© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

Spannend wie ein Krimi
"Die Israel-Lobby": John J. Mearsheimers und Stephen M. Walts Buch setzt Maßstäbe
Robert Hepp

Nichts ist der Völkerfreundschaft zuträglicher als ein gemeinsamer Feind. Der spektakuläre Überfall auf das World Trade Center, der den Amerikanern die Identität ihrer Feinde mit den Feinden Israels eindrucksvoll vor Augen führte, hat in den Vereinigten Staaten denn auch eine spontane Welle der Solidarisierung mit Israel ausgelöst. Unter dem Eindruck dieser Lektion wurde das Irak-Abenteuer Bushs, das um Israels willen unternommen, aber als Feldzug gegen den Terrorismus verkauft wurde, von der US-Bevölkerung zunächst voll unterstützt. Wenn nicht alles täuscht, ist der Solidarisierungseffekt des 11. September inzwischen jedoch weitgehend aufgebraucht. Zumindest in der breiten Öffentlichkeit des Internet scheint sich sogar eine regelrechte Umkehrung der Perspektive abzuzeichnen, unter der das Verhältnis zu Israel bisher betrachtet wurde. War die gemeinsame Bedrohung durch den Terrorismus gestern noch der Hauptgrund für die bedingungslose Unterstützung Israels, sind heute anscheinend mehr und mehr Amerikaner der Ansicht, daß ihr Land gerade wegen der bedingungslosen und einseitigen Unterstützung Israels durch ihre Regierung der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ausgesetzt sei.

Dieser Meinungsumschwung hat auch in der anspruchvolleren Publizistik bereits seinen Ausdruck gefunden. Am ausführlichsten wird die neue Sicht in den Untersuchungen über die "Israel-Lobby" von John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt, zwei renommierten Politologen von der Universität von Chicago und der Harvard-Universität, begründet. Nachdem die Veröffentlichung eines ersten Aufsatzes der beiden Professoren von der amerikanischen Zeitschrift Atlantic Monthly, die ihn ursprünglich bestellt hatte, überraschend abgelehnt worden war, konnten die Autoren im März 2006 in der London Review of Books wenigstens eine Kurzfassung veröffentlichen. Und als sie die vollständige Version ins Internet stellten, registrierten sie ein so lebhaftes Interesse, daß sie sich zur Ausarbeitung einer umfangreichen Monographie entschlossen, von der jetzt im Campus Verlag eine Übersetzung erschienen ist, ärgerlicherweise ohne den Anmerkungsapparat, der extra von der Hausseite des Verlags im Internet heruntergeladen werden muß. (Bald muß man die Bücher, die man kauft, selber drucken!)

Die Autoren eröffnen mit einem Paukenschlag

Dieses Buch ist eine Wucht. Die Autoren eröffnen ihre Darstellung mit einem Paukenschlag, der einen Freund Israels leicht in Angst und Schrecken versetzen könnte. Sie betonen zwar, daß sie das Existenzrecht Israels nicht in Frage stellen, aber sie machen kein Hehl daraus, daß die von den USA seit Jahrzehnten praktizierte bedingungslose Unterstützung Israels nach ihrer Ansicht nicht mit dem wohlverstandenen Interesse ihres Landes vereinbar ist.

Tatsächlich können die zahlreichen Gefälligkeiten und Privilegien, mit denen die Vereinigten Staaten Israel bisher überhäuften - sie werden im ersten Kapitel des Buches im Detail aufgeführt - aus ihrer "realpolitischen" Sicht schwerlich gerechtfertigt werden. Wie soll Uncle Sam erklären, daß Israel - ein reiches und modernes Land mit einer Bevölkerung, die nicht einmal ein Tausendstel der Weltbevölkerung ausmacht - Jahr für Jahr mit drei Milliarden Dollar ein Sechstel bis ein Fünftel der gesamten Auslandshilfe seines Landes bekommt, und dies zu Konditionen (Gesamtauszahlung zum Jahresbeginn, keine Zweckbindung, keine Rückzahlungen), die kein anderes Land genießt? Da Israel dieses Geld zum Teil in amerikanische Staatsanleihen investiert, zahlt ihm die US-Regierung dafür sogar noch Zinsen! Zusammen mit der monetären Militärhilfe - also ohne die Lieferung von Kriegsmaterial - soll Israel seit 1973 insgesamt mehr als 140 Milliarden Dollar erhalten haben.

Zu dieser materiellen kommt die unbedingte immaterielle Unterstützung. So haben die Vereinigten Staaten seit 1982 durch ihr Veto zweiunddreißig absolut berechtigte israelkritische Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats verhindert und damit um Israels willen häufiger ein Veto eingelegt als alle anderen Mitglieder des Sicherheitsrats zusammen. Sie haben auch sämtliche Initiativen der arabischen Staaten, die israelischen Atomwaffen unter die Kontrolle der IAEO zu bringen, systematisch sabotiert, was angesichts der von ihnen initiierten Schnüffelaktionen im Irak und Iran ihre Glaubwürdigkeit in der Region gewiß nicht erhöht hat.

Die Verfasser können überzeugend nachweisen, daß die Argumente, mit denen die Sonderbehandlung Israels in Amerika gerechtfertigt zu werden pflegt - Unterstützung eines kleinen Landes gegen eine Übermacht von Feinden, Beistand für einen Statthalter der amerikanischen Großmacht und Stärkung eines Vorpostens der "Demokratie" und der "westlichen Werte" im Nahen Osten - samt und sonders unhaltbar sind. Sie kommen zu dem Schluß, daß Israel nach dem Ende des Kalten Krieges für die Vereinigten Staaten zu einer strategischen Belastung geworden sei und daß die enge Beziehung Washingtons zu Jerusalem nicht nur die Terrorgefahr in Amerika erhöht, sondern auch dem Ansehen Amerikas weltweit geschadet habe.

Die einzige plausible Erklärung für die Beharrlichkeit, mit der die Regierungen der USA - allen Enttäuschungen, die sie im Laufe des "immerwährenden Friedensprozesses" erleben mußten, zum Trotz - diesem fatalen Kurs treu geblieben sind, ist für die Autoren der Einfluß der "Israel-Lobby" auf die amerikanische Außenpolitik. Diese Lobby wird von ihnen als ein "lockeres Bündnis von Individuen und Organisationen" vorgestellt, "die aktiv darauf hinarbeiten, daß sich die US-amerikanische Außenpolitik in eine pro-israelische Richtung bewegt". Dabei bedienten sie sich verschiedener Strategien und Mittel, von denen die Besetzung von Stabsstellen in Washington und die Gewährung von Wahlkampfspenden an Parlaments- und Präsidentschaftskandidaten die wichtigsten sind.

Die Beschreibung des Netzwerks der Organisationen und Agenten dieser "Lobby" und ihrer Methoden der indirekten "Lenkung des politischen Prozesses" bilden den Hauptinhalt des ersten Teils des Werkes, der sich wie ein spannender Krimi liest, während im zweiten, sehr viel langweiligeren Teil ihre Aktionen auf den einzelnen Feldern der Nahostpolitik lang und breit vorgeführt werden.

Die auffälligsten Schwächen dieses starken Werkes hängen mit der Angst der Verfasser vor dem Vorwurf des Antisemitismus zusammen. Sie machen wiederholt darauf aufmerksam, daß nach ihrer Definition einerseits der Großteil der amerikanischen Judenschaft, der sich nicht aktiv für Israel engagiert, nicht dazu zählt, während andererseits Nichtjuden, die sich - wie die christlichen Zionisten - ganz in den Dienst Israels stellen, dazu gehören sollen.

Trotz Absicherungen nicht von Vorwürfen verschont

Um ja nicht in die Nähe der "Protokolle der Weisen von Zion" zu geraten, werden die Autoren auch nicht müde zu betonen, daß es sich bei ihrer Lobby weder um eine geschlossene Bewegung mit einer zentralen Führung noch um einen Geheimbund, geschweige denn eine Verschwörung, sondern um eine ganz normale Interessengruppe handle, die - wie die "Agrarlobby" oder die "Versicherungslobby" - in einem pluralistischen System von der Art der amerikanischen Demokratie nicht daran gehindert werden könne, ihre partiellen Interessen durchzusetzen. Sie haben auch gegen die doppelte Loyalität ethnischer Minderheiten, deren Ablehnung sie ebenfalls für ein antisemitisches Ideologem halten, nichts einzuwenden.

Trotz all dieser Absicherungen sind sie jedoch von dem befürchteten Vorwurf nicht verschont geblieben. Ein Tag nach dem Erscheinen ihres Buches erschien im Verlag Palgrave Macmillan unter dem Titel "The Deadliest Lies: The Israel Lobby and the Myth of Jewish Control" eine Widerlegung aus der Feder des mächtigen Direktors der Anti-Defamation League, Abraham Foxman, der schon auf der ersten Seite mit dem tödlichen Vorwurf auftrumpft.

 

Prof. Dr. Robert Hepp lehrte Soziologie an der Universität Osnabrück und an der Hochschule Vechta.

 

John J. Mearsheimer, Stephen M. Walt, Die Israel-Lobby - Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflußt wird. Campus Verlag, Frankfurt / New York 2007, 503 Seiten, 24,90 Euro.

John J. Mearsheimer, Jahrgang 1947, ist Professor für Politologie an der Universität Chicago und Autor zahlreicher Bücher, darunter "The Tragedy of Great Power Politics" (2001).
Stephen M. Walt, Jahrgang 1955, ist Professor für internationale Beziehungen in Harvard/ Cambridge, Massachusetts.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen