© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/07 05. Oktober 2007

Ein Zloty-Milliardär auf der Flucht
Polen: Einer der reichsten Unternehmer wird per Haftbefehl gesucht / Märchenhafter Aufstieg dank guter Kontakte in die Politik
Andrzej Madela

"Der Vorstandsvorsitzende hält sich dienstlich im Ausland auf, und ab 1. September hat er Urlaub." Diese dürre Mitteilung über den Verbleib seines staatsanwaltschaftlich gesuchten Arbeitgebers ließ der Sprecher des Prokom-Imperiums den versammelten Journalisten zukommen, die gleich scharenweise zum Firmensitz in Gdingen (Gdynia) strömten, als die Nachricht die Runde machte, der Chef werde im Zusammenhang mit der spektakulären Affäre um den im Juli entlassenen Ex-Landwirtschaftsminister und Vizepremier Andrzej Lepper belangt. Im Klartext bedeutete die Mitteilung dies: Der Chef wartet im Ausland (laut Medienberichten wurde er bereits in der Türkei und der Schweiz gesichtet) die Neuwahlen vom 21. Oktober ab, dann wird man sehen.

Und der Prokom-Chef ist nicht irgendein Dahergekommener, der ganz zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort auftauchte und so dem Staatsanwalt in die Quere kam, nein: Ryszard Krauze ist einer der bekanntesten polnischen Unternehmer und Kopf eines mittlerweile gigantischen Firmennetzes, das sich von der Computerbranche über die Pharmaindustrie bis hin zur Ölförderung in der Ex-Sowjetunion erstreckt. Jüngst erst hatte das Magazin Forbes ihn auf Platz 6 der Liste der reichsten Polen gesetzt und sein Vermögen auf 2,9 Milliarden Złoty (etwa 760 Millionen Euro) beziffert.

Sein Bekanntheitsgrad, bis zum Hochsommer 2007 ohnehin kein geringer, hatte sich allerdings vervielfacht, als die Warschauer Staatsanwaltschaft am 30. August im Zuge der Lepper-Affäre einen Haftbefehl gegen ihn erließ. Krauze, so der zuständige Staatsanwalt, sei die Schaltstelle gewesen, über die eine entsprechende Vorwarnung an Lepper ergangen sei, die Antikorruptionsbehörde wolle ihm eine Falle stellen. Die undichte Stelle im Innenministerium sei vermutlich dessen Kopf selbst, folglich der (mittlerweile ebenfalls gefeuerte) Ex-Innenminister Janusz Kaczmarek, gewesen.

Was mag aber einen modernen und international ausgerichteten Unternehmer wie Krauze dazu bewogen haben, sich ausgerechnet auf das undurchsichtige Feld politischer Intrigen und (halb-) diplomatischer Winkelzüge zu begeben, um letztlich einen umstrittenen Minister vor der Verhaftung zu retten, die dessen Kabinettskollege Justizminister Zbigniew Ziobro kenntnisreich in Szene zu setzen gerade im Begriff war? Warum sollte ihm soviel an dem Links­populisten Lepper liegen, der unter den polnischen Wirtschaftskapitänen kaum Zustimmung genießt?

Die Antwort auf diese Fragen fällt möglicherweise etwas leichter, schaut man sich den Charakter des Krauze-Imperiums genauer an. Dessen sehr bescheidene Anfänge fallen noch in die letzten Jahre des realsozialistischen Polen, als der 1956 geborene Maschinenbauingenieur nach vier Jahren Dienst­aufenthalt in Westdeutschland nach Polen zurückkam und die Softwarefirma Prokom gründete. Aus dem Ausland brachte er etwa 35.000 Dollar und ansehnliche Verbindungen zur Computerbranche mit, die im Polen der neunziger Jahre einen ungeahnten Aufschwung erleben sollte.

Der Bedarf an Computerisierung war damals enorm, die Firmen mit entsprechendem Wissen und technischem Standard hingegen rar gesät. So erklärt es sich, daß Krauzes Prokom Software SA innerhalb eines knappen Jahrzehnts ein Vermögen verdienen konnte. Dennoch lagen die goldenen Zeiten noch vor ihr. Sie haben etwas mit der Privatisierung des ehemaligen Staatsvermögens zu tun, besonders jedoch mit einer Eigenschaft davon: der Tatsache nämlich, daß im nachkommunistischen Osteuropa Privatisierung stets Staatssache blieb. Federführend darin waren das Finanz- und das Wirtschaftsministerium, die die Umwandlung ehemaliger Staatsbetriebe in private Aktiengesellschaften (SA) bzw. GmbHs vorbereiteten, geeignete Investoren suchten und Zuschläge erteilten. Diese Ministerien (und ihre nachgeordneten Organe) sorgten auch für die Ausstattung der neugegründeten AGs und GmbHs mit neuem Personal - und neuer Technik.

Diese Rolle des Staates als des größten Betreibers von Privatisierung brachte es mit sich, daß - im Schatten der Ministerien - eine erste Generation polnischer Unternehmer entstanden war, deren kometenhafter Aufstieg zu den heutigen Positionen ohne ihre besondere Staatsnähe einfach nicht vorstellbar ist. Im Strudel der Wende nach 1989 verschwanden politische und wirtschaftliche Strukturen Moskauer Prägung. Die Staatsnähe (neuer Art, weil sie nicht mehr weltanschaulich, sondern monetär motiviert erscheint) blieb jedoch und erleichterte den Systemwechsel erheblich. Über Jahre hinweg entstand so ein politisch-wirtschaftlicher Filz, eine Gesellschaft gegenseitiger Leistungen, deren Interesse ein abrupter Regierungswechsel nicht sein kann, im Gegenteil: Mitunter haben die Unternehmer mehr Interesse, bestimmte Koalitionen am Leben zu erhalten, als diese selbst. Dieser Filz, der in der stark politisierten Sprache von Premier Jarosław Kaczyński als "Dritte Republik" geführt wird, sollte zu einem - negativen - Markenzeichen der Nachwendezeit in Polen werden.

Diese "Gründergeneration", zu der außer Krauze auch Jan Kulczyk (Industrie, Rohstoffe, Immobilien), Zygmunt Solorz-Żak (Medien, Finanzen), Mariusz Walter (Medien) und Leszek Czarnecki (Finanzen, Immobilien) gehören, ist zumeist in Branchen tätig, in denen der Staat auf lange Sicht größter Auftraggeber bleibt. Für Krauze schlug die Stunde des wahren Aufstiegs vor zehn Jahren, als seine Prokom den Zuschlag für die Computerisierung von Zakład Ubezpieczeń Społecznych (ZUS) erhalten hatte. ZUS, bis 1990 staatlicher Versicherungsmonopolist, hatte zwar 1997 wohl Konkurrenz bekommen, war aber immer noch so groß, daß seine  IT-Ausstattung einen Umfang von 700 Millionen Złoty (knapp 185 Millionen Euro) erreichte.

Der Erfolg dieser ersten Großaktion zog andere Staatsaufträge in einer Fülle nach sich, um die Krauze - unter anderen Umständen - selbst von IBM und Windows beneidet worden wäre. Innerhalb weniger Jahre stellte Prokom die halbe öffentlich-rechtliche Welt in Polen auf Weststandard um: Telekom Polska, Polnische Post, PKO (etwa vergleichbar mit der Deutschen Bank), Innenministerium, Verteidigungsministerium, Bildungsministerium, Rechnungshof sowie Staatskanzlei des Premiers tragen Krauzes IT-Handschrift.

Der Durchbruch in der Computerbranche um 1997 wurde flankiert durch einige gewagte, aber letztlich lohnenswerte Investitionen, die Krauze endgültig zum Multimillionär machten: Er legte viel Geld in einem Pharmaforschungsprojekt an, das das ehrgeizige Ziel hatte, Polen von teuren Insulinimporten unabhängig zu machen. Die Forschungsarbeit zahlte sich aus, Krauzes Firma Bioton setzte das von ihr selbst entwickelte Insulin auf dem polnischen Markt durch und brachte es fertig, die Medizin zu einem staatlich geförderten Mittel erklären zu lassen.

Ein zweiter Coup dieser Güte gelang ihm, als er Ende der neunziger Jahre einer Warschauer Hochschule für Wirtschaft ein 170 Hektar großes, bis dato brachliegendes Areal abkaufte, auf dem nun ein gigantisches Bauprojekt namens "Miasteczko Wilanów" (Wilanów-Städtchen) entsteht, dessen Dynamik so manchen beeindruckt und dessen Gesamtvolumen auf eine Milliarde Euro geschätzt wird. Zuletzt machte Krauze von sich reden, als er einigen petrochemischen Konzernen zuvorkam und in Kasachstan für seine Firma Petrolinvest Genehmigungen zur Erdölförderung erwirkte.

In seinen Firmen trifft man auf den Vorstandssesseln die politische Staats­elite der vergangenen Jahre an. Bei Prokom Investments hat der Ex-Verteidigungsminister Zbigniew Okoński den Posten des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden inne. Er wird flankiert von seinem Kollegen Wiesław Walendziak, seinerzeit Chef der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt TVP und später Chef der Staatskanzlei unter Premier Jerzy Buzek. Als Aufsichtsräte bei Bioton fungieren die Ex-Staatssekretärin für Finanzen, Alicja Kornasiewicz, und Ex-Staatssekretär für Inneres, Wojciech Brochwicz. Bei Spin, einer Prokom-Tochter für militärische IT, ist Jerzy Zdrzałka, seinerzeit Staatssekretär für Finanzen, tätig. Als prominenter Danziger zählte Krauze zum Bekanntenkreis des heutigen Staatspräsidenten Lech Kaczyński, der an der dortigen Universität seinerzeit eine Professur für öffentliches Recht innehatte und später Präsident des polnischen Rechnungshofes war (den Krauze dann computerisiert hatte).

Zwar gehörte Lepper nicht zu Krauzes unmittelbarem Bekanntenkreis, wohl aber dessen enger Vertrauter, der Samoobrona-Abgeordnete Lech Woszczerowicz. Er habe die besagte Vorwarnung (die Krauze von Ex-Innenminister Kaczmarek vernommen haben soll) an Lepper weitergegeben, so der Staatsanwalt. Gegen Krauze wird also nicht - wie in solchen Fällen üblich - wegen Steuerhinterziehung, sondern wegen ausdrücklicher politischer Aktivität ermittelt. Der Unternehmer wird wohl ein eigenes (wahrscheinlich wirtschaftlich motiviertes) Interesse an der Stabilität der Koalition PiS/Samoobrona/LPR gehabt und geahnt haben, daß die Koalition ohne Lepper (und folglich Samoobrona) nicht überlebt.

Am 13. Juli standen bereits Mitarbeiter der Antikorruptionsbehörde vor Krauzes Haus, als ein von ihm mit dem Staatspräsidenten geführtes Telefonat noch genügte, die Hausdurchsuchung nicht stattfinden zu lassen - statt dessen sollte sich Krauze am Tag darauf unaufgefordert bei der Danziger Staatsanwaltschaft melden. Anderthalb Monate und einige Enthüllungen später übernahm aber Ministerpräsident Kaczyński die Regie. In der heißen Wahlkampfzeit wird ihm der Fall nicht unwillkommen sein, kann doch der PiS-Saubermann erneut zeigen, daß die Regierung konsequent gegen Filz und Korruption vorgeht. Nun zählte die Staatsnähe des Ryszard Krauze nichts mehr. Er hatte die unsichtbare Grenze überschritten, die einen Manager zwar zuweilen politisch, aber doch nicht zum Politiker werden läßt.

Foto: Tennisstar Nikolai Dawydenko beim "Orange Prokom Open" in Zoppot: Krauze ist auch als Großsponsor und im Immobilienbereich aktiv


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