© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/07 07. September 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Relikt
Karl Heinzen

Obwohl es in den Jahrzehnten des sogenannten Ost-West-Konflikts angeblich einer sowjetischen Bedrohung entgegenzutreten galt, ist die mit dieser Aufgabe betraute Bundeswehr nie zum Einsatz gekommen. Im Rückblick stellt sich daher die Frage, ob es für die Bundesrepublik Deutschland wirklich notwendig war, jungen Männern eine zeitraubende Wehrpflicht aufzuerlegen, in deren Erfüllung sie unwiederbringliche Monate ihres Lebens einem fragwürdigen Zweck zu opfern hätten.

Diese Frage ist nach dem Ende des vermeintlichen Kalten Krieges noch drängender geworden. Von Landesverteidigung, in deren Dienst sich in einem demokratischen Gemeinwesen nun einmal alle Bürger voller Begeisterung zu stellen hätten, ist längst nicht mehr die Rede. Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz geworden, die mit bescheidenen Mitteln gemeinsam mit den Streitkräften der Partnernationen einen Beitrag dazu leistet, daß all jene, die von der Globalisierung profitieren, sich keine Gedanken über die Sicherung ihrer Eigentumsrechte in fernen Regionen der Welt machen müssen.

Für die Legitimation der Wehrpflicht als nur notdürftiges kaschiertes Synonym für Zwangsarbeit ist dies aber kaum ausreichend. Wer die in der Verfassung verbürgten Freiheitsrechte des Individuums wirklich ernst nimmt, ist daher längst auf die Linie eingeschwenkt, die Abschaffung dieses Relikts aus obrigkeitsstaatlichen Zeiten zu fordern. Allerdings mangelt es den Wehrpflichtgegnern mitunter an Aufrichtigkeit in der Argumentation, wenn sie ihr Begehren vortragen. Die Rede ist da zum Beispiel von einem Mangel an "Wehrgerechtigkeit", der angeblich herrsche: Allzu viele Männer, von den Frauen ganz zu schweigen, würden heute gar nicht mehr zum Dienst in den Streitkräften herangezogen, weil sie entweder aufgrund ihrer ungesunden Lebensweise den Status der Untauglichkeit erreichten oder ihren ethischen Bedenken durch einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung Luft verschafften.

Neben der Scheu, grundsätzliche Kritik zu üben, befremdet hier vor allem, daß ein wesentliches Detail ausgeblendet wird: Jene jungen Männer in Deutschland, die dem Wehrdienst entgehen, weil sie gar nicht die bundesrepublikanische Staatsbürgerschaft besitzen, sind allmählich in ihrer Altersgruppe in der Mehrheit. Sicher wäre es inopportun, sich darüber zu beschweren, daß sie gegenüber den Paßdeutschen hier ausnahmsweise im Vorteil sind. Man muß aber monieren, daß die Wehrpflicht ihre Entscheidung zur Einbürgerung auf jeden Fall erschwert.


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