© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/07 21. September 2007

Zeitschriftenkritik: Zwielicht
Avantgarde für Normalgebliebene
Baal Müller

Freunde des Neofolk haben mit leiser Betrübnis verfolgen müssen, wie die Pausen zwischen den Erscheinungsterminen des Magazins Zinnober immer länger wurden, seitdem es nicht mehr bei Eislicht erschien. Nun hat sich sein Begründer Stephan Pockrandt, der Inhaber des auf diese Musikrichtung spezialisierten Dresdner Verlags und Labels, wieder selbst auf sein altes Steckenpferd geschwungen, und dieses galoppierte soeben, nun unter dem neuen Namen Zwielicht, vollkommen pünktlich zur zweiten Ausgabe, nachdem im Winter mit einem Probeheft der Neustart erfolgt war.

Musik steht auch weiterhin im Mittelpunkt, doch geht es dem alten und neuen Blattmacher insgesamt um "die Idee einer kulturellen Opposition", wie er im Editorial zum ersten Heft ankündigte, um eine Zeitschrift, "die einerseits auf gute, ästhetisch schöne, tiefsinnige und ernsthafte Kunst aufmerksam macht und andererseits auch kalkulierte Provokationen, sinistre Ideen, zwielichtige Themen und eine Prise Sarkasmus und Zynismus" beinhaltet. Wer das Zinnober kannte, wird bestätigen, daß seinen Autoren dies mehr als einmal gelungen ist. Um so schöner, daß wir ein solches, in seiner Mischung aus Beiträgen über "schwarze" Musik, wiederzuentdeckende Literatur, "abseitige" Esoterik und avantgardistische Bewegungen singuläres Magazin auch in Zukunft nicht missen müssen.

Die zweite Ausgabe von Zwielicht ist, nicht nur in der edel-schlichten Aufmachung, düster und trotzdem sehr bunt: Auf einen Beitrag über den legendären Musiker Scott Walker, der Pop-Größen wie Marc Almond, Nick Cave oder David Bowie inspirierte, folgt ein feinfühliger Bericht aus der Feder des Herausgebers über eine Reise in das wegen seiner ekstatischen Ostertrommeln berühmte spanische Calanda; die Band VNV Nation äußert sich über "Gott, die Welt, Gabriele d'Annunzio und ihr neues Album", und ein ausführliches Interview ist der von Pockrandt neu entdeckten Formation Kammer Sieben gewidmet, die jüngst mit "unfinished movies" bei Eislicht debütierte.

Ein Autor, dem im Zwielicht zu begegnen man nicht erwartet, ist Christian Kracht: Das Interview mit ihm ist kurz, aber spektakulär, sowohl wegen der Präsenz des durchaus nicht zeitgeistangepaßten Erfolgsliteraten ("Faserland", "1979") in einem "konservativ-avantgardistischen" Independent-Magazin, als auch inhaltlich. Prompt kritisierte die Süddeutsche Zeitung unlängst Krachts Interview-Auftritt und die "unheilige Allianz" zwischen dem "Popliteraten" und einer "Neuen Rechten". In der Sache selbst geht es um die von Nietzsches Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche in Paraguay gegründete deutsche Kolonie Nueva Germania, für die sich Kracht ebenso interessiert wie der mit ihm befreundete und ebenfalls interviewte Subkulturkünstler David Woodard, der dieses Relikt utopischer Gründungs- und Züchtungsphantasien des späten 19. Jahrhunderts häufig bereist, mit den dort noch ziemlich altväterlich lebenden deutschen Dschungelbewohnern gut bekannt ist und diese auch ökonomisch unterstützt: Der von ihm produzierte "Elisabeth Nietzsche Mate-Tee" war schnell ausverkauft und hat der dürftigen Wirtschaft von Nueva Germania zu einem kleinen Boom verholfen.

Ein wenig abseitig erscheint diese Leidenschaft von Kracht und Woodard dem Leser schon - nicht abseitiger allerdings als Krachts Parteinahme für das kommunistische Regime in Nordkorea.

Immer für eine Provokation gut ist auch die Kulturphilosophin Camille Paglia, der Martin Lichtmesz anläßlich ihres sechzigsten Geburtstags einen gleichermaßen persönlichen wie intellektuell fundierten Essay gewidmet hat. "Sex, Gewalt und ewiger Krieg" - so der Titel - sind die bevorzugten Themen der Feminismuskritikerin, die in den neunziger Jahren das linksliberale Establishment mit ihren Thesen zu den ihrer Ansicht nach keineswegs "kleinen" Unterschieden zwischen Mann und Frau in Wallung brachte; und der "ewige Krieg" ist bei ihr derjenige zwischen den Geschlechtern, die doch immer wieder einen brüchigen Frieden schließen müssen, den Paglia in ihren Schriften über die Wandlungen der erotischen Kultur dargestellt hat. In einer Zeit, in der die subtiler auftretende Gender-Theorie Bestandteil von Regierungsprogrammen "konservativer" Parteien geworden ist, kann ein Blick in die von Bachofen, Nietzsche und Weininger inspirierten Werke der italo-amerikanischen Radikal- und Antifeministin, Katholikin und bekennenden Lesbierin dazu verhelfen, eigentlich Bekanntes unangekränkelt von der Ideologie, das Geschlecht wäre bis auf belanglose anatomische Differenzen ein herrschaftsbedingtes Konstrukt und könnte ohne gesellschaftliche Zwänge frei gewählt werden, wieder neu zu sehen und zu bejahen.

Es ist merkwürdig, daß Selbstverständliches und jedem Vertrautes heute oft als nonkonform und "avantgardistisch" gilt; so betrachtet, ist auch das Zwielicht-Magazin eine normale Sache - für die wenigen Leute, die normal denken.                             

Kontakt: Zwielicht, c/o Eislicht Verlag, Stephan Pockrandt, Postfach 16 01 42, 01287 Dresden. Internet: www.zwielicht-magazin.de


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