© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/07 07. September 2007

"Der lange Arm Ankaras"
Interview: Peter Scholl-Latour fordert Respekt vor dem Islam, aber auch Realismus
Moritz Schwarz

Herr Professor Scholl-Latour, Konservative zitieren gerne Friedrich den Großen, der gesagt hat, daß er "den Türken Moscheen bauen wollte, wenn sie sich in Preußen niederlassen". Vorbildlich oder naiv?

Scholl-Latour: Der Alte Fritz hat von der Türkei nicht viel verstanden. Die Türken waren damals der Feind der Österreicher und ihm deshalb wohl willkommen. 

In Deutschland gibt es inzwischen über 2.600 islamische Gotteshäuser, und es werden immer mehr. Ein Grund zur Beunruhigung?

Scholl-Latour: Vor allem sollten wir auf Ausgewogenheit achten: Wir haben es in Deutschland mehrheitlich mit türkischen Moscheen zu tun. Diese werden von der religiösen Organisation Ditib überwacht, die der staatlichen Lenkung aus Ankara unterliegt. Deshalb können wir von der Türkei erwarten, daß sie zumindest gegenüber den Christen dort ein Minimum an Toleranz an den Tag legt. Denn es ist in der Türkei unmöglich, eine katholische Kirche zu bauen, und der orthodoxe Patriarch von Konstantinopel und seine kleine Gefolgschaft sind extremen Schikanen ausgesetzt.  

Die Christen in der Türkei sind keine europäischen Einwanderer. Man kann das also kaum mit der moslemischen Einwanderung hier vergleichen.

Scholl-Latour: Es ist absurd: Die Türken in Deutschland sind hier mittlerweile heimischer als die einheimischen Christen in der Türkei, denn sie haben mehr Rechte als die Christen dort.

Einerseits sollten ja gerade Konservative feste religiöse Überzeugung fördern.

Scholl-Latour: Eben, grundsätzlich finde ich es angemessen, wenn islamische Kulthandlungen nicht mehr in Garagen und Hinterhöfen stattfinden müssen. Allerdings sollte die Zahl und Größe der Moscheen in Zusammenhang stehen mit der tatsächlichen Zahl der Muslime am Ort. Es ist doch zweifelhaft, wenn eine Moschee in einer Stadt gebaut wird, wo es kaum Moslems gibt. Gibt es aber welche, so darf ihnen das Recht auf ein Gotteshaus nicht verwehrt werden.

Andererseits hat der heutige türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan 1997 geäußert: "Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette und die Kuppeln unser Helme."

Scholl-Latour: Dafür ist er damals auch ins Gefängnis gekommen, obwohl  man ihm eigentlich keinen Vorwurf machen kann, denn es handelt sich um ein Zitat aus einem Lied aus der Zeit des türkischen Abwehkampfes nach dem Ersten Weltkrieg, als die alliierten Siegermächte ganz Anatolien unter sich aufteilen wollten.

Sind die Moscheen nun eher ein Zeichen der Integration oder Ausdruck einer Parallelgesellschaft?

Scholl-Latour: Sie sind Ausdruck einer islamischen Gemeinschaft und Kultur, die von der unsrigen gänzlich verschieden ist. Ganz klar, daß die Vorstellungen des Islam mit den europäischen, ob christlich oder liberal-aufgeklärt, nicht übereinstimmen. Und wir können die Türken und den Islam nicht nach den paar aufgeklärten Kemalisten beurteilen, die wir bevorzugt im Fernsehen zu sehen bekommen. Es sollte übrigens auch die Frage gestellt werden, wer einen Moscheebau finanziert. Wenn die Gelder aus Saudi-Arabien kommen, wie das häufig der Fall ist, dann stecken in der Regel die Wahhabiten, die radikalste Richtung des Islam dahinter, die al-Quaida sehr nahesteht. Wenn aber schon die Türken ihre Moscheen bei uns bauen - was ihr gutes Recht ist -, dann sollten es aber auch wirklich türkische Moscheen sein. Als die Türkei noch wirklich laizistisch war, war das auch kein Problem, denn die Ditib wachte darüber, daß sich die Religion nicht zu islamistisch entwickelte. Inzwischen ist aber der türkische Staat - wenn auch in moderatem Sinne - selbst islamisch und die Ditib daher zum Instrument eines islamischen Staates geworden. 

Viele Moscheen sind also vor allem als der lange Arm Ankaras zu verstehen?

Scholl-Latour: Die Ditib muß auf jeden Fall als solcher betrachtet werden. Dabei darf man aber nicht glauben, sie sei repräsentativ für die Moslems bei uns. Das ist eher die vom Verfassungsschutz beobachtete Milli Görüs, weshalb unsere Politiker sich auch endlich dazu durchringen sollten, mit ihr zu sprechen. Aber das will man ja nicht, denn dann würde man die wirkliche Stimme des Islam in Deutschland hören und nicht die geschönten Aussagen der aus Ankara gesteuerten Ditib.

Viele Bürger wehren sich gegen Moscheeneubauten in Bürgerinitiativen. Was ist Ihre Botschaft an sie?

Scholl-Latour: Was wir fairerweise nicht vergessen dürfen, ist, daß es eine Folge der Raffgier des deutschen Kapitals ist, wenn so viele Türken heute bei uns sind: Man hat sie als billige Arbeitskräfte hierhergeschafft. Aber vielleicht sollten wir uns an folgendem Prinzip aus dem islamischen Raum orientieren: Dort darf eine Kirche niemals eine Moschee baulich überragen. Also ein islamisches Gegenstück zum Kölner Dom, das muß wirklich nicht sein.

 

Prof. Dr. Peter Scholl-Latour, Jahrgang 1924, fordert die Europäer seit langem auf, dem Islam "auf Augenhöhe" zu begegnen. Zuletzt schrieb er in JF 31-32/07 den Beitrag "Falsch gestellte Weichen".

 

weitere Interview-Partner der JF


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen