© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Ungleiche Kontrahenten
USA: Seine Kontroverse mit Alan Dershowitz und der amerikanisch-zionistischen Lobby wurde Norman Finkelstein zum Verhängnis
Paul Gottfried

Seine langjährigen und öffentlich ausgetragenen Querelen mit der amerikanisch-zionistischen Lobby sind dem an der DePaul-Universität in Chicago lehrenden Norman Gary Finkelstein nun zum Verhängnis geworden. Schon im Juni wurde Finkelsteins Bewerbung um eine  Festanstellung von dem zuständigen Ausschuß abgelehnt. Anfang September trat der bereits Beurlaubte von seiner Stelle als Assistenz-Professor förmlich zurück (JF 39/07).

Die negative Entscheidung wurde trotz der unbestreitbaren Tatsache gefällt, daß der aus einer polnisch-jüdischen Familie stammende Finkelstein schon zahlreiche Bücher und wissenschaftliche Aufsätze veröffentlicht hat. Doch gerade die brachten Finkelstein in seine mißliche Lage. Für großes Aufsehen hat zunächst seine ausführliche Demontage der "Holocaust-Industrie" (Piper Verlag 2001) gesorgt.

In "Beyond Chutzpah: On the Mis­use of Anti-Semitism and the Abuse of History" (Antisemitismus als politische Waffe - Israel, Amerika und der Mißbrauch der Geschichte; Piper Verlag 2007, JF 8/06) nahm er 2005 die Verbindung zwischen der angeblichen deutschen und christlichen Kollektivschuld an den von den Nationalsozialisten verübten Greueltaten und der Unterstützung der Außenpolitik der israelischen Regierung von seiten des Durchschnittsamerikaners unter die Lupe. In den emotional aufgeladenen und hochgespielten Debatten traten zwei Buchautoren von der Universität Harvard, Daniel Goldhagen und Alan Dershowitz, als Finkelsteins Gegenspieler auf.

Goldhagen, der einer in die USA emigrierten deutschjüdischen Familie entstammt, hat zwei Bücher herausgebracht. Das erste, "Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust", fand ab 1996 reißenden Absatz - im englischen Original wie in deutscher Übersetzung. Im Gegensatz zum glücklosen Finkelstein, dessen Eltern in verschiedenen Ghettos und KZs Grauenvolles erlitten, sind Goldhagen und vorher dessen Vater Erich Goldhagen, der ebenfalls in Harvard lehrte, als Gewissen des deutschen Tätervolkes (und als Geisel des beschämten Christentums in "Die katholische Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne", Piper Verlag 2002) glänzend hervorgetreten.

Wegen seiner Verurteilung der Deutschen als engagierte Judenmörder in seinem weltweit beworbenen und vertriebenen Buch wurde Goldhagen vor zehn Jahren schlagartig berühmt. Auf einer Deutschlandtournee wurde er von deutschen Antifaschisten so begeistert umschwärmt, daß der katholische US-Geistliche Richard John Neuhaus sich zu der Beobachtung veranlaßt sah: Jüngere Deutsche seien so krankhaft stolz auf ihre Andersheit von der verachteten Elterngeneration, daß sie alles, was Goldhagen mit fraglichen Indizien ausschenke, kritiklos herunterschluckten.

Trotzdem wagte Finkelstein - unter Mithilfe von Ruth Bettina Birn vom kanadischen Regierungsamt für Kriegsverbrechen, die ebenfalls einer deutschjüdischen Flüchtlingsfamilie entstammt - Goldhagens verzerrtes Geschichtsbild zurechtzurücken. Ihre gemeinsame kritische Gegenarbeit (A Nation on Trial: The Goldhagen Thesis and Historical Truth, Owl Books 1998) hat die Goldhagen-Anklage einer akribischen Analyse unterzogen und dem Verfasser eine Unzahl an Sach- und Zitatfehlern nachgewiesen.

Seine nachfolgenden Werken haben Finkelstein neue Feindschaften eingetragen, allen voran die des streitbaren American Israel Public Affairs Committee (Aipac)-Unterstützers und Harvard-Rechtsprofessors Alan Dershowitz. Schon 1988 brachte Finkelstein eine beflissen-kritische Arbeit heraus, die eine Verteidigungsschrift der Israelis im Kampf mit den Palästinensern aus der Feder der Politilogin Joan Peters (From Time Immemorial: The Origins of the Arab-Jewish Conflict over Palestine, Harper Collins 1984) verriß. Finkelstein wies unter anderem nach, wie ungesichert Peters' Behauptungen bezüglich der Leere des Territoriums von Palästina zur Zeit der ersten jüdischen Besiedlung im 19. Jahrhundert sind.

Dessenungeachtet griff der wesentlich einflußreichere Staranwalt Dershowitz die Peters-Schablonen 2003 in seiner Streitschrift "The Case for Israel" (Plädoyer für Israel. Warum die Anklagen gegen Israel aus Vorurteilen bestehen, Europa Verlag 2005) auf. Als Rezensent des Buches entdeckte ich zahlreiche Ausrutscher - inklusive des Versäumnisses, die unterschiedlichen Verbindungen der jüdischen und arabischen Volksgemeinden zu den verschiedenen Besatzungsmächten des Ersten Weltkriegs zu thematisieren.

Wie seine neokonservativen Mitstreiter bleibt Dershowitz dem Irrtum verhaftet, daß die Mittelmächte von protonazistischen Fanatikern gesteuert wurden und daß sämtliche Juden damals für die "antitotalitären" Briten eingetreten seien. Angeblich haben die Araber ausnahmslos Partei für die "totalitären", mit den Deutschen verbündeten Türken ergriffen. Schwer zu glauben, daß der weltläufige Akademiker den Film "Lawrence von Arabien" nie gesehen hat.

Laut Finkelstein gibt die Streitschrift Anlaß zu der Vermutung, daß Dershowitz ein Plagiat verfaßt hat. Auch wenn das Beweismaterial nicht völlig für diesen Schluß ausreicht, so kann Dershowitz (vorausgesetzt, daß er die eigene Schrift selbst anfertigte) zumindest vorgeworfen werden, allzuviel auf "From Time Immemorial" vertraut zu haben. In dem Druckfahnenabzug für "Beyond Chutzpah" hielt Finkelstein Dershowitz vor, ganze Absätze von Peters wortgetreu übernommen zu haben. Dershowitz erwiderte darauf mit der Drohung, einen Diffamierungsprozeß gegen seinen Ankläger anzustrengen. Da der Präsident und die Rechtsdekanin von Harvard Dershowitz Rückendeckung gaben, scheute sich Finkelstein vor einem gerichtlichen Verfahren: Er stimmte zu, die inkriminierten Stellen aus seinem Buch streichen zu lassen. In einer späteren Aussprache mit Dershowitz legte Finkelstein gleichwohl Beweise dafür vor, daß sein Gegner auffällige Stichworte aus dem Peters-Buch entlehnt hatte. Auf alle Fälle ist es wenig glaubhaft, daß (wie Dershowitz vielfach betont hat) "die Rückschlüsse und Daten" von Peters ihn keineswegs beeinflußt hätten.

Und nach einigem Herumdrucksen gestand Dershowitz in einem Interview mit dem Harvard Crimson (von 3. April 2007) schließlich ein, daß er dem zuständigen Ausschuß an der DePaul Universität von einer Festanstellung für Finkelstein abgeraten hat. Auch der katholische DePaul-Präsident Dennis Holtschneider verteidigte den mit knapper Mehrheit gefällten Ablehnungsbescheid energisch. Finkelstein habe die Verlängerung seiner Lehrtätigkeit verwirkt, weil er seine Anhörungen und Repliken mit "berufswidrigen Ausfällen, die von der Begrifflichkeit wegführen", durchsetzt habe, so Reverend Holtschneider.

Gleiches ließe sich Finkelsteins Kontrahenten Dershowitz vorwerfen. Der streitbare 69jährige Jurist steigert sich immer dann in einen Wutanfall, wenn er in seinem Gesprächspartner einen Antisemiten zu erspähen glaubt. Tritt er zu einer öffentlichen Debatte an, dann werden Wetten abgeschlossen, wie lange er sich halten könne, bis er den Gesprächspartner "Judenhasser" oder "religiösen Fanatiker" nennen wird.

Finkelstein spielt dennoch nicht in derselben Liga. Auch wenn der von Dershowitz versuchten Widerlegung seiner Kritik (nach einer eingehenden Untersuchung im UCLA Law Review vom April 2007) ein Mangel an Stichhaltigkeit nachgewiesen wird, so verfügen die zwei Gegner bei weitem nicht über vergleichbare "Waffen". Sie besetzen ungleiche Plätze in der universitären Hackordnung. Finkelstein, inzwischen 53 Jahre alt, ist einstweilen stellungslos und im Visier der Anhänger des gewichtigen Gegners, den er immer wieder gekränkt hat. Und nicht zuletzt hat er Selbstverständlichkeiten der damaligen links-neokonservativen Kulturordnung angetastet: voran Deutschfeindlichkeit und Anti-Antisemitismus. In seinen Schriften hat dieser Draufgänger beides verspottet. Trotz seiner verkündeten Verbindung zur Linken und seiner Freundschaft mit dem altlinken-unangepaßten früheren MIT-Professor Noam Chomsky ist Finkelstein mit dem Establishment tief zerstritten.

Zur Kenntnis genommen werden muß, daß Finkelstein nicht nur für neokonservative Zeitungen wie die New York Post und Jerusalem Post zur Zielscheibe geworden ist. Auch in weiter links angesiedelten Publikationen wie The New Republic und New York Review of Books ist er schon mit Nachdruck angeprangert worden. Wenn Finkelstein, ohne weiteren Schaden zu erleiden, irgendeine Art von Anstellung findet, dann muß er sich relativ glücklich schätzen. Aber er sollte sich nicht zuviel versprechen. Ein Kollege meinte, nachdem er sich genauer über den Finkelstein-Fall informiert hatte, daß es am besten wäre, wenn der an den Rand gedrängte ehemalige Assistenz-Professor es mit einem Schuhreparaturdienst versuchen würde.

 

Prof. Dr. Paul Edward Gottfried lehrt Politologie am Elizabethtown College in Pennsylvania, USA. Von seinen zahlreichen Büchern wurde "Multikulturalismus und die Politik der Schuld" ins Deutsche übersetzt (Ares-Verlag, 2004). Zuletzt erschien von ihm "Baseless Conservatism: Making Sense of the American Right" (Palgrave-Macmillan, 2007)


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