© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

Haarsträubende Fehler
"Die tödlichsten Lügen": Abraham H. Foxmans Antwort auf Mearsheimer/Walt
Elliot Neaman

Nach Maos Sieg 1949 tobte in der amerikanischen Politik ein jahrelanger Streit darum, wer China "an die Roten verloren" habe. Die Debatte um die Frage: "Wer hat den Irak verloren?" ist längst in vollem Gang. In einem ersten Schritt gilt es zu klären: Wer hat uns den Irak-Krieg eingebrockt? Irgendein Sündenbock für das Debakel muß gefunden, benannt und an den Pranger gestellt werden. Im vergangenen Jahr lieferten zwei Politologen eine Antwort auf diese Frage. Allein ihre Formulierung ist geeignet, kalte Schauer den Rücken hinunterzujagen: die "Israel-Lobby".

Stephen M. Walt und John J. Mearsheimer gehen von einigen unanfechtbaren Fakten aus und ziehen daraus eine Reihe fragwürdiger Schlußfolgerungen. Es läßt sich nicht bestreiten, daß Israel jährlich die größte direkte und indirekte US-amerikanische Finanzhilfe für militärische wie nicht-militärische Zwecke seit dem Zweiten Weltkrieg erhält. Zu fragen ist, ob sich daraus eine direkte Verbindung zwischen "jüdischen" Interessen und der US-Außenpolitik ableiten läßt.

Es ist äußerst bedauerlich, daß zwei angesehene Forscher die Beantwortung dieser ungemein wichtigen Frage derartig verpfuschen. Damit beschädigen sie nicht nur ihren eigenen Ruf, sondern auch eine öffentliche Debatte, die durchaus hätte Nutzen bringen können. Walt/Mearsheimers Argumentation basiert auf zwei zweifelhaften Annahmen, daß nämlich a) Israel eine strategische Bürde und b) die moralische Rechtfertigung für seine Unterstützung im Schwinden ist. In der Überzeugung, die Verteidigung Israels liege nicht im nationalen Interesse der Vereinigten Staaten, spekulieren sie, die finanzkräftige Unterstützung dieses Verbündeten im Mittleren Osten könne sich nur aus dem überproportionalen Einfluß der "Lobby" begründen. Unter diesem Schlagwort fassen sie jüdische und nicht-jüdische (christliche Fundamentalisten) Gruppierungen zusammen, die angeblich massiven Druck auf Washingtoner Politiker ausüben.

Schützenhilfe für Holocaust-Leugner

Als Reaktion auf ihren Artikel hat Abraham Foxman, Leiter der Antidiffamierungsliga (ADL), nun sein Buch "The Deadliest Lies" veröffentlicht. Darin wirft er den beiden Wissenschaftlern vor, uralte antisemitische Klischees zu bedienen und damit Holocaust-Leugnern und Anti-Israel-Eiferern Schützenhilfe zu geben. Freilich können Mearsheimer und Walt nur bedingt etwas dafür, daß amerikanische Rechtsradikale wie David Duke sowie Legionen von Israel-Hassern in Europa und der arabischen Welt auf ihren Zug aufgesprungen sind. Sehr wohl oblag ihnen aber ein sorgsamer Umgang mit den Fakten, bevor sie sich auf derart vermintes Gelände begaben.

Statt dessen haben sie sich wahrhaft haarsträubende Fehler, Auslassungen und Geschichtsklitterungen zuschulden kommen lassen. Schon die Vorstellung, die USA verfolgten mit ihrer Unterstützung für Israel keine strategischen Interessen, ist erschreckend naiv. Die Gewährleistung der allgemeinen Stabilität und der Sicherheit der Ölvorräte ist von vorrangiger Bedeutung für die USA selber und den gesamten industrialisierten Westen. Ein starker und zuverlässiger militärischer Verbündeter im Mittleren Osten ist unabdingbar.

Auch die Annahme, die US-amerikanische Invasion im Irak habe der israelischen Sicherheit gedient, ist eine absurde Vereinfachung. Über diese Frage wurde seinerzeit in Israel heiß diskutiert. Die dortige Militärführung hatte schon damals große Bedenken, daß ein gescheiterter Staat im Irak die gesamte Region weiter destabilisieren würde. Den Israelis bereitete der Iran größere Sorgen als der Irak.

Die Vorstellung, al-Qaida habe die USA wegen ihrer Unterstützung für Israel aufs Korn genommen, ist schlichtweg lachhaft. Al-Qaida wurde gegründet von wahabbitischen Extremisten in Saudi-Arabien aus Protest gegen die Abkehr des saudischen Königshauses vom orthodoxen Islam. Ihre Anschläge richteten sich gegen die Präsenz nicht-muslimischer "Ungläubiger" auf muslimischem Territorium. Osama bin Laden scherte sich nie besonders um die Palästinenser-Frage, bis ihm die Angriffe vom 11. September die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit verschafften.

Die Mär von einer jüdischen Verschwörung

Die Behauptung, die USA hätten Israel gegenüber seit dessen Gründung 1948 eine einheitliche Politik verfolgt, entspricht auch nicht den historischen Tatsachen. Die Militärunterstützung setzte erst nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 ein. Seither haben unterschiedliche Präsidenten das Verhältnis zu Israel sehr unterschiedlich gewichtet - Vater und Sohn Bush sind gute Beispiele dafür.

In der Frage einer etwaigen "moralischen Äquivalenz" argumentieren Walt und Mearsheimer noch weniger überzeugend. Die US-Öffentlichkeit unterstützt Israel nicht aufgrund der Interessenlage irgendeiner speziellen Lobby, sondern weil sie den palästinensischen Terrorismus in keiner Weise durch die israelische Palästinenser-Politik gerechtfertigt sieht. Die heftigsten Debatten um das Vorgehen der israelischen Armee werden in Israel selber geführt. Im Gegensatz zu den despotischen Regimen des Mittleren Ostens erkennt die amerikanische Öffentlichkeit in Israel ein politisches Gebilde, das ihrem eigenen gleicht - eine zwar nicht perfekte, aber lebendige Demokratie.

Die Stichworte Fatah, Schwarzer September, München 1972, Entebbe, Hamas oder Hisbollah kommen bei Walt und Mearsheimer so gut wie gar nicht vor. Benny Morris hat nachgewiesen, daß Israel in der zweiten Intifada bemüht war, zivile Opfer möglichst zu vermeiden. Arabische Angriffe auf Israelis forderten doppelt so viele Menschenleben unter der Zivilbevölkerung.

Überdies wimmelt es in ihrer Analyse geradezu von Sachfehlern. So verwechseln sie das israelische Rückkehrrecht mit dem Recht auf Erwerb der Staatsbürgerschaft und behaupten, Israels "Blutgesetze" ließen nicht zu, daß Nicht-Juden israelische Staatsbürger werden. In Wirklichkeit machen Muslime und andere Nicht-Juden ein Viertel der israelischen Staatsbürger aus.

Auch das sogenannte "jüdische" Geld ist keine monolithische Komponente der US-amerikanischen Politik. George Soros und Jack Rosen spenden große Summen an jüdische Organisationen, stehen aber an entgegengesetzten Enden des politischen Spektrums. Tendenziell hat das "jüdische" Geld stets eher die Demokraten als die Republikaner unterstützt - trotzdem hatte während 44 der letzten 56 Jahre ein Republikaner im Weißen Haus das Sagen.

Noch unerträglicher ist der Vorwurf, Unterstützer der "Lobby" hätten geteilte Loyalitäten und schadeten den US-Interessen. Foxman entlarvt ihn als die tödlichste Lüge von allen. Genauso wie alle anderen Ethnien verteilen sich auch die amerikanischen Juden über das gesamte politische Spektrum. Die Senatoren Joe Liebermann und Russ Feingold zum Beispiel sind beide jüdischer Abstammung - der eine gilt als Falke, der andere als entschiedener Kritiker Israels.

Des weiteren ist Foxman zuzustimmen, wenn er Walt und Mearsheimer - was immer ihre Absichten gewesen sein mögen - mangelnde Sensibilität vorwirft. Die beiden hätten wissen und bedenken müssen, daß die Mär von einer jüdischen Verschwörung, die Weltpolitik zu steuern, eine lange, unselige Geschichte hat. Der "Lobby" rechnen sie nicht nur echte Lobbyorganisationen wie Aipac zu, das die Interessen der israelischen Regierungspartei Likud in den USA vertritt, sondern auch Medien, Universitäten, einflußreiche Intellektuelle, Kirchen und so weiter. Diese Behauptung ist nicht nur unrichtig - in US-Universitäten gibt es viele Israel-Kritiker -, sondern sie vermittelt das Bild eines unterirdischen Netzwerks, das Amerika insgeheim beherrscht. Vielen Nicht-Amerikanern erscheint es sowieso unbegreiflich, daß ein Einfaltspinsel wie George W. Bush zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt wurde - eine solche Argumentation nährt erst recht den Verdacht derjenigen, die schon immer an eine zionistische Kabale glaubten.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

 

Abraham H. Foxman, The Deadliest Lies - The Israel Lobby and the Myth of Jewish. Control. Palgrave Macmillan Verlag, New York 2007, gebunden, 257 Seiten, 17 Euro.

Abraham H. Foxman, Jahrgang 1940, ist Direktor der US--amerikanischen Anti-Defamation League (ADL) und bekannt als eine der weltweit führenden Persönlichkeiten im Kampf gegen Antisemitismus.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen