© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/07 05. Oktober 2007

Roberto Saviano
Allein gegen die Mafia
von Michael Wiesberg

Deutschland ist spät aufgewacht", warnt der junge italienische Schriftsteller Roberto Saviano, dessen - eben bei Hanser in deutscher Übersetzung erschienener - preisgekrönter Roman "Gomorrha" im vergangenen Jahr in Italien und nun auch bei uns für Wirbel sorgt. Das Sujet ist das Innenleben der neapolitanischen Camorra. Der Clan der Casalesi, mit dem sich Saviano unter anderem auseinandersetzt, soll ihn zum Tode verurteilt haben. Inzwischen hat Saviano geäußert, daß er sein Buch heute nicht mehr schreiben würde. Der 1979 geborene Neapolitaner und studierte Philosoph ist gezwungen, an versteckten Orten bzw. unter Polizeischutz zu leben. Diesen Schutz erhielt er allerdings erst nach einem dramatischen Appell: Der wohl bekannteste Schriftsteller Italiens, Umberto Eco, wandte sich an die Öffentlichkeit und zog Parallelen zwischen den Fällen Salman Rushdie und Roberto Saviano.

"Gomorrha" ist, wie sich unschwer erraten läßt, eine Anspielung auf das biblische Gomorrha und das neapolitanische Verbrechersyndikat Camorra. Savianos Buch ist eine Art Mischung aus Roman und Reportage und hat vor allem deshalb Aufsehen erregt, weil in ihm äußerst kenntnisreich die Praktiken der Camorra und ihre Netzwerktätigkeit in der legalen Wirtschaft beschrieben werden. Unangenehm für die Camorra dürfte vor allem sein, daß sie mit diesem Buch aus dem Schatten der sizilianischen Mafia - es werden sogar die Namen mutmaßlicher Camorra-Bosse genannt - gezerrt wird, der bisher vor allem die Aufmerksamkeit galt. Der Befund, den Saviano liefert, sollte Anlaß zur Beunruhigung auch in Deutschland geben. Saviano legt nämlich die internationale Vernetzung dieser Mafiaorganisation offen und fordert, die Bekämpfung dieser Art kriminellen Unternehmertums endlich zur europäischen Angelegenheit zu machen.

Für deutsche Gemüter ernüchternd ist wohl Savianos Aussage, daß das Mafia-Massaker von Duisburg ("Massaker von Ferragosto"), das die deutschen Medien so stark beschäftigte, "eines der am wenigsten gefährlichen Ereignisse" sei. Viel alarmierender ist die Unterwanderung deutscher Unternehmen  - vor allem, und dies mag erstaunen, in Mitteldeutschland, wo laut Saviano in erster Linie die kalabresische 'Ndrangheta und die Camorra in der Tourismusbranche, in der Bauindustrie, im Transportwesen und in der Textilindustrie aktiv sein sollen. Diese Organisationen "investierten" hierzulande bereits seit dem Fall der Mauer.

Das Schicksal der beiden Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die nach zahlreichen Drohungen mehr und mehr isoliert und 1992 schließlich ermordet wurden, steht wie ein Menetekel über dem weiteren Weg Savianos. Etwa 150 Tote gehen dieses Jahr bereits auf das Konto der Camorra, deren Arm sehr weit reicht. Das zukünftige Schicksal Savianos ist damit auch ein Indikator dafür, wie ernst es der italienische Staat - aber auch andere betroffene Staaten - mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität wirklich meint.


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