© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/07 05. Oktober 2007

Kolumne
Allenthalben Mißverständnisse
Klaus Motschmann

Die politischen Auseinandersetzungen in unserem Volk werden in zunehmendem Maße von "Mißverständnissen" und daraus abgeleiteten "Entschuldigungen" bestimmt. Damit wird teils das Unvermögen maßgebender Politiker und Publizisten angesprochen, sich unmißverständlich auszudrücken, teils das Unvermögen der Masse, die geäußerten Ansichten zu verstehen.

Aber wie dem auch sei: Mißverständnisse lassen sich relativ schnell durch erläuternde Kommentare, durch Quellennachweise und durch Beachtung sonstiger wissenschaftlicher und publizistischer Mindeststandards beheben. Davon kann aber bekanntlich weithin nicht mehr die Rede sein. Den ideologischen Wortführern kommt es eben nicht auf die Klärung von Kontroversen und Begriffen an, sondern auf die Denunziation und die Diskreditierung politisch Andersdenkender. Der nationalsozialistischer Neigungen unverdächtige Soziologe Karl Mannheim hat in seinem Hauptwerk "Ideologie und Utopie" (1929) in Ahnung kommender Ereignisse die Verwüstungen der politischen Kultur in prägnanter Kürze wie folgt charakterisiert: "Jetzt wird der Angriff auf den Gegner dadurch vertieft, daß man ihm die Möglichkeit des richtigen Denkens nimmt, indem man seine Bewußtseinsstruktur, und zwar ihre Ganzheit, diskreditiert."

An erbärmlichen Beispielen für diese Voraussicht Mannheims und anderer Soziologen fehlt es nicht. Die jüngsten Beispiele können der infamen Kampagne gegen den Kölner Kardinal Meisner und die TV-Moderatorin Eva Herman entnommen werden. Dabei geht es und ging es nachweislich nicht um mißverständliche Äußerungen, sondern um einen Frontalangriff auf die Persönlichkeit und Würde der genannten Personen. Der breiten Öffentlichkeit ist nur sehr schwer zu vermitteln, weshalb aus den vermeintlichen Mißverständnissen über die Bedeutung eines wichtigen kunsthistorischen Begriffes um das Jahr 1900 auf der Titelseite des Tagesspiegels dem Kardinal, "den sowieso jeder für schrullig und verrückt hält", eine "intellektuell sparsame Ausrichtung" attestiert wird.

Es ist ein unausrottbares Mißverständnis, daß sich derartige Angriffe nicht nur gegen die Verantwortlichen in diesen Institutionen richten, sondern gegen die Institutionen selber, in denen diese Menschen an verantwortlicher Stelle tätig sind. Was ist von einer politischen Kultur zu halten, die diesen Zusammenhang nicht darstellt - und zwar unmißverständlich.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste Berlin.


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