© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/07 31. August 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Gewissenlos
Karl Heinzen

Den geisteswissenschaftlichen Fakultäten der deutschen Universitäten ist es in den vergangenen zehn Jahren gelungen, 663 Professoren einzusparen. In einem beispiellosen Kraftakt haben sie so einen wesentlichen Beitrag zur laufenden Hochschulreform geleistet - und diesnoch dazu in beinahe sozialverträglicher Weise, da in der Regel einfach nur vakant gewordene Stellen nicht wieder nachbesetzt wurden.

Doch anstatt zu würdigen, daß die Streichung von 11,6 Prozent der Professuren für diese zumeist grotesken, auf jeden Fall aber reichlich zwecklosen Wissensgebiete so geräuschlos vonstatten ging, meint der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, das Haar in der Suppe suchen zu müssen. Angesichts dieser Zahlen, so mäkelt er, bräuchte man im "Jahr der Geisteswissenschaften 2007" nicht darüber zu streiten, ob es eine wirkliche oder eine bloß gefühlte Krise der Sprach- und Kulturwissenschaften gibt.

Diese Invektive ist zwar hübsch formuliert, so wie es sich eben für jemanden gehört, der mit breiter Brust Subventionen für den Erhalt des beschaulichen und sorgenfreien Lebens in einer weltvergessenen Gelehrtenrepublik einfordern möchte. Sie offenbart aber zugleich eine gewissenlose Haltung, die völlig ausblendet, daß unsere Gesellschaft in allen Bereichen von Selbstverständlichkeiten der Vergangenheit Abschied nehmen muß, wenn sie solide Grundlagen für zukünftigen Wohlstand legen möchte.

Man sollte also eher den Blick darauf richten, was trotz aller Sparzwänge bis auf weiteres immer noch erhalten geblieben ist, und weniger Klage führen, daß kostspielige Grillen, denen die Bürgerinnen und Bürger in ihrer überwältigenden Mehrheit nun einmal keine Wertschätzung entgegenbringen, aus dem öffentlichen Raum der steuerfinanzierten Universitäten verbannt werden. Es ist ja niemand daran gehindert, sich ihnen in seinem privaten Studierstübchen auf eigene Kosten weiter zu widmen.

Überdies sollte nicht ausgeblendet werden, daß von den Streichungen ja auch ganz andere Bereiche betroffen sind. Die Ingenieurwissenschaften etwa verzeichneten im gleichen Zeitraum sogar einen Rückgang der Professorenstellen um 13 Prozent, obwohl ihnen nun wirklich niemand nachsagen wird, daß sie bloß l'art pour l'art betrieben. Die Erklärung für diese Entwicklung liegt vermutlich im Grundverständnis der Techniker für betriebswirtschaftliche Rationalität begründet: Mehr Produktivität läßt sich nicht zuletzt dadurch erzielen, daß man auf die leistungsschwächsten Beschäftigten verzichtet.


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