fiction à la Wagner
Eine visionäre Studie zu
Harald Harzheim

Leider ist die zeitgenössische Wagner-Literatur überwiegend historisierend und behandelt Themen wie: Wagners Buddhismus, Wagner und Nietzsche, Wagners musikhistorische Bedeutung, Wagner und die Avantgarde des 20. Jahrhunderts usw. Dabei ist sein "Kunstwerk der Zukunft" bis heute nicht Gegenwart geworden und schon gar nicht überholte Vergangenheit - auch wenn reduzierte Opernaufführungen das suggerieren. Nein, Wagners "Gesamtkunstwerk" ist nach wie vor Science-fiction, eine Herausforderung an die Technik des 21. Jahrhunderts. Dieser Zukunftsmusik hat der Regisseur und Bayreuth-Stipendiat Eric Schulz jetzt eine visionäre Studie gewidmet.

Von Wieland Wagner stammt der Satz "Wenn Wagner heute leben würde, wäre er in Hollywood." Schulz' Abhandlung, die einen "Filmpreis für Richard Wagner" fordert, erkennt in letzterem nicht nur den Wegbereiter moderner Filmsprache, sondern auch einen Provokateur für künftiges 3D-Kino.

Der "Ring" im Imax-Kino

Oft genug wird der zeitgenössische Film als Realisation des Wagnerschen Gesamtkunstwerks verstanden. Daß dies falsch ist, liegt auf der Hand. Gewiß, "Der Ring des Nibelungen" oder "Parsifal" antizipieren durch musikalische Vor- und Rückblenden, Perspektivenwechsel und Detail-"Aufnahmen" bereits Ausdrucksmittel, die der Film Jahrzehnte später erst mühsam erlernen mußte. Oder Wagners idealisierte Darstellung von Realem, ohne dabei reduktionistische Stilisierung zu betreiben: Auf der Bühne unmöglich, für das Kameraauge inzwischen ein leichtes. Nicht zuletzt ähnelt die Musik der Gesamtkunstwerke einem Film-Soundtrack, macht die visuelle Wahrnehmung distanzlos, versetzt das Publikum mitten ins Geschehen. Nur: Dem Medium Film fehlt bislang die Plastizität. Erst der voll entwickelte 3D-Film könnte Wagner aus den engen Grenzen theatraler Realisierbarkeit erlösen. Käme noch die Rundprojektion der Imax-Kinos hinzu, wäre der 150 alte Traum des Gesamtkunstwerks endlich Wahrheit geworden. Die dazu nötigen technischen Voraussetzungen, so verspricht Schulz, werden schon bald bereitstehen.

Sicher wäre eine solche Imax-Inszenierung vom "Ring des Nibelungen" wünschenswert, einer Sage, die neben "Krieg der Sterne" oder "Der Herr der Ringe" Bestand hätte. Dazu muß jedoch der Live-Aspekt der Bühne für geringfügig und verzichtbar erklärt werden - was der Autor auch ausführlich tut. In bezug auf das Gros zeitgenössischer Wagner-Inszenierungen mag er recht haben. Aber seit einigen Jahren beginnt die Performance-Art ihren Wagner zu entdecken. Das beinhaltet auch die Verwendung von Interaktivität und Ritual, die so ihren Weg zur Opernbühne gefunden haben. Jüngstes Beispiel: Christoph Schlingensiefs "Fliegender Holländer" in Manaus (Brasilien), der europäische und südamerikanische Spuk- und Geistertradition zusammenführte. Die Inszenierung mündete in einer kollektiv-rituellen Beschwörung von Wagners Geist. Hier ist der Live-Aspekt natürlich unverzichtbar, hier kann das Theater sich neben dem 3D-Film behaupten. Und bei wem würde das mehr einleuchten als bei Richard Wagner, der mit "Parsifal" ein gigantisches (Bühnen-)Ritual kreiert hat?

So könnten buchstabengetreue Imax-Adaptionen und assoziative Performance-Inszenierungen zwei entscheidende Wege der Wagner-Rezeption im 21. Jahrhundert werden. Erstere vorgeschlagen und konsequent durchdacht zu haben, ist das große Verdienst der Studie von Eric Schulz.

Eric Schulz: Filmpreis für Richard Wagner - Eine zeitgemäße Betrachtung seines Theaters, VDM Verlag Dr. Müller 2007, broschiert, 120 Seiten, 49 Euro


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