© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

Amerika ist pleite
Finanzkrise: Die USA haben sich vom größten Gläubiger- zum größten Schuldnerstaat der Welt entwickelt
Patrick J. Buchanan

Es gab einmal eine Zeit, da hätte man Ereignisse wie den Einsturz der Brücke über den Mississippi weggesteckt. Ja, es war eine Tragödie, hätte eine reife Nation gesagt, aber wie bei Erdbeben, Hurrikanen, Tornados und Blitzeinschlägen handelte es sich um "höhere Gewalt". Selbst in einem guten Leben und einem großartigen Land passieren schlimme Dinge. Heute aber muß ein Schuldiger her - und der zeitgenössische Journalist genießt nichts mehr, als vor einer Fernsehkamera zu stehen und moralische Urteile über Menschen zu fällen, die versagt haben.

Nach dem Hurrikan Katrina ging es Präsident George W. Bush an den Kragen, weil er nicht sofort die 82. Luftlandedivision nach New Orleans geschickt hatte, und dem Chef der Katastrophenschutzbehörde Fema, Mike Brown, der doch, wie alle zugeben, bei dem Florida-Hurrikan "verdammt gute Arbeit" geleistet hatte. Nun wird uns weisgemacht, es gebe hierzulande 70.000 Brücken mit "strukturellen Defekten" - dabei kommt es selten vor, daß Brücken einstürzen. Trotzdem wird nun gefordert, Hunderte Milliarden an Steuergeldern in die Reparatur unserer bröckelnden Infrastruktur zu stecken - aber woher soll das Geld kommen?

Amerika ist pleite. Wir geben alles aus, was wir verdienen. Wir sparen nichts. Wir nehmen Tag für Tag Kredite in Höhe von zwei Milliarden Dollar auf, um unser Handelsdefizit zu finanzieren und uns all diese Güter aus den Einkaufszentren leisten zu können. Die Chinesen legen zwischen 35 und 50 Prozent ihres Einkommens in Ersparnissen an. 60 Prozent unseres Erdöls beziehen wir aus Opec-Ländern und haben dennoch seit über 25 Jahren keine neuen Ölraffinerien oder Atomkraftwerke gebaut. In großen Teilen Alaskas sowie vor den Küsten Floridas und Kaliforniens dürfen wir nicht nach eigenem Öl bohren. Wir bauen keine Staudämme wie den Hoover oder den Grand Coulee mehr, sondern reißen sie ab. Einst waren wir die größten Straßenbauer seit den alten Römern.

Der demokratische Präsidentschaftsanwärter Barack Obama wird von Liberalen für sein Versprechen bejubelt, die Finanzhilfe fürs Ausland zu verdoppeln. Unter einem Präsidenten Obama würden die USA also jährlich fünfzig Milliarden Dollar von Japan und China leihen, um Regime in Afrika zu unterstützen, und unsere Kinder in Schulden stürzen, um unser Gewissen zu beruhigen. Weckruf: Die 1950er Jahre sind vorbei. Wir sind längst nicht mehr der größte Gläubigerstaat. Heute sind wir der größte Schuldnerstaat. Kreditkarten-, Hypotheken- und Firmenschulden haben einen Höchststand erreicht. Die derzeitige Finanzkrise ist das Ergebnis unbezahlter Hypotheken, mit denen die Jungs an der Wall Street gehandelt haben wie mit Aktien.

Im Ausland führen die USA zwei Guerillakriege, in denen bislang weniger US-Soldaten gefallen sind als bei der Niederschlagung des Aufstands auf den Philippinen 1899/1902. Und dennoch behauptet ein Ex-Stabschef, die US-Armee stehe vor dem "Zusammenbruch". Frage: Wenn die "wüsten Kriege des Friedens", wie Rudyard Kipling sagte, unsere 500.000 Mann starke Armee zum Zusammenbruch bringen - wie um Himmels willen soll diese kleine Armee ihre vertraglichen Verpflichtungen und Beistandsgarantien gegenüber 25 Nato-Staaten, Israel, den Golfstaaten, Taiwan, Südkorea und Japan erfüllen?

Wir haben uns verpflichtet, weltweit für Recht und Ordnung zu sorgen. Doch wir haben eine Armee, die "zusammenbricht", und Präsidentschaftskandidaten, die den Iran - einen Staat, der dreimal so groß ist wie der Irak - angreifen und in Pakistan, einer muslimischen Atommacht mit 170 Millionen Einwohnern, einmarschieren wollen.

Wer fällt auf derart großspurige Reden noch herein? Die US-Außenpolitik ist bankrott. Mit den derzeit verfügbaren Bodentruppen lassen sich unsere Verpflichtungen nicht erfüllen. Und die Weltöffentlichkeit, die Zeuge des US-Versagens in Mesopotamien wird, beginnt dies zu erkennen und danach zu handeln.

Zwar beträgt das US-Haushaltsdefizit nur zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, doch die in den 1990ern erzielten Überschüsse gehören der Vergangenheit an, und wir steuern auf einen Eisberg von Rentenansprüchen zu. Die Kosten der Programme zur staatlichen Renten- und Gesundheitsvorsorge "liegen bereits bei über vierzig Prozent des Bundeshaushalts von 2,7 Billionen. Im Jahr 2030 könnte ihr Anteil 75 Prozent des gegenwärtigen Haushalts betragen", so der Kolumnist Robert Samuelson. "Die Staatsausgaben als Wirtschaftsanteil stabil zu halten, würde bedeuten, sämtliche Verteidigungsausgaben und die meisten anderen innenpolitischen Programme einzustellen ... Um den Haushalt unter Beibehaltung aller derzeitigen Programme auszugleichen, wären Steuererhöhungen von dreißig bis fünfzig Prozent erforderlich. Ansonsten könnte sich das Haushaltsdefizit vervierfachen."

Wir verfügen nicht über die nötigen Streitkräfte, um unsere Kriege zu gewinnen oder unsere Verbündeten zu verteidigen. Wir ziehen nicht genug Steuern ein, um die zukünftigen Defizite in der staatlichen Gesundheits- und Rentenvorsorge zu finanzieren. Gutbezahlte Arbeitsplätze, Technologie und Fabriken wandern aus den USA nach China ab. Wir begrüßen die Globalwirtschaft, während sie dort die chinesische Wirtschaft feiern, die eine Wachstumsrate von zwölf Prozent verzeichnet, sechsmal so hoch wie die amerikanische in der ersten Jahreshälfte. Die Abrechnung wird in der ersten Amtsperiode des neuen Präsidenten erfolgen.

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift "The American Conservative".


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